Gewichtiger Kampf
Zu Gast bei jungen, deutschen Sumoringern
Sumoringer gibt es auch in Deutschland. Weil sich die Szene im Norden trifft, reist die Ringerin und Lehrerin Johanna Schumann aus Heilbronn eben hin– diesmal nach Brandenburg an der Havel.
Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen
Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.
Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.
AkzeptierenMehr Informationen
Eine Sporthalle in Brandenburg an der Havel. Draußen scheint die Märzsonne, drinnen leuchten Neonröhren. Am einen Ende der Halle steht ein Podest. Darauf befindet sich das Dohy ˉ o, wie der Ring auf Japanisch heißt. Ein Dohy ˉ o ist eigentlich aus Lehm. Da es aber Tage dauert, bis es aufgebaut ist, und der Hallenbetreiber die Idee nicht so toll fand, dass jemand Lehm auf seinen Boden schmieren will, haben die Organisatoren der Deutschen Meisterschaft für den Sumo-Ring in Brandenburg rote und blaue Judomatten verwendet – und weißen Stoff als Oberfläche.
In der Mitte des Rings, dessen Grenze mit grünen Schaumstoffrollen markiert ist, stehen sich zwei dünne Jungs im Grundschulalter gegenüber. Sie warten auf die Kommandos der Schiedsrichterin. Elke Nowack aus Cottbus leitet den Wettkampf. Daheim hat sie die wichtigsten Kommandos auswendig gelernt – auf Japanisch. Es soll schließlich authentisch sein. "Rei", brüllt sie. Die Jungs verbeugen sich. Mit "Kameite matta nasch" bittet sie zur Konzentrationsphase, auf ein aggressives "Teo swite matta nasch" hocken sich die Sportler in die Startposition. Bei "Hakikoi" stürmen die beiden Kämpfer aufeinander los. Sie verhaken ihre Füße ineinander, packen sich an den Schultern, einer schiebt, der andere drückt.
Beim Sumoringen geht es darum, den Gegner aus dem Kreis zu drängen oder ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen, sodass er mit einem anderen Körperteil außer den Füßen den Boden berührt. Nur einer kann gewinnen – das wissen die Jungs. Sie versuchen einander aus dem Kreis zu hieven, verlieren das Gleichgewicht, fallen um, einer nach hinten, einer nach vorne auf den anderen drauf. Der Obere gewinnt, der Untere verliert.
Der Vater des Siegers hat mit der Digicam ein Video des Kampfs gedreht, jetzt ballt er eine Hand zur Faust. Seine Frau klatscht in die Hände wie eine Robbe in Erwartung eines frischen Fischs. Die Kollegen des Siegers jubeln, die Trainerin wuschelt dem Jungen durch die Haare, nachdem er vom Ring gestiegen ist. Der Junge nimmt sich einen Apfelring aus einer Tüte.
Am Hallenrand haben sich die Familien und Freunde der rund 100 Sportler niedergelassen. Auch ein paar Neugierige sind gekommen: Ein Mann mit Krückstock sagt zu seinem Sitznachbarn, dass er bei diesem Wetter lieber draußen sitzen würde, sich aber mal Sumo live angucken wollte. Irgendwann will er wissen, woher der Sport kommt. Aus Japan, beginnt sein Nachbar zu erzählen, stockt dann, zuckt kurz darauf mit den Schultern, mehr wisse er darüber leider nicht. Eine Zuschauerin dreht sich zu den Männern um, sagt, der Sport habe etwas mit Religion zu tun, er sei ein wichtiger Bestandteil der japanischen Kultur. Die Männer nicken bedächtig. Nach dem nächsten Kampf sagt der eine zum anderen, dass er das Gefühl habe, nicht viel mehr Ahnung zu haben als zuvor.
Wäre Verena Hopp in der Halle hinter den Männern gesessen, dann wären sie jetzt schlauer. Doch die 32-Jährige ist am Tag des Wettkampfs nicht in Brandenburg, sondern 9000 Kilometer weiter östlich. In ihrem Büro in Tokio. Hopp unterrichtet an der Tokyo Riverside School Sumoringen. Mit 13 Jahren sah sie Sumo im Fernsehen, war so fasziniert von diesem Sport, dass sie nach dem Abitur Japanologie studierte. Ihre Magisterarbeit schrieb sie über: Sumo.
Nomi no Sukune, sagt Verena Hopp via Skype, diesen Namen müsse man sich merken. Der Japaner habe als erster Mensch einen Sumokampf bestritten, gegen seinen Widersacher Taima no Kehaya. Laut einer Legende hat Nomi no Sukune seinen Gegner im Kampf getötet und dessen Ländereien bekommen – anschließend dem Kaiser Suinin gedient, der vor 2000 Jahren gelebt haben soll. Heute noch gibt es einen Schrein für den Sieger, der zum Schutzpatron der Sumoringer wurde.
Sumoringer haben in Japan einen Status wie hierzulande Fußballer. Die Medien verfolgen die Stars bis ins Schlafzimmer, ihr Speiseplan wird bis auf letzte Gramm bekannt. Ehemalige Rikishi, wie Sumoringer in Japan heißen, werden zu politischen Themen befragt, von Fans verfolgt, zu Staatsdinnern eingeladen. Traditionalisten sehen den Sport als Kulturgut ihres Landes – auch als wichtigen Teil der Shint ˉ o-Religion. Götter sollen durch den Kampf gnädig gestimmt werden, erzählt Verena Hopp. Profi-Sumoringer praktizieren religiöse Rituale. Sie werfen Salz in den Ring, was reinigen und Glück bringen soll. Sie stampfen auf den Boden, rufen damit die Götter, vertreiben die bösen Geister.
Traditionalisten tun sich schwer mit Veränderungen. Dass japanische Frauen heutzutage zumindest bei den Amateuren mitkämpfen dürfen, grenzt schon an ein Wunder. Früher rangen Frauen höchstens zur Belustigung des Publikums oder als Prostituierte in Bordellen. In Deutschland gehören Frauen genauso zur Sumo-Szene wie Männer.
Der Sumo-Sport soll in Japan so bleiben, wie er schon immer gewesen ist, fordern die Traditionalisten. Dabei verschließen sie ihre Augen vor den dunklen Seiten des Sports, die sich in den vergangenen Jahren gezeigt haben: korrupte Verbände, Wettbetrug, ermordete Athleten. Auch wegen dieser Skandale wenden sich junge Menschen ab, gucken lieber Baseball, spielen Fußball oder Golf. "Die Jugend respektiert Sumo, will es aber nicht schauen oder ausüben", sagt Hopp. Dadurch gehe japanische Tradition verloren.
Zurück in die Halle in Brandenburg: Eine Mutter mit Smartphone steht vor einem Shint ˉ o-Schrein. Sie lotst ihren Sohn in die Mitte der religiösen Stätte, die der Veranstalter zur Dekoration aufgebaut hat. Sie fordert den jungen Kämpfer auf, etwas grimmiger zu gucken. Wie ein richtiger Sumoringer, sagt sie. Der Sohn lehnt sich lässig an den Schrein, lächelt freundlich in die Linse. Die Mutter schüttelt den Kopf, dirigiert ihn etwas weiter mittig. Er guckt schließlich genervt, sie drückt ab. Gut, piepst sie. Na gut, brummelt er und schlägt mit den Fingerknöcheln auf den Deko-Gong.
Vom dumpfen Hall bekommt Florian Ebert nichts mit. Er hat sich in die Katakomben zurückgezogen. Ein Kollege legt ihm den Mawashi an, den Gürtel, den ein jeder Sumoringer anziehen muss, damit der Gegner ihn packen kann. Frauen und Mädchen binden sich den Mawashi über einem Ringeranzug. Die meisten Männer und Jungen tragen darunter eine enge Sporthose. Florian Ebert verzichtet darauf. Der 25-Jährige ist nackt unter dem sechs Meter langen Gürtel, der aussieht wie ein Tanga aus Feuerwehrschlauch. In Japan, sagt er, kämpfe auch keiner mit Stretchhose darunter. "Das verbietet die Tradition." Dass Mawashi in Japan niemals gewaschen werden, geht dann aber auch ihm zu weit – seiner Verlobten sowieso.
Florian Ebert aus dem brandenburgischen Königs Wusterhausen fing mit Judo an. Vor sieben Jahren lernte er bei einem Lehrgang Sumo kennen. Ein kleiner Moppel sei er schon immer gewesen, erzählt er. Früher musste er sich anhören, dass nur die Fetten und Unsportlichen zum Sumo gingen. Heute kann er über dieses Geschwätz nur lachen. Weil er weiß, wie sportlich die meisten sind.
Einen Spagat, wie ihn japanische Profis hinbekommen, schafft Florian Ebert nicht. Er trainiert andere Fähigkeiten: Kraft, Schnelligkeit, Explosivität – fünfmal pro Woche. Zudem spielt er Fußball. Als Sechser in einer Kreisligamannschaft. Gut für die Kondition, meint er. Profi-Rikishi wiegen in der Regel mindestens 150 Kilo. Konishiki Yasokichi aus Hawaii soll gar 280 Kilo gewogen haben. Florian Ebert bringt nur 138 Kilo auf die Waage. Drauflegen will er nicht. Er will sich auch so seinen Traum erfüllen: einmal an der Weltspitze mitzukämpfen.
Profis fließt der Fleißschweiß täglich mehrere Stunden übers Doppelkinn, während Florian Ebert vor dem Backofen schwitzt. Nachts um ein Uhr beginnt er in der Bäckerei, manchmal arbeitet er noch als Türsteher – für sein Ziel müsste Ebert härter trainieren, die Zeit hat er aber nicht. In Deutschland gebe es keine Profi-Sumoringer, sagt er. "Daher sind wir im weltweiten Vergleich nur im unteren Mittelfeld."
Was ihren Beruf anbelangt, so hätte die Sumoringerin Johanna Schumann schon Freiraum für ein umfangreicheres Training: Sie ist Lehrerin, unterrichtet Biologie und Sport in Heilbronn. Doch da gibt es ein geografisches Problem: Schumann fühlt sich im Süden Deutschlands ein wenig allein. Die Sumo-Szene schnauft im Norden. Sich selbst bezeichnet sie daher als "einsames, süddeutsches Sumo-Schwein". Sie hat eine Trainingspartnerin, die aber lebt in Aschaffenburg, 160 Kilometer entfernt von ihrem Wohnort. Die Strecke nimmt sie eher selten auf sich. "Hier im Süden wird zu wenig getan."
Das hängt auch damit zusammen, dass sich der deutsche Sumosport selbst auf den Füßen steht. Zwei Verbände, tief zerstritten, konkurrieren: der Deutsche Sumobund (DSB) und der Sumoverband Deutschland (SVD). Der DSB richtet die Deutsche Meisterschaft in Brandenburg aus, der SVD möchte ebenfalls einen nationalen Vergleich veranstalten. Manche Ringer nehmen an beiden Wettbewerben teil, können zweimal Deutscher Meister werden – innerhalb eines Jahres.
2012 kam es zur Spaltung: Einige Mitglieder des SVD stiegen aus und gründeten daraufhin den DSB. Es habe damals viele Unstimmigkeiten gegeben, erklärt Sandra Köppen-Zuckschwerdt. Sie ist heute Vizepräsidentin des DSB und war lange Bundestrainerin beim SVD – bis sie gefeuert wurde. Der SVD wirft Köppen-Zuckschwerdt verbale Verunglimpfung vor, behauptet, sie habe sich nicht genügend um die Sportler gekümmert. Beim SVD hält man den DSB für einen rein regionalen Sumo Verein. Der DSB kontert, er dürfe Athleten für internationale Kämpfe nominieren, sei also ein anerkannter Verband.
Johanna Schumann rollt die Augen, wenn sie auf das Hickhack der Verbände angesprochen wird. "Es könnte so leicht sein", kommentiert sie kurz, will aber nicht mehr dazu sagen – in fünf Minuten beginnt ihr Kampf. Sie tippelt von einem Fuß auf den anderen, ihre dunkelblaue Jogginghose schlabbert dazu im Takt. Sie geht in die Knie, schnellt explosionsartig hoch, tippelt, überstreckt die Handgelenke.
Beim Aufwärmen blickt Schumann zum Podest. Zwei Sportler gehen dort in Position. Bei einem wabbelt das Brustfett, beim anderen sind die Rippen zu sehen. In der Open-Kategorie dürfen Kämpfer aus verschiedenen Gewichtsklassen gegeneinander antreten. Der massige Sumoringer stürmt los, der Dünne dreht seinen Oberkörper weg, lässt seinen Gegner ins Leere laufen, stellt ihm ein Bein, der Dicke stolpert, stürzt kopfüber aus dem Ring und vom Podest, landet mit einem Rums auf dem Hallenboden.
Als der Dünne an Johanna Schumann vorbeiläuft, gibt sie ihm einen Klaps auf den Hintern. Eine Rentnerin im Publikum hat die Szene offenbar beobachtet. Sie stupst ihren Nebensitzer an, tuschelt etwas in sein Ohr, er blickt auf, zu Johanna Schumann hin, zu den Pobacken, zurück zu Schumann, grinst schelmisch.
Der Verlierer hat sich an den Seitenrand verzogen, liegt mit schmerzverzerrtem Gesicht auf einer Matte. Eine Sanitäterin eilt herbei, kramt aus der Tasche einen Eisspray und kühlt das lädierte Knie des Mannes. "Das Knie ist am Arsch", klagt der Sumoringer. "Das hab’ ich jetzt davon." Ein Athlet berichtet von gebrochenen Nasen, verstauchten Steißbeinen, verlorenen Zähnen. Ein anderer erzählt von gerissenen Kreuzbändern, maroden Gelenken, schmerzenden Hüften. Für viele liegt da der Schluss nah: Wenn Übergewichtige Sport machen, kann das nicht gesund sein.
Joachim Latsch von der Deutschen Sporthochschule Köln will dieses Pauschalurteil nicht gelten lassen. Der Oberarzt am Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin sagt, dass Sumoringer in der Regel viele Muskeln haben – Menschen mit einem überhohen muskulären Anteil lebten aber laut einer Studie unterm Strich gesünder. Gefährlich, sagt Latsch, sei es dann, wenn Übergewichtige mit dem Ringen beginnen, ohne vorher sportlich aktiv gewesen zu sein. Die Belastung für Herz, Gelenke und Kreislauf sei dann enorm und meistens schädlich.
"Fürs nächste Duell bereitet sich vor: Johanna Schumann." Als der Lautsprecher noch den Namen ihrer Gegnerin ausspricht, hat Schumann bereits die Schlabberhose ausgezogen, steht in ihrem rotem Ringeranzug und dem weißem Mawashi neben dem Podest. Sie verbeugt sich, betritt das Dohy ˉ o, schreitet vor bis zur Linie in der Kreismitte, geht in die Hocke, knetet die Hände vor ihrem Körper, als wäre darin ein Bollen Teig. Sie zeigt ihrer Gegnerin, dass sie keine Waffen bei sich trägt – ein traditionelles Ritual. Das verdeutlicht sie, indem sie mit beiden Händen einen Halbkreis über ihrem Kopf zeichnet, die Arme zur Seite streckt, leere Handflächen präsentiert.
Stille. Die Gegner fixieren sich mit den Augen, strecken die Arme nach unten an die Linie. Als alle vier Fäuste den Boden berühren, brüllt die Schiedsrichterin "Hakikoi" – der Kampf um den Titel beginnt. Johanna Schumann schnellt aus der Hocke hoch, packt ihre Gegnerin am Hals, greift ihr mit der anderen Hand an den Gurt, wird zurückgedrängt, stemmt sich gegen die Begrenzung des Kreises, schiebt. Schumanns Mutter feuert sie an. In der Mitte des Kreises beharken sie sich mehrere Sekunden. Plötzlich reißt Schumann einen Fuß nach vorne, stellt ihn zwischen die Füße der Gegnerin, zieht die Kontrahentin zu sich, die stolpert, das Gleichgewicht verliert, mit den Händen voraus auf den Boden fällt. "Shobu atta", schreit die Schiedsrichterin, der Kampf ist zu Ende.
Wenig später sitzt Johanna Schumann mit einer Medaille um den Hals neben ihrer lächelnden Mutter. "Hat sich der weite Weg doch gelohnt", sagt die Sumoringerin. Dann packt sie ihre Sporttasche, ihre Mutter reicht ihr ein Stück Marmorkuchen. Gegen den Hunger auf der langen Rückfahrt.
Kommentare
Liebe Leserinnen und Leser,
leider können Artikel, die älter als sechs Monate sind, nicht mehr kommentiert werden.
Die Kommentarfunktion dieses Artikels ist geschlossen.
Viele Grüße von Ihrer BZ