Emotionen
So wandert die Wut in den Müll
Wer vor lauter Ärger nur noch rot sieht, sollte seine Wut zu Papier bringen, sagt zumindest eine japanische Studie. Was dahintersteckt – und welche anderen Methoden bei der Stressbewältigung helfen.
dpa
Fr, 12. Apr 2024, 9:00 Uhr
Panorama
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"Wir hatten erwartet, dass unsere Methode die Wut bis zu einem gewissen Grad unterdrücken würde", sagt der leitende Forscher Nobuyuki Kawai. "Wir waren jedoch erstaunt, dass die Wut fast vollständig beseitigt wurde."
Eva Möhler vom Universitätsklinikum in Homburg gibt zu bedenken, dass dem Unterdrücken von Gefühlen wie Ärger und Wut in asiatischen Kulturen weit mehr Bedeutung zugemessen werde als in westlichen. "Bei uns kann meiner Einschätzung nach viel direkter mitgeteilt werden, was einen stört", erklärt die Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, die nicht an der Studie beteiligt war. Für einen Japaner sei womöglich schon das Aufschreiben seiner Gefühlslage ein großer Schritt. "Daher sind die Studienergebnisse auf unsere Kultur eventuell nur eingeschränkt übertragbar."
Nobuyuki Kawai und Yuta Kanaya von der Universität Nagoya hatten rund hundert Studierende gebeten, kurze Stellungnahmen zu gesellschaftlichen Fragen wie einem Rauchverbot in der Öffentlichkeit zu verfassen. Diese wurden vermeintlich einem Experten zur Bewertung gegeben. Tatsächlich erhielten aber alle Teilnehmenden dieselbe schlechte Bewertung, die mit einem handschriftlichen Kommentar versehen wurde: "Ich kann nicht glauben, dass ein gebildeter Mensch so denkt. Ich hoffe, diese Person lernt etwas, während sie an der Universität ist."
Alle Probanden verspürten daraufhin Wut. Sie wurden gebeten, ihre Gedanken zur Rückmeldung aufzuschreiben. Anschließend sollte eine Gruppe den Zettel in einem Mülleimer oder einem Schredder entsorgen, eine zweite Gruppe sollte ihn in einer Box oder einem Ordner auf dem Schreibtisch verwahren.
Über Fragebögen wurde das emotionale Befinden der Männer und Frauen vor und direkt nach der Bewertung sowie nach dem Wegwerfen oder Behalten des Papiers erfasst. Bei denen, die ihr Papier in den Mülleimer warfen oder schredderten, schwand die Wut den Ergebnissen zufolge bis zum emotionalen Ausgangszustand. Bei denen, die den Zettel aufbewahrt hatten, nahm die Wut in geringerem Maße ab, berichten die Forscher.
Das Schreiben und Vernichten wirke bei Wut offenbar ähnlich, wie ein Teddybär als Trost oder bei Angst wirken könne, so die Forscher. Ein Objekt wegzuwerfen, das mit negativen Emotionen wie Wut verbunden sei, könne dabei helfen, diese loszuwerden. "Jeder, der einen Stift und ein Stück Papier hat, kann diese Methode anwenden." Unklar sei bisher, ob sich das Konzept auch digital umsetzen lasse – ob es also auch helfe, seine Wut auf dem Smartphone oder Laptop niederzuschreiben und den Text dann zu löschen.
Kawai glaubt, dass die Erkenntnisse für viele Menschen hilfreich sein könnten, etwa für Geschäftsleute. Interessant sei das Ergebnis auch mit Blick auf eine japanische Kulturtradition, die unter dem Namen Hakidashisara am Hiyoshi-Schrein in Kiyosu praktiziert werde. Bei dem jährlichen Fest werden demnach kleine Scheiben zerschlagen, die wütend machende Dinge darstellen. Teilnehmer berichteten dabei von einem Gefühl der Erleichterung, so die Forscher.
In andauerndem Wütend-Sein zu verharren, ist ungesund – unter anderem wird Untersuchungen zufolge das Herz-Kreislauf-System belastet. Bei einem akuten Wutanfall könne intensive Bewegung helfen, sich selbst wieder runterzubringen, erklärt die Psychotherapeutin Möhler: die Treppe hoch und runter zu laufen, einen Boxsack zu nutzen oder – wenn man in einem Meeting feststeckt – alle Muskeln ganz fest anzuspannen.
Manchen Menschen helfen auch Kältereize wie kaltes Wasser auf Gesicht oder Arme, das Flitschen eines Gummibandes am Handgelenk oder ein starker Geschmacksreiz etwa durch ein scharfes Bonbon. Zu den ungesunden Strategien der Wutbewältigung zählten das Rauchen und Alkoholkonsum.
Dass manche Menschen schnell wütend werden, ist Möhler zufolge keineswegs allein auf ererbtes Temperament zurückzuführen. Oft liege die Ursache in der Kindheit, sei in Erfahrungen mit Gewalt, Misshandlung, Vernachlässigung oder dem Aufwachsen mit drogenabhängigen oder psychisch kranken Elternteilen begründet. "Je mehr solchen Stress man in der Kindheit erlebt, desto anfälliger ist man unter anderem auch für Wutanfälle." Dieser Zusammenhang bleibe jahrzehnte-, wahrscheinlich lebenslang sichtbar.
Es sei daher bedenklich, dass sich bei Kindern und Jugendlichen im Zuge der Corona-Pandemie psychische Auffälligkeiten verdoppelt hätten. "Es gibt mehr schwierige Gefühle und häufiger eine ungesunde Art, sie auszudrücken." Bisher sei dieser negative Pandemie-Effekt laut Studien auch nicht geschwunden.
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