Hamburg
"Wunder von Bern" eröffnet als Musicaltheater
"Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen – Rahn schießt …" Jubel brandet auf, begeistert erhebt sich das Publikum von seinen Plätzen – nein, nicht im Berner Wankdorfstadion, sondern im Hamburger Stage Theater an der Elbe.
Di, 25. Nov 2014, 0:01 Uhr
Theater
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Eingespannt in von der Decke hängenden Gurten spielen die Darsteller der Kicker, scheinbar auf der zum Fußballfeld umgewandelten LED-Rückwand der Bühne laufend, die entscheidenden Szenen in der Vertikale im freien (Luft-)Raum nach. Spektakulär – und doch ist diese Idee am Ende nur ein weiterer, wenn auch gewichtiger Spielzug in einem höchst stimmigen Gesamtkonzept. Die eigentliche Geschichte ist seit Sönke Wortmanns gleichnamigem Kinofilm wohl bekannt: Im Mittelpunkt steht der neunjährige Matthias Lubanski aus dem Ruhrpott, dessen Vater Richard 1954 aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrt und feststellen muss, dass er und seine Familie sich in den vielen Jahren entfremdet haben. Zwei Welten prallen da aufeinander: Hier der traumatisierte Soldat, der mit der Rock’n’Roll-Begeisterung seines älteren Sohnes Bruno ebenso wenig anzufangen weiß, wie mit der Fußball-Leidenschaft des jüngeren, der dem "Boss" Helmut Rahn daheim bei Rot-Weiß Essen die Sportsachen trägt. Dort die Ehefrau und die Tochter, die gemeinsam die Kneipe "Christas Eck" betreiben und sich plötzlich mit dem Familienoberhaupt-Anspruch ihres Mannes und Vaters konfrontiert sehen. Wie Wortmann setzen auch die Musical-Macher auf die bewegende Vater-Sohn-Geschichte – und landen damit einen Volltreffer.
Natürlich sind da wie immer bei den Produktionen des Musical-Riesen Stage Entertainment (SE) die beeindruckenden Bühnenbilder mit rauchenden Ruhrpott-Schloten im Hintergrund oder Schweizer Bilderbuch-Panoramen; schmissig-witzige Choreographien mit der Herberger-Elf und Trickfußballern, rasche Szenenwechsel sowie geschickte Übergänge zwischen schwarz-weißen Originalbildern und knallig-bunten Petticoats. Doch vor allem hat Mehmert zwei Co-Trainer an seiner Seite, die die bekannte Geschichte in ein einzigartiges Musical-Erlebnis verwandeln: Frank Ramond – der sonst für Ina Müller, Annett Louisan und Roger Cicero schreibt – erzählt in seinen Songtexten nämlich nicht nur sehr emotional die Annäherung von Vater und Sohn, ihm gelingt es zudem, in seinen Zeilen ein Stück Zeitgeschichte erfahrbar zu machen, ohne dabei ins Platte oder Pathetische abzugleiten. Und Martin Lingnau hat hierzu eine Musik komponiert, die sich verschiedenster Genres und Stile bedient, schlichte Balladen und temporeiche Beats klug verbindet, ohne auch nur eine Nummer lang das Gefühl "Tausendmal gehört" aufkommen zu lassen. Anders als beim Schiffbruch mit der "Titanic" oder dem "Schuh des Manitu" könnte mit diesem Stück vertonter Zeitgeschichte die Rechnung für die 15 Millionen Euro teure Eigenproduktion diesmal aufgehen, sagt Jürgen Schmude, Professor für Wirtschaftsgeographie und Tourismusforschung. "Auf dem deutschen Markt funktionieren Themen, die wie hier Schicksale und Historie aufbereiten."
Mit dem 50 Millionen Euro teuren Neubau an der Elbe hat die SE nicht nur ihre vierte Spielstätte in der Hansestadt eröffnet, sondern auch die Basis für bis zu 650 000 zusätzliche Besucher pro Jahr gelegt. Das Publikum dürfte nicht allein ob des Musicals in Scharen in den mit 7500 Edelstahlschindeln bedeckten Bau strömen: Bietet sich doch aus der bis zu zwölf Meter hohen Glasfassade des zweigeschossigen Foyers am Abend ein imposanter Blick über die Elbe auf Hafen und Skyline der Stadt samt der benachbarten Elbphilharmonie.
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