Anschlag

Wirr, radikal und drohend: Der Täter von Magdeburg war den Behörden bekannt

Sein Vorgehen erinnerte an islamistische Attentäter. In dieses Raster passt der Täter von Magdeburg zwar nicht, doch auffällig war er. Was folgt daraus?  

Zu den Kommentaren
Mail

Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen

Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.

Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.

Akzeptieren
Mehr Informationen
1/2
Magdeburg am Samstagabend: Tabel A. (Mitte) wird von Beamten ins Justizzentrum Magdeburg gebracht. Foto: Christoph Soeder (dpa)
Nach dem tödlichen Anschlag von Magdeburg bemühen sich die Behörden weiter um Aufklärung. Wie die Deutsche Presse-Agentur aus Sicherheitskreisen erfuhr, verdichten sich die Hinweise auf eine psychische Erkrankung des Täters Taleb A. Zuletzt hatte sich dieser in sozialen Medien zunehmend wirrer und radikaler zu Wort gemeldet. In einem Interview zeigte sich der 50-Jährige jüngst als Fan von X-Inhaber Elon Musk und der AfD, die die gleichen Ziele wie er verfolge – bezeichnete sich aber als politisch links.

Generalbundesanwalt lehnt Übernahme des Verfahrens vorerst ab

Für die Einschätzung, dass der Täter psychisch beeinträchtigt ist, spricht auch die Entscheidung, dass das Verfahren vorerst weiter in Sachsen-Anhalt geführt wird. Der Generalbundesanwalt habe die Übernahme des Verfahrens abgelehnt, sagte Justizministerin Franziska Weidinger (CDU). Stattdessen hat nun die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg übernommen. Sie spricht von einer Amokfahrt, die Ermittler halten aber auch den Begriff Anschlag für zutreffend. Der Generalbundesanwalt ist zuständig für Verfahren im Bereich des Staatsschutzes, also der politisch motivierten Kriminalität.

Taleb A. war am Freitagabend mit einem Auto über den Weihnachtsmarkt von Magdeburg gerast und hatte fünf Menschen getötet und mehr als 200 verletzt. Der Arzt aus Bernburg südlich von Magdeburg stammt aus Saudi-Arabien, lebt seit 2006 in Deutschland und erhielt 2016 Asyl als politisch Verfolgter. Er war in den vergangenen Jahren an verschiedenen Stellen aufgefallen. Er sitzt in Untersuchungshaft.

Zahl der Verletzten gestiegen

Die Zahl der Verletzten hat sich nach Informationen der Staatsanwaltschaft inzwischen erhöht. Sie liege nun bei bis zu 235, sagte ein Sprecher in Magdeburg. Es hätten sich noch Menschen in der Uniklinik und bei Ärzten gemeldet. Nicht auszuschließen sei aber, dass es Doppelzählungen gegeben habe. Bislang war von 200 Verletzten ausgegangen worden. Die Zahl der Todesopfer liegt weiter bei fünf. Bei dem Anschlag wurden ein neunjähriger Junge sowie vier Frauen im Alter von 45 bis 75 Jahren getötet.

"Spiegel"-Bericht: Testament in Auto gefunden

Nach Informationen des "Spiegel" fanden die Ermittler nach der Tat in dem Auto das Testament des Täters. Darin soll Taleb A. dem Bericht zufolge geschrieben haben, dass nach seinem Tod sein Vermögen an das Deutsche Rote Kreuz übergehen soll. Politische Botschaften waren laut "Spiegel" nicht in dem Dokument.

Den zuständigen Bundesbehörden war Taleb A. seit spätestens Anfang 2015 ein Begriff. Wie das Innenministerium in Schwerin auf Anfrage mitteilte, informierten Vertreter des Landes Mecklenburg-Vorpommern im von Bund und Ländern getragenen Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum das Bundeskriminalamt am 6. Februar 2015 über mögliche Anschlagsabsichten des aus Saudi-Arabien stammenden Mannes.

Anlass für die Meldung seien dessen Drohungen gegenüber der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern im April 2013 und ein Jahr später auch gegen eine Kommunalbehörde in Stralsund gewesen, Handlungen vorzunehmen, die internationale Beachtung fänden.

Nach Angaben von Innenminister Christian Pegel (SPD) lebte der heute 50-Jährige von 2011 bis Anfang 2016 in Mecklenburg-Vorpommern und absolvierte in Stralsund Teile seiner Facharzt-Ausbildung. Mit der Landesärztekammer habe es Streit um die Anerkennung von Prüfungsleistungen gegeben. Gegenüber der Sozialbehörde in Stralsund habe er versucht, mit Drohungen die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt durchzusetzen.

Gefährderansprachen im Dezember scheiterten

Laut Pegel hatte das Amtsgericht Rostock Taleb A. wegen der Drohungen gegenüber der Ärztekammer zu einer Geldstrafe verurteilt. Die vorhergehenden Ermittlungen hätten jedoch keine Hinweise auf reelle Anschlagsvorbereitungen ergeben und auch keine islamistischen Bezüge offenbart. Nach dem Vorfall in Stralsund sei der Mann im Rahmen einer sogenannten Gefährderansprache von der Polizei auf Konsequenzen hingewiesen worden. Ihm sei gesagt worden, dass man einen sehr viel genaueren Blick auf ihn haben werde. Als Gefährder sei der Mann aber nicht eingestuft worden, sagte Pegel.

Erst im September 2023 und Oktober 2024 seien sogenannte Gefährderansprachen durchgeführt worden, sagte Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang im Ältestenrat in Magdeburg. Das Gespräch im vergangenen Jahr sei im Polizeirevier Salzlandkreis durchgeführt worden. Das Gespräch in diesem Jahr sei auf der Arbeitsstätte erfolgt, sagte die CDU-Politikerin.

Die Hintergründe zu den Gefährderansprachen blieben auch auf Nachfrage der Abgeordneten zunächst offen. Zieschang sagte, der jeweiligen Zusammenhang solle im vertraulichen Teil der Sitzung dargestellt werden.
Wie die dpa nach der Sitzung erfuhr, soll die Ansprache in Zusammenhang mit einer Bedrohung stehen. Der Mann soll einen Rechtsanwalt, der ihn einst in einem Verfahren vertreten hatte, bedroht haben. Nachdem Anzeige gestellt wurde, suchte die Polizei den Mann auf der Arbeit auf.

Zieschang: Ermittlungen nach einem Post

Taleb A. war in den vergangenen Jahren an verschiedenen Stellen aufgefallen. Zieschang sagte, nach einem Post des Mannes auf der Plattform X am 1. Dezember 2023 habe die Polizei Ermittlungen aufgenommen. In diesem Zusammenhang hätten die Beamten ebenfalls versucht, eine Gefährderansprache durchzuführen. Weder am 2. Dezember noch am 4. Dezember 2023 sei der Mann angetroffen worden, sagte Zieschang. Das Verfahren wurde demnach später eingestellt.

Am Samstag hatte bereits der Direktor der Magdeburger Polizeiinspektion, Tom-Oliver Langhans, von einer Strafanzeige und dem Versuch einer Gefährderansprache berichtet. Er nannte keine Details, das Verfahren liege bereits ein Jahr zurück.
Mit einer Gefährderansprache will die Polizei signalisieren, dass sie einen potenziellen Straftäter im Blick hat und fordert ihn auf, ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen.

Auch in den Monaten vor der Tat hatte die Polizei noch Kontakt zu dem Mann, diesmal in Sachsen-Anhalt. Im September 2023 und Oktober 2024 seien Gefährderansprachen durchgeführt worden, sagte Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang im Ältestenrat in Magdeburg, ohne Details zu nennen.

Durchs Raster gefallen?

Am kommenden Montag wollen sich der Bundestags-Innenausschuss und das Parlamentarische Kontrollgremium für die Nachrichtendienste in Berlin zu Sondersitzungen treffen. Der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle hält die Behörden zum Teil für überfordert. Die Raster dort passten auf Täter, die bestimmte islamistische, rechtsextreme oder linksextreme Motive haben, sagte er im Deutschlandfunk.

"Nach dem, was bisher bekannt ist, waren seine politischen Äußerungen jedoch so wirr, dass kein sicherheitsbehördliches Schema auf ihn passte."Volker Wissing
Es gebe aber eine "Ohnmacht", wie mit Menschen umgegangen werden soll, die über Jahre in wirrer Art und Weise auch Gewaltdrohungen äußerten und etwa unter Verfolgungswahn litten und psychische Probleme haben. Deren Zahl sei "durchaus groß", so Kuhle. Wenn es dann noch so viele unterschiedliche Zuständigkeiten bei den Behörden gebe, fielen solche Täter durchs Netz.

Der geschäftsführende Bundesjustizminister Volker Wissing (parteilos) äußerte sich ähnlich und wies auf Auffälligkeiten des späteren Täters hin. "Nach dem, was bisher bekannt ist, waren seine politischen Äußerungen jedoch so wirr, dass kein sicherheitsbehördliches Schema auf ihn passte", sagte Wissing.

"Ich halte es für möglich, dass wir daraus Konsequenzen für unsere Sicherheitsarchitektur ziehen müssen. Und ich halte es für geboten, dass wir darüber eine ernsthafte Debatte führen", so Wissing. Es seien aber noch viele Fragen offen.
Todesfahrt von Magdeburg: Eine Stadt und das "Warum?"

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare

Liebe Leserinnen und Leser,
die Kommentarfunktion ist aktuell geschlossen, es können keine neuen Kommentare veröffentlicht werden.

Öffnungszeiten der Kommentarfunktion:
Montag bis Sonntag 6:00 Uhr - 00:00 Uhr

Stephan Flad

2807 seit 9. Apr 2020

Herr Rapp, das sehe ich genauso. Zugleich merke ich, dass ich erschreckenderweise meine bisherige Haltung zu den Zugriffs- und Überwachungsbefugnissen des Staates zumindest teilweise revidieren muss. Die Digitalisierung der modernen Welt lässt die Bedenken, die uns zum Boykott der Volkszählung in den frühen 80er Jahren veranlasst haben, naiv erscheinen. Die Möglichkeiten der Radikalisierung durch das Internet und die dadurch entstehenden Meinungs- und Ideologieblasen, deren Wirksamkeit wir z.B. durch die Wahl Trumps erleben müssen, machen Kontrollmechanismen durch den Staat nötig, die weit über Orwell hinausgehen. Der Schutz der demokratischen Gesellschaft erzwingt potentiell undemokratische Maßnahmen. Wir scheinen gefangen zwischen Skylla und Charybdis: Wie viel Überwachung ist noch legitim, um die demokratische Gesellschaft zu schützen, ohne deren Grundlagen zu untergraben? Manchmal neige ich leider dazu, Kohls Sentenz etwas abzuändern und von der „Gnade der frühen Geburt“ zu reden. Dann kommen mir meine Kinder und Enkel in den Sinn – umso wichtiger scheint mir dann der Kampf gegen Antidemokraten hier im Forum und „draußen“ in der Politik.

Heinrich Franzen

12314 seit 24. Feb 2010

@ Herr Flad, was Sie befürchten ist nicht undemokratisch. Ist Nacktheit verwerflich? Nein, nur deren Vermarktung und deren Mißbrauch. Mein Kontostand, meine Steuererklärung sind kein Geheimnis. Meine Einkünfte ließen sich sowohl am Maaten-Winkel wie später an den Ärmelstreifen ablesen.
Transparenz haben nur die zu fürchten, die im Trüben zu fischen geneigt sind.


Weitere Artikel