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Kesseltreiben statt Diskussionskultur

Wie die Badische Zeitung wegen einer Geschichte über die Ursprünge eines Freiburger Bettenhauses zur Zielscheibe einer Kampagne wurde / Internet als Pranger  

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Im Netz gedieh die Empörung besonders ... Medien griffen den Nicht-Skandal auf.  | Foto: nnn
Im Netz gedieh die Empörung besonders gut, andere Medien griffen den Nicht-Skandal auf. Foto: nnn
"Jubiläum aus dem Nichts" war am 21. Juli 2018 die Titelgeschichte im BZ-Wochenendmagazin überschrieben, in der es um die Vorgeschichte des Freiburger Bettenhauses Striebel ging – und darum, dass die heutigen Inhaber darauf bei der Feier des 80-jährigen Bestehens ihrer Firma nicht eingegangen waren. Bis heute halten sich im Zusammenhang mit diesem Beitrag Gerüchte und haltlose Spekulationen, die auch durch eine Kampagne – im Internetzeitalter leider leicht zu befeuern – und oberflächliche Berichte in anderen Medien immer neu angeheizt werden. Deshalb hier einige Anmerkungen zur Klarstellung:

Der damalige Text unseres früheren leitenden Redakteurs Bernd Serger war zwar fraglos gründlich recherchiert. Gleichwohl enthielt er gravierende journalistische Mängel. Suggeriert wurde, hier habe ein Geschäftshaus in einer großen Jubiläumsbeilage seine Geschichte gefeiert und dabei die jüdischen Ursprünge des Unternehmens böswillig unterschlagen. Tatsächlich handelte es sich bei der Beilage um ein simples Bettenprospekt mit Sonderangeboten. Dem beigefügt war ein kurzer Rückblick aus der Perspektive der Inhaber, die das Geschäft Jahrzehnte nach Ende des Hitler-Regimes gekauft hatten und mit der sogenannten Arisierung nicht das Geringste zu tun hatten. Aus der Haltung der Inhaber heraus, schon aufgrund des eigenen Unbeteiligtseins keine Auskunft über Dinge geben zu wollen, über die sie im Detail ohnehin nicht Bescheid wussten, machte Herr Serger eine Story, in der Meinung und Darstellung munter vermischt wurden. Dies mag der Autor als aufklärerischen Akt verstanden haben, es änderte aber nichts daran, dass dabei journalistische Maßstäbe verrutschten: der Sinn für Maß, Gewichtung und Differenzierung sowie Fairness gegenüber den Betroffenen.

Zweifellos gibt es die Auffassung, dass bei der Aufbereitung von Geschehen in der Nazi-Zeit prinzipiell jede Rücksichtnahme verboten sei. Denn steckt darin nicht der Keim der Relativierung? Wird dadurch NS-Unrecht nicht verharmlost? So berechtigt dieser Einwand ist, darf er doch nicht dazu verleiten, Täter, Mitläufer und Unbeteiligte in einen Topf zu werfen. Denn das dient nicht der Aufklärung, sondern vernebelt Verantwortlichkeiten. Wenn schon das Desinteresse eines Unbescholtenen an der Vergangenheit mit zwei bissig formulierten Zeitungsseiten medial "geahndet" wird, wie sollte man dann eigentlich noch über wirkliche NS-Täter berichten?

Schlimm genug, dass der Beitrag aufgrund der Gedankenlosigkeit eines Redakteurs ins Blatt fand – worauf die Inhaber in ihrem Geschäft mehrfach übel als vermeintliche Antisemiten beschimpft wurden. Hätte die Redaktion vorher gründlicher gearbeitet, hätten wir den Beitrag nochmals mit dem Autor besprochen und mutmaßlich einvernehmlich in einigen Passagen anders formuliert. So aber blieb der Chefredaktion nach Lektüre des erschienenen Textes nur die Chance, den Beitrag nicht auch noch online zu publizieren, um den Betroffenen wenigstens den Internet-Pranger zu ersparen.

Im Nachhinein musste ich lernen: Dieser Versuch hat nicht funktioniert. Nicht nur machte der Autor daraus den wahrheitswidrigen Vorwurf der Löschung. Zugleich wurde die verleumderische Behauptung aufgestellt, die Badische Zeitung oder ich persönlich als Chefredakteur habe aus Furcht vor dem Verlust eines Anzeigenkunden zur Zensur gegriffen. Das Angebot eines Gesprächs nahm der Autor nicht an. Stattdessen startete er Monate später eine Kampagne auf Facebook, die prompt von anderen Medien aufgegriffen wurde. Und selbstverständlich wurde der bei uns in großer Auflage erschienene Text auch andernorts im Netz publiziert.

Letztlich führte dieses Verhalten dazu, dass von einem Vertrauensverhältnis zu unserem Ex-Redakteur keine Rede mehr sein konnte. Ohne ein solches ist aber eine Zusammenarbeit undenkbar, so bedauerlich das angesichts dessen früherer Tätigkeit für die BZ erscheint. Herr Serger konstruierte daraus nun unlängst den Vorwurf eines "Schreibverbots". Ein vergifteter Begriff, den mehrere Medien prompt aufgriffen.

Ich stelle fest: Ein Schreibverbot gibt es nicht. Allerdings ist eine Zeitung in der Wahl ihrer Mitarbeiter frei. Jemanden zu beschäftigen, und sei es nur als gelegentlichen freien Autor, der dem eigenen Haus Schaden zufügt, ist keinem Unternehmen zuzumuten – auch uns nicht.

Bleibt die Frage, ob es nicht einfacher gewesen wäre, den Text trotz fachlicher Bedenken ebenfalls online zu publizieren – schließlich war er ja bereits gedruckt und auch im E-Paper digital verfügbar? Vermutlich wäre es für uns als Zeitung jedenfalls "bequemer" gewesen. Wir hätten in der Wahrnehmung mancher Kreise besser dagestanden, die Inhaber des Bettenhauses hätten dafür noch mehr Beschimpfungen abgekriegt und womöglich die eine oder andere Matratze weniger verkauft. Aber wäre das – altmodisch ausgedrückt – anständig gewesen?

In der jüngsten Internetdebatte zogen Kommentatoren ungeniert direkte Linien von den Inhabern zu KZ-Mitarbeitern – ein Aberwitz! Mich selbst fragte ein in Freiburg nicht unbekannter Jurist und Professor per Mail, ob ich angesichts meines Verhaltens in der Causa Serger/Striebel wohl auch AfD-kritische Leserbriefe unterdrücke – eine ehrabschneidende Unterstellung. Es ist dieser Debattenstil scheinbar aufklärerischer, fortschrittlicher Zeitgenossen, der letztlich jede vernünftige Auseinandersetzung verhindert. Kesseltreiben ersetzt jede konstruktive Diskussionskultur.

Trotz alledem: Das Aufbereiten zeitgeschichtlicher Themen ist und bleibt für uns als Badische Zeitung eine wichtige Aufgabe. Und gerade das dunkle Kapitel der Hitler-Zeit verdient – jenseits unserer vielen aktuellen Themen – Aufmerksamkeit und gründliche Recherche. Allerdings müssen journalistische Standards durchgängig gelten. Genau darum werden wir uns auch in Zukunft bemühen.

Übrigens: Der Mail-Schreiber hat sich später entschuldigt. Es gibt also noch Hoffnung.

Ressort: Kommentare

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 15. Juni 2019: PDF-Version herunterladen

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