"Wir sind alle Fußball-Nerds"
FUDDER-INTERVIEW mit Tobias Escher vom Blog spielverlagerung.de, das sich der Analyse von Fußballtaktiken widmet.
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Während der EM gibt es in Deutschland 80 Millionen Bundestrainer, jeder gibt seinen Senf dazu. Einige haben dabei weniger Ahnung, andere mehr. Zu letzteren zählen sicherlich Tobias Escher und seine Kollegen, die auf spielverlagerung.de Fußballspiele taktisch analysieren. Maria-Xenia Hardt hat mit dem Studenten gesprochen.
Tobias Escher: Es ist erst mal ein Nischenthema, nichts, wo Millionen Menschen zu Hause sitzen und dann total begeistert sind. Bei mir hat das so angefangen, dass ich mich gefragt habe: Wie funktioniert Fußball genau? Was steckt dahinter? Was denken sich die Trainer?
Fudder: Gibt es einen Trainer, den Sie besonders bewundern?
Escher: Da gibt’s viele. Es ist nicht mehr so wie vor 20 Jahren, dass es da ein, zwei innovative Trainer gibt und der Rest motiviert die Jungs nur. Heute haben die Trainer schon alle Ahnung. Vorne dabei ist natürlich Pep Guardiola, der ehemalige-Barcelona-Trainer, der in den letzten Jahren immer wieder viele neue Dinge im taktischen Bereich erfunden hat.
Fudder: Gab es bei der EM ein Spiel, bei dem solche Neuerungen zu beobachten waren?
Escher: Da ist das Spiel Italien gegen Spanien zu nennen. Das war nicht nur spielerisch hochwertig und schnell, sondern auch taktisch sehr interessant: Italien spielte mit einer Mischung aus Dreier- und Fünferkette, Spanien ohne Stürmer, das war schon überraschend. Generell sind taktische Neuerungen bei Nationalteams so eine Sache. Weil Nationalmannschaften doch relativ wenig Zeit zum Trainieren haben, entstehen Neuerungen eher im Clubfußball. Italien und Spanien waren schon sehr interessant, ansonsten erwarte ich keine größeren Überraschungen mehr.
Fudder: Gibt es auch Partien, die ein normal an Fußball interessierter Zuschauer langweilig findet, die aber unter taktischen Gesichtspunkten sehr interessant sind?
Escher: Klar, das gibt es. Wenn zwei Mannschaften in der Abwehr gut funktionieren und es wenige Torchancen gibt, dann ist es für viele langweilig. Ich versuche dann immer herauszufinden: Was machen die so gut? Verschieben die? Und das kann sehr interessant sein. Zum Beispiel das Spiel Deutschland-Portugal haben ja viele als langweilig empfunden. Ich fand das sehr spannend, weil sehr geschickt verteidigt wurde.
Fudder: Da haben Sie ja Glück gehabt, dass Sie das Deutschland-Spiel abbekommen haben! Wie werden die Spiele denn unter den sechs Spielverlagerern verteilt?
Escher: Wir haben uns vor dem Turnier entschlossen, alle Spiele abzudecken. Da muss natürlich auch mal jemand in den sauren Apfel beißen. Dafür bekommt er dann als Ausgleich auch ein gutes Spiel ab. Ich durfte zum Beispiel Deutschland-Portugal machen, musste dann aber auch Schweden gegen Ukraine übernehmen.
Fudder: Wenn Sie so ein Spiel analysieren, gerade mit eher unbekannten Teams, wie gehen Sie da vor?
Escher: Das Wichtigste ist die Vorbereitung. Wenn man während des Spiel nachschauen muss, wie dieser oder jener Spieler heißt, hat man natürlich ein Problem. Deshalb sollte man auch immer schon ein, zwei Spiele der Mannschaft gesehen haben, sonst ist das extrem schwer. Wenn man ein Team kennt, hat man eine gewisse Erwartung und dann kann man die Erwartung mit dem vergleichen, was man da sieht. Das Spiel an sich schau ich mir nur einmal an, spule aber immer mal wieder vor und zurück, sodass es nicht 90, sondern auch schon mal 120 Minuten dauern kann.
Fudder: Wie viel Zeit geht während der EM insgesamt für spielverlagerung.de drauf?
Escher: Das ist schon eine Sondersituation, weil jeden Tag ein Spiel ist – und man schaut ja nicht nur die, die man analysiert. Nächste Woche bin ich für Italien-Kroatien zuständig und dafür muss ich natürlich auch die ersten beiden Spiele der Teams gesehen haben. Es läuft darauf hinaus, dass man jedes Spiel sieht. Aber man macht's ja auch gerne und ich würde mir sowieso alle Spiele anschauen.
Fudder: Jedes EM-Spiel schauen, 6000 Wörter Analyse über das Champions-League-Finale – warum machen Sie das?
Escher: Wir sind alle Fußball-Nerds, das ist alles aus der Liebe zur Sache entstanden. Wir machen das, weil wir Fußball lieben und weil wir unser Thema vertreten möchten. Wir möchten den Leuten zeigen: So kann man’s auch sehen, aus einem taktischen Blickwinkel.
Fudder: Auch die Fernsehsender versuchen sich immer mehr in der taktischen Analyse. Wie gut sind die Einschätzungen von Beckmann, Kahn & Co.?
Escher: Das ist nicht immer schlecht, wobei es natürlich Unterschiede gibt. Wenn Deutschland spielt und es schauen 20 Millionen zu, dann kannst du auch nicht so ins Detail gehen. Bei Nischenspielen, die ohnehin nur von Nerd geguckt werden, würde ich mir wünschen, dass man mehr macht. Die Leute, die das schauen, haben auch das entsprechende Interesse. Ich selbst schaue mir während der EM aber Vor- und Nachberichte eher nicht an, dazu fehlt mir die Zeit.
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