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"Wir galten als vom Staatsfeind verführte jugendliche Narren"

JUZ-INTERVIEW mit dem 80-jährigen Widerstandskämpfer Franz Joseph Müller, der als Abiturient Weiße-Rose-Flugblätter verteilte und dafür ins Gefängnis kam.  

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Franz Joseph Müller wird dieser Tage 80 Jahre alt. Als Abiturient hat er in Ulm das 5. Flugblatt der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" weiterverteilt und wurde daraufhin zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Heute lebt er in München, ist Ehrenmitglied der Weißen-Rose-Stiftung und besucht als Zeitzeuge Schulklassen und Diskussionsrunden. Für die JuZ sprach Nakissa Salavati mit ihm.

JuZ: Wie kamen Sie als Abiturient an die Weiße-Rose-Flugblätter?
Franz Joseph Müller: Die Flugblätter hat Sophie Scholl meinem Schulfreund und Klassenkameraden Hans Hirzel übergeben und wir beide haben sie dann weiterverteilt.

JuZ: Haben Sie die Verfasser der Flugblätter persönlich gekannt?
Müller: Nur vom Sehen in der Stadt, Ulm ist nicht groß. Sophie und Hans Scholl gehörten zum evangelischen Lager, ich gehörte zum katholischen. Das hat komischerweise eine Rolle gespielt. Also vom Sehen kannte ich sie.

JuZ: Warum wurden Sie "nur" zu einer Gefängnisstrafe und nicht, wie andere Weiße-Rose-Mitglieder, zum Tode verurteilt?
Müller: Verurteilt und hingerichtet wurden sieben. Die nicht zum Tode verurteilt wurden, waren in der Mehrzahl. Zum Beispiel in dem Volksgerichtshofprozess, in dem ich war, sind drei Todesurteile gefällt worden und die anderen zehn Angeklagten haben Zeitstrafen bekommen. Das war im Ganzen natürlich relativ willkürlich. Wir Jüngeren, zum Beispiel, hatten ja kein Flugblatt verfasst, wir haben es verteilt. Wir waren also nach einer Formulierung des Volksgerichtshofs "von Staatsfeinden verführte, jugendliche Narren".

JuZ: Als Sie neun Jahre alt waren, kam Hitler an die Macht. Welchen Einfluss hatte das auf Ihren Alltag?
Müller: Eigentlich keinen, außer, dass man "Heil Hitler" sagen musste und dass man dann mit 11 oder 12 Jahren ins Jungvolk gehen sollte. Das Jungvolk waren die bis zu 14-Jährigen.

JuZ: Wie informiert waren Sie - und wie war die Reaktion bei Ihnen zu Hause auf die politische Situation?
Müller: Ich hab' natürlich Zeitung gelesen, war dann im Jungvolk - mit den entsprechenden Ansprachen. Aber dann gab es auch katholische Pfarrer, die was anderes gesagt haben. Und es gab meine Mutter, die Gegnerin des Nationalsozialismus war. Und meinen Vater, der natürlich immer Angst hatte, dass er gekündigt wird. Also ging er in die Partei. Und meine Mutter sagte zu ihm schon 1932: "Hoffentlich tut dir das nicht mal leid!"

JuZ: Wurde mit Freunden offen geredet?
Müller: Nur mit zwei, drei - und die kamen eher aus dem katholischen Bereich. Einer gehörte damals dazu, mit dem wurde ich später verurteilt: Hans Hirzel.

JuZ: Wussten Ihre Eltern von Ihrem Engagement im Widerstand?
Müller: Nicht einen Hauch, nichts. Das wäre ja Wahnsinn gewesen, die hätten nicht mehr geschlafen. Es wusste nur der was, der mitgemacht hat. Der Hans Hirzel, zum Beispiel. Wir beide waren in einer Klasse. Wir bekamen die Flugblätter von München, die hat der Hans Hirzel von der Sophie Scholl in Empfang genommen und in die Martin-Luther-Kirche gebracht. Von da wurden die weiterverschickt an Menschen in Deutschland.

JuZ: Was beeinflusste Sie besonders, sich bereits sehr jung schon von der Nazi-Ideologie entfernen zu können?
Müller: Meine Mutter. Und dann auch der Hitlerjugenddienst, der absolut langweilig und notfalls gewalttätig war. Und dieses ständige "Heil Hitler"-Sagen. Mit 15 fing man an zu sagen "Grüß Gott!" und das war dann schon gefährlich. Ich glaube, ich konnte mit 15 oder 16 schon ziemlich genau sagen, was los war. Ich hab das täglich erfahren in diesem blöden HJ-Dienst: marschieren, singen, rumstehen - langweilig wie nur was. Die HJ war pädagogisch eine Katastrophe.

JuZ: Wollten Sie nie auswandern?
Müller: Ich hatte ein Angebot nach Amerika auszuwandern, habe das aber nicht gemacht. Und zwar, weil der Vater der Geschwister Scholl - er war Oberbürgermeister in Ulm nach '45 -, gesagt hat: "Hier müsst ihr arbeiten! Was tut ihr in Amerika?" Das haben wir eingesehen. Und das tu ich mit Pausen ja bis heute noch. Mit Ihnen zum Beispiel gerade.

JuZ: Auch heute scheinen faschistische Gruppierungen noch Zulauf zu finden. Auch bei Jugendlichen . . .
Müller: Ich kann das pauschal nicht sagen, weil ich die heutige Jugend nicht kenne. Aber ich lese Zeitung. Anfällig sind sicher Randgruppen, vielleicht sogar schon mehr, wenn man so über Neonazis liest. Eine wirkliche Gefahr sehe ich da noch nicht. Was aber sein könnte, dass etwas passiert, was vergleichbar ist mit Hitler, der ja mit der Arbeitslosigkeit politisch nach oben gekommen ist, und jetzt haben wir wieder Arbeitslose. Es könnte also sein, dass da radikale Parteien, wie die NPD Stimmen kriegen. Und dann sehe ich da schon eine Gefahr.

JuZ: Wie nehmen Sie Jugendliche wahr?
Müller: Positiv. Sie kommen in die Welt hinaus, lernen andere kennen, auch Anderssprachige. Die haben einen anderen Horizont - und sie haben mit Radio und Fernsehen eine verlässliche Kommunikation. Die Jugend kann nicht mehr so leicht angelogen werden, wie zu unserer Zeit, wo es nur Nazizeitungen gab.

JuZ: Welche Frage wird Ihnen am häufigsten in Schulklassen gestellt?


"Die heutige Jugend kann nicht mehr so leicht angelogen werden." Franz Joseph Müller

Müller: Wie es im Gefängnis war, ob ich Angst hatte. Und selbstverständlich hatte ich Angst. Da kam man sich vor, als ob man schon verurteilt wäre, vor dem Urteil. Geprügelt, angeklagt: Verräter, Schweinehunde. . Und dann war ich monatelang in einer Einzelzelle, keine Verbindung nach außen, keinen Anwalt, nichts. Mit 18 Jahren. Aus. Ich habe erwartet, dass ich zum Tode verurteilt werde. Und da hat ja nicht viel gefehlt.

JuZ: Was würden Sie im Rückblick anders machen?
Müller: Ich wäre vorsichtiger. Denn als Held zu sterben ist nur was für die Nachwelt . . .

JuZ: Was raten Sie mir für mein Leben?
Müller: Neugierig fragen, so wie Sie es jetzt tun.

Ressort: Zisch

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