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"Wie sich die Menschen auf der Bühne einen abstrampeln"

  • Do, 17. Oktober 2002
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JUZ-INTERVIEW: Die Freiburger Intendantin Amélie Niermeyer erklärt, warum Jugendliche ins Theater gehen sollten und spricht über ihre eigene Jugend.

Fernsehen, Sport und Disco - Jugendliche haben in ihrer Freizeit genug zu tun. Warum sollten sie überhaupt ins Theater gehen? Das wollten Carolin Feldmann und Eva Müller von Amélie Niermeyer, der neuen Intendantin des Freiburger Theaters, wissen.

JuZ: Warum sollte ein Jugendlicher, gepeinigt von Shakespeares Dramen in der Schule, sich ihren "Sommernachtstraum" ansehen?
Niermeyer: In der Schule wird der Stoff natürlich trockener dargeboten. Der Schüler muss sich mit dem Lehrer und der Sekundärliteratur auseinander setzen. Im Theater hingegen ist das Stück ein Erlebnis. Man sieht die Menschen auf der Bühne, wie sie leiden und leben, wie sie fühlen - ein großer Unterschied zur Literaturbehandlung in der Schule.

JuZ: Bietet diese Art von Unterhaltung nicht auch das Fernsehen?
Niermeyer: Nein, ich denke, dass der Eindruck im Theater weit nachhaltiger ist. Im Theater sieht man live, wie sich die Menschen einen auf der Bühne abstrampeln. Der Zuschauer bekommt keine vorgeschnittenen Film präsentiert, sondern diese Welt entwickelt sich konkret vor seinen Augen.

JuZ: Arbeiten Sie denn mit modernen "Tricks", um besonders junge Menschen ins Theater zu locken?
Niermeyer: Sehr viele Regisseure arbeiten zum Beispiel mit Videos und blenden kurze Filmausschnitte ins Theater ein. Ich persönlich denke allerdings, dass solche Methoden nicht ausschlaggebend für erfolgreiches Theater sind. Viel entscheidender ist für mich, dass das Freiburger Theater ein sehr junges Ensemble hat und deshalb noch einen jugendlichen Geist besitzt. Der "Sommernachtstraum" wird von sehr jungen Schauspielern gespielt. Die Inszenierung ist deshalb natürlich nicht altbacken. Viele Schauspieler sind gerade Anfang zwanzig und die Theaterleitung zwischen 30 und 40, was die Arbeiten gerade für Jugendliche spannend macht.

JuZ: Interesse am Freiburger Theater soll künftig ja auch ein Jugendclub wecken. Was verbirgt sich dahinter?
Niermeyer: Das Hauptziel des Clubs ist der so genannte Spielclub, in dem die Jugendlichen selber spielen. Nebenbei müssen sie auch lernen, sich selbst zu betreuen und zum Beispiel mit den Bühnenwerkstätten zusammenarbeiten. Sie haben somit die Möglichkeit, das Theater von innen kennen zu lernen, aber auch eine Produktion selbst auf die Beine zu stellen und mitzubestimmen. Neben dem Spielclub gibt es natürlich auch andere Workshops rund ums Theater: der Fechtworkshop, ein Maskenworkshop und Wochenendworkshops, bei denen man bestimmte Abteilungen des Hauses kennen lernen kann. Für zehn Euro pro Workshop ist dies natürlich eine tolle Chance. In Frankfurt habe ich bereits einen Jugendclub gegründet. Der Erfolg war enorm. Wir kannten die Leute aus dem Club und von der Kantine. So entwickelte sich der Club zu einem Teil des Hauses.

JuZ: Wieso ist denn gerade der Jugendclub Ihr besonderes Baby?
Niermeyer: Ich bin selbst mit 16 Jahren ans Theater gekommen und dieser Weg soll natürlich auch heute Jugendlichen offen stehen.

JuZ: Wie sind Sie denn ans Theater gekommen?
Niermeyer: Ich war schon als Jugendliche sehr theaterbegeistert und habe deswegen schon mit 16 Jahren hospitiert, das heißt, diverse Praktika gemacht. Zum Beispiel habe ich als Ankleiderin oder als Statistin gearbeitet und damit schon sehr viele Abteilungen kennen gelernt. Mit 19 Jahren habe ich bereits assistiert. Nach dem Abitur bin ich dann durch Asien und Australien gereist und dabei hat sich der Wunsch verfestigt, Regie zu machen. In Hamburg habe ich mich dann bei der Regieschule beworben und gleich Regieassistenz gemacht. Ich bin also eher über die Praxis zur Regie gekommen und hatte dann auch gar keine Zeit mehr, mein Studium zu beenden. Mit 23 hatte ich schon meine erste Inszenierung, was natürlich damals der Wahnsinn war, als so junge Frau so viel Verantwortung zu haben. Erst in den letzten Jahren, in denen ich neben der Regie auch leitende Funktionen hatte, habe ich immer mehr von der Intendantentätigkeit mitbekommen. Irgendwann erkannte ich dann - denn es ist ja immer leicht, andere Intendanten zu kritisieren - , dass es für mich wichtig wäre, Arbeitsbedingungen mitzuprägen.

JuZ: Hatten Sie das Gefühl, als Frau benachteiligt zu werden?
Niermeyer: Meine persönliche Erfahrung ist eine andere. Ich denke, wenn Frauen eine starke Persönlichkeit haben und genau wissen, was sie wollen, wird dies auch schnell von Männern akzeptiert. Trotzdem habe ich natürlich mitbekommen, wie andere zum Teil Intendanten und Regisseure auswählen und sagen: Na ja, eine Frau. Ob die Autorität hat und sich durchsetzen kann in der Produktion? Das ist nicht leicht, aber es gibt selbst Intendantinnen, die dies nicht anderen Frauen zutrauen. Ich persönlich habe sehr darauf geachtet, dass das Geschlechterverhältnis hier am Theater ausgewogen ist. Natürlich habe ich keine Quote eingeführt, denn künstlerische Qualität geht natürlich vor. Aber man muss Frauen am Theater schon noch mehr stützen.

JuZ: Wieso haben Sie sich für das Freiburger Theater entschieden?
Niermeyer: Zum einen wusste ich, dass der alte Intendant weggeht, zum anderen war ich selbst sehr häufig in Freiburg und kannte das Theater auch sehr gut. Die Größe war perfekt, da es weder Provinz noch Großstadt und zudem sehr politisch und jung ist. Natürlich ist der Job sehr stressig, und ich würde mir mehr Zeit im Privatleben wünschen, aber ich würde ihn nie gegen einen weniger stressigen eintauschen wollen. Das ist mein Traumberuf.

JuZ: Und was sagt Ihre Familie dazu?
Niermeyer: Ich bin verheiratet und habe einen vierjährigen Sohn, der jetzt zu seiner Großmutter gegangen ist, damit ich hier die Endproben schaffe. Das ist natürlich sehr hart.

Ressort: Zisch

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