Neue Studie
Wer Müll im Meer entfernt, könnte auch Ökosysteme schädigen
In riesigen Meereswirbeln treiben Unmengen Plastikmüll, aber auch spezielle Lebewesen. Wissenschaftler befürchten: Entfernt man den Müll, gefährdet man womöglich dieses Ökosystem.
dpa
Mo, 8. Mai 2023, 20:17 Uhr
Panorama
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Das sogenannte Neuston, nach dem Griechischen "Das Schwimmende", ist eine besondere maritime Lebensgemeinschaft. Es bezeichnet die Gesamtheit der Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen, die direkt unter der Wasseroberfläche leben. Viele dieser Lebewesen haben eine auffällige blaue oder violette Färbung, von der vermutet wird, dass sie vor UV-Strahlen schützt oder als Tarnung vor Fressfeinden dient. Entsprechend werden die Tiere "blaue Flotte" genannt.
Da die Neuston-Organismen Strömungen nutzen, um sich im offenen Ozean fortzubewegen, vermutete ein Team um Biologin Rebecca Helm, dass sie massenhaft in den großen Müllstrudeln der Weltmeere zu finden sind. Solche Plastikwirbel entstehen, wenn Oberflächenströmungen die Kunststoffverschmutzung von den Küsten in Regionen treiben, in denen rotierende Strömungen die schwimmenden Objekte einfangen.
Die Wissenschaftler begleiteten 2019 den französischen Rekord-Langstreckenschwimmer Ben Lecomte, der im Rahmen der Aktion "The Vortex Swim" in 80 Tagen durch den Pazifischen Müllstrudel schwamm, um auf die Verschmutzung der Meere aufmerksam zu machen. Während der Tour sammelte das Team Proben und fand dabei mehr neustonische Meereslebewesen innerhalb des Nordpazifikwirbels als an dessen Rändern.
Ihre Studie könne nur stichprobenartige Ergebnisse liefern, schreiben die Forscher selbst. Nichtsdestotrotz lege ihre Arbeit nahe, dass dieselben Meeresströmungen, die den Plastikmüll in den Ozeanwirbeln konzentrierten, für die Lebenszyklen der schwimmenden Meeresorganismen von entscheidender Bedeutung sein könnten, da sie diese zur Nahrungsaufnahme und Paarung zusammenführten. Tatsächlich wiesen die Meeresbiologen in mindestens einer Probe Segelquallen-Nachwuchs nach.
Menschliche Aktivitäten könnten sich jedoch negativ auf diese Begegnungsstätten auf hoher See und die von ihnen abhängige Tierwelt auswirken. So dienten die Neuston-Organismen etwa Seevögeln und Fischen. Rebecca Helm hat nicht zuletzt Projekte wie "The Ocean Cleanup", bei dem mit Fangvorrichtungen Abfälle aus dem Meer geholt werden, im Blick.
Das Ocean-Cleanup-Projekt widerspricht: Die Warnung beruhe auf falschen Annahmen. Es gebe keine Hinweise, dass sich Plastikmüll und Neuston am selben Ort befänden. Die neuen Erkenntnisse änderten jedoch diese Sichtweise, so Helm. Es lege nahe, dass Meereswirbel nicht nur Sammelbecken für Kunststoffabfälle seien: "Sie sind Ökosysteme, nicht wegen, sondern trotz des Plastiks."
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