Streitfall

Pferde oder Flüchtlinge: Warum March über eine Weide streitet

Die Weide des Anstoßes liegt in March-Hugstetten: Wo jetzt noch Pferde grasen, soll eine Flüchtlingsunterkunft entstehen. Die Betreiberin des Hofes fürchtet den Ruin – was tun?  

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Ob der Pferdehof wirklich schließen muss, zieht man bei der Gemeinde in Zweifel Foto: Frietsch/Rothermel
Anfang November tauchte ein Holzschild am Pferdehof im Marcher Ortsteil Hugstetten auf. Darauf stand: "Hier wird unsere Existenz zerstört durch die Gemeinde!" Bürgermeister Helmut Mursa ließ es kurz darauf vom Bauhof abmontieren. "Auf dem eigenen Grund können sie das Schild aufstellen, aber nicht auf Gemeindeland", sagte er. Außerdem halte er die Aussage inhaltlich für falsch. Mursa, 34 und erst seit sieben Monaten Bürgermeister von March, trifft auf seine erste große Herausforderung im Amt. Sie ähnelt der, vor der auch erfahrene Kollegen in diesen Tagen stehen.

250 Flüchtlinge sollen in die Sammelunterkunft des Landkreises

March liegt zwischen Hügeln und Mooswäldern in der Rheinebene. Die Dreisam fließt durch das Gemeindegebiet, in der Ferne sieht man den Kaiserstuhl. Rund 9000 Menschen wohnen hier, 40 sind Flüchtlinge. Nächstes Jahr sollen es 350 sein, 250 von ihnen in einer Sammelunterkunft des Landkreises Breisgau-Hochschwarzwald. Doch wo soll die hin? Der Pferdehof steht auf Gemeindegrund. Teile der Weiden schienen dem Gemeinderat der "am wenigsten schlechte" Platz. Die Betreiberin Ingrid Spiga sagt, das könnte das Ende des Hofs und ihr Ruin sein.

Um die große Reithalle mit Quarzsand herum stehen Boxen und Versorgungsgebäude. Die Weideflächen werden begrenzt durch ein Wäldchen und die Kreisstraße nach Freiburg. 26 Tiere versorgt Spiga hier mit ihrer Tochter, drei eigene und 23 eingestellt von anderen Pferdebesitzern. Kommen die Flüchtlinge, gingen die Pferdehalter, sagt sie – und damit die Einnahmen. Erst vor einem Jahr hat Spiga den Hof auf Kredit gekauft. Wie sie den dann bedienen soll, weiß sie nicht.

Dabei bleibt ein Teil der ursprünglichen Weiden bestehen. Dazu hat die Gemeinde eine Ausgleichsfläche angeboten. Für Futter und Weideplatz scheint gesorgt. Also alles halb so wild? "Pferde sind Fluchttiere", sagt Spiga. 250 Menschen machen zu viel Lärm, die Tiere stünden permanent unter Strom. Auch die Ausgleichsfläche liegt ihrer Meinung nach zu nah an der geplanten Unterkunft. Und die Pferde mit Transportern auf weiter entfernte Weiden zu fahren, sei zu teuer. Ganz zu schweigen von der Gefahr, dass jemand sie falsch füttert. Vor Kurzem erst kam eine Großmutter mit ihrem Enkel an den Hof. Sie wollten Rasenschnitt aus dem Garten an die Tiere verfüttern. Spiga verhinderte es. "Die haben es gut gemeint", sagt sie. "Aber die Pferde wären am Tag drauf tot gewesen."

Informationen aus der Presse – erst danach kommt der Bürgermeister

Spiga sagt, sie habe erst Ende Oktober von den Plänen der Gemeinde March erfahren – aus der Presse. Dann kam Bürgermeister Mursa vorbei, sprach persönlich mit ihr. "Er hat gesagt, es tut ihm leid", sagt Spiga. "Aber er könne es nicht ändern. Der Landkreis macht Druck."

Beziehungsweise: Der Landkreis gibt den Druck weiter, der ihm vom Land gemacht wird, dem der Bund im Nacken sitzt. Baden-Württemberg muss etwa jeden siebten Flüchtling aufnehmen, der nach Deutschland kommt. 2015 werden das so viele sein wie nie zuvor, so gehen die Prognosen. Mehr als eine Million sollen es bis Ende des Jahres werden. Der Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald etwa muss vorerst 3000 Menschen aufnehmen. Der Bus kommt immer donnerstags.

Von Waldshut bis Offenburg, von Lörrach bis an die Ostsee: Fast jeden Tag kann man von den eiligen Versuchen der Gemeinden lesen, Wohnraum für Flüchtlinge zu schaffen. Das ist nirgends leicht, es läuft nirgends reibungslos ab. Die Bevölkerung reagiert manchmal ängstlich, manchmal neugierig, Einzelne sogar manchmal mit Gewalt. Aber selten sehen sich Menschen in ihrer Existenz bedroht. Kommt das in Zukunft häufiger vor?

Sache der Juristen

Andererseits: Der Pferdehof ist ein sehr spezifischer Fall. Die Weiden sind teilweise Gemeindegrund. Spiga hat gepachtet, sagt sie. Ob der Pachtvertrag von Spiga mit der Gemeinde March überhaupt gültig ist, ist zwar kompliziert und eine Sache der Juristen. Einen großen Unterschied macht das aber nicht. Wer von der Gemeinde pachtet, hat immer das Risiko, dass die in Notfällen kurzfristig auf die Flächen zugreifen kann. Danach sah es beim Kauf des Hofs nicht aus. Doch dann kam der Flüchtlingssommer. March braucht dringend Wohnraum.

Immer wenige Flüchtlinge gemeinsam unterzubringen, war bisher die Strategie. Das geht nicht mehr auf: Der Landkreis plant Sammelunterkünfte, für jeweils 200 bis 750 Menschen. "Wir wollen größere Einheiten", sagte ein Sprecher auf einem Infoabend in March. Die sind nicht nur effizienter zu betreiben als viele kleine, auch die Sozialbetreuung lässt sich besser gewährleisten. "Keine Zelte, und nicht in Hallen. Wir setzen auf Container."

"Keine Zelte, und nicht in Hallen. Wir setzen auf Container." Landratsamt
Bisher gab es in March mehrere kleine Unterkünfte. Die Integration funktioniert gut. Flüchtlinge helfen beim Seniorennachmittag. Sie fühlen sich wohl. Eine Sammelunterkunft stellt die Gemeinde vor besondere Probleme. Denn March existiert eigentlich nicht. Die 9000 Einwohner verteilen sich auf vier Dörfer, die sich weitläufig über das Gebiet erstrecken. Flüchtlinge teilt der Landkreis in einem Verhältnis zur gesamten Einwohnerzahl zu. Eine Sammelunterkunft stünde aber allein in einem viel kleineren Ortsteil. Im Fall des Pferdehofs wäre das Hugstetten. Das Verhältnis wäre verrutscht.

Viele Flächen standen nicht zur Verfügung, der Gemeinderat soll es sich nicht leicht gemacht haben. "Wir haben zwischen wenigen Standorten abgewogen", sagt Bürgermeister Mursa. Bis auf den Pferdehof schieden alle aus. Mal lag es am Baurecht, mal am Hochwasserschutz. Viel mehr ist aus der nichtöffentlichen Sitzung nicht bekannt. Und dass die Suche immer noch andauert. Vielleicht kommt also noch einmal Bewegung in die Sache. Ganz genau weiß das aber niemand.

Daran stören sich einige Marcher, die Mursa und den Gemeinderäten einen Brief geschrieben haben. Das heimliche Vorgehen habe viele Bürger entsetzt, steht darin. Mursa habe Vertrauen verspielt. Die Bürger sind aufgewühlt, reagieren emotional. Und Mursa besänftigt die Wut im Bauch nicht. Er ist Jurist, er klammert sich an Paragraphen: In der Sitzung sei es um Grundstücke von privaten Eigentümern gegangen. Alles, was die betrifft, dürfe nicht öffentlich verhandelt werden. So steht es in der Gemeindeordnung. Doch die Frage, wo die Flüchtlinge unterkommen sollen, ist keine juristische Spitzfindigkeit, es ist eine politische Angelegenheit, die alle Bürger betrifft. Als sich Mursa für das Bürgermeisteramt bewarb, sagte er in einer Rede, das "M" in March stehe für "Miteinander". Kein Wunder, dass sein Verhalten nun zu Missmut führt.

Wer kommt überhaupt? Und aus welchen Ländern?

Darum hat sich nun auch eine Bürgerinitiative formiert. "Miteinander entscheiden und leben in March" nennt sie sich. Bei Käsekuchen und Kaffee treffen sich sieben Personen in einem Bahnhofscafé in March. Die Flyer sind druckfrisch. Sabine Fux hat die Initiative mitgegründet und sagt: "Nur, damit das klar ist: Die Flüchtlinge kommen, und March nimmt sie gerne auf." Aber die Gemeinde brauche ein langfristiges Konzept. Ein solches sehe sie im Moment nicht, sagt Fux.

So vieles ist unklar: Sind Schule und Kindergarten in Hugstetten groß genug? Wer kommt überhaupt? Kinder? Familien? Einzelne? Aus welchen Ländern? Wie lange bleiben sie? Wo können sie einkaufen? Laufen sie auf dem Radweg zum Bahnhof oder durch das Neubaugebiet? Hat die Breisgau-S-Bahn überhaupt genug Platz, um so viele Menschen zu befördern? Bereits jetzt hört man Klagen über zu hohe Auslastung.

"Wir wollen hier doch alle friedlich miteinander leben." Sabine Fux
Dazu kommt ein Dickicht an Zahlen, Prognosen, Schlüsseln und Behörden, vermengt mit Hektik und Intransparenz. Jede Ungewissheit zieht die nächste nach sich. Und wenn vieles ungewiss ist, begegnet man sogar den wenigen Gewissheiten mit Misstrauen. "Wer gute Gründe hat, kann doch transparent sein", sagt eine Frau beim Treffen. "Ich zweifle nicht daran, dass die Gründe gut sind", sagt ein anderer. "Aber muss man dafür eine Existenz zerstören?"

Bürgermeister Mursa hat Ingrid Spiga um einen Gesprächstermin gebeten. "Er möchte, dass auch einige der Pferdebesitzer dabei sind", sagt sie. Er wolle sich wohl über die genauen Bedingungen der Pferdeunterbringung aufklären lassen, mutmaßt sie. Mittlerweile hat sich Spiga einen Anwalt genommen. Auch er wird beim Treffen dabei sein.

"Wir unterstützen Herrn Mursa", sagt Sabine Fux von der Bürgerinitiative. "Aber er soll es auch annehmen. Wir wollen hier doch alle friedlich miteinander leben."

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