Frankreich
Warum führen Rabatte für Nutella-Gläser zu Krawallen?
Ist der Supermarkt schuld? Die Armut des Volkes? Frankreich debattiert, warum Rabatte für Nutella-Gläser zu regelrechten Krawallen vor den Re galen einer Supermarktkette führen.
Sa, 3. Feb 2018, 11:46 Uhr
Wirtschaft
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Zuerst sprachlos schimpften die sozialen Medien bald über Nutella, diese teuflische Mischung aus Zucker, Haselnuss und Palmöl, die offenbar das Zeug habe, das Tier im Mensch zu wecken. Am Mittwoch wurde die Intermarché-Angebotsaktion namens "Die vier günstigsten Wochen" auch auf andere Produkte wie gemahlenen Kaffee oder Trockenwindeln von Pampers ausgedehnt. Auch diese Superrabatte für die Marken lösten vielerorts unschöne Szenen aus. Womit immerhin bewiesen ist, dass Nutella nicht krawallfördernder ist als andere Produkte. Weshalb dann diese Szenen "kollektiver Hysterie", wie der Forscher Medhi Moussaïd meint? Er führt sie auf den Mechanismus des "sozialen Dilemmas" zurück: "Aus einem individuellen Gesichtspunkt betrachtet ist es am besten, vor allen anderen zu sein, um von dem 70-Prozent-Rabatt zu profitieren. Das Problem besteht darin, dass alle dieser Überlegung folgen."
Nichts Neues unter der Sonne, meinen andere mit Verweis auf den französischen Anthropologen Gustave Le Bon, der schon im 19. Jahrhundert die Psychologie der Massen studiert hatte und zum Schluss gekommen war, das Individuum folge in der Gruppe nur noch der "Unordnung und Dummheit". Gegen diese Sicht wendet sich Jean-Yves Mano vom Konsumentenverein CLCV. Er verurteilt die Kunden nicht: "In Frankreich gibt es neun Millionen Arme. Sie sind schlicht gezwungen, dauernd nach Vergünstigungen oder Treueboni Ausschau zu halten." Damit wird die Debatte politisch. Der Grünenpolitiker Yannick Jadot meint, die Nutella-Tumulte enthüllten in erster Linie ein Kaufkraftproblem mittelloser Franzosen. Damit kritisiert er auch Präsident Emmanuel Macron, der vor allem die Reichen steuerlich entlastet hat. Sein Minister Le Maire meint zur Verteidigung: "Bei Rabatten von 50 oder 70 Prozent stürzen sich die Konsumenten immer drauf – das gilt für Nutella oder Pampers, doch man kann sich solche Szenen auch in Luxusläden vorstellen."
Im Internet tauchte die Frage auf, ob man sich nun gestandene Damen in der Avenue Montaigne, der Pariser Luxusmeile, vorstellen müsse, wie sie sich um einen Gucci-Pelz balgten. Die Konsumforscherin Nathalie Damery hält das nicht für dasselbe: Für viele einfache Leute, Rentner oder Arbeitslose aus den Außenvierteln seien schon Markennamen wie Nutella oder Pampers Luxusprodukte, die sie sich normalerweise nicht leisten könnten. "Das sind keine raffgierigen Schnäppchenjäger, das sind Leute, für die es zum Monatsende auf jeden Euro ankommt."
Um Druck von der Regierung zu nehmen, hat Minister Le Maire nun den Intermarché-Direktor zu einer Standpauke vorgeladen; auch beauftragt er das Betrugsdezernat, die Einhaltung der Rabattregeln in der – aktuellen Ausverkaufszeit – zu prüfen. Am Mittwoch präsentierte die Regierung eiligst ein seit Langem geplantes Gesetz, das die Beziehungen zwischen Bauern und dem Einzelhandel regelt. Dazu gehört auch die Frage von Dumping-Rabatten. Die Ausführungserlasse sind noch nicht bekannt; nach letztem Stand sollen sie aber nur noch 34 Prozent Rabatt zulassen.