BZ-Gastbeitrag
Warum es kein Verbot von Strohhalmen geben darf
BZ-Gastautor Lüder Gerken lehnt die von der EU-Kommission gemachten Vorschläge zur Vermeidung von Plastikmüll ab und hofft, dass Brüssel die rigorosen Verbotspläne noch einmal überdenkt.
Sa, 19. Mai 2018, 22:01 Uhr
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Ganz überraschend sind solche Pläne allerdings nicht. Sie konkretisieren lediglich, was die EU-Kommission Anfang des Jahres als ihre "Plastikstrategie" gegen Plastikabfälle vorstellte. Dass diese ein zunehmendes Problem darstellen, wird niemand bestreiten: Aus der EU gelangen jährlich bis zu 500 000 Tonnen an Kunststoffabfällen in die Meere. Insgesamt werden in der EU – mit steigender Tendenz – jährlich über 25 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle von den Entsorgungssystemen eingesammelt. Davon werden 39 Prozent verbrannt, 31 Prozent deponiert und 30 Prozent für das Recycling gesammelt. Von den für das Recycling gesammelten Kunststoffabfällen wird entgegen der landläufigen Meinung gerade einmal die Hälfte in der EU tatsächlich recycelt. Die andere Hälfte wird exportiert, meist in Länder mit geringen Umweltstandards. China nahm bis vor kurzem allein 85 Prozent ab. Nachdem das Reich der Mitte jedoch im vergangenen Jahr den Import von Kunststoffabfällen verboten hat, türmen sich die Abfallberge in Europa.
Vor diesem Hintergrund soll die "Plastikstrategie" das Problem des Plastikabfalls angehen. Ihre Kernziele sind zum einen das Recycling, zum anderen die Vermeidung von Plastikabfall.
Zunächst zum Recycling. Die Kommission fordert, dass in der EU bis 2030 alle in Verkehr gebrachten Kunststoffverpackungen wiederverwendet oder kosteneffizient recycelt werden können. Dies schießt über das Ziel hinaus. Denn das Recycling von Kunststoff ist nicht immer die ökologisch sinnvollste Verwertungsform. Für Umweltideologen schwere Kost: Das Recycling bestimmter Kunststoffverpackungen erfordert einen so hohen Energieeinsatz, dass es ökologischer ist, sie zur Stromerzeugung zu verbrennen.
Nun zur Vermeidung von Plastikabfall: Hier plant die EU-Kommission eine Fülle von Detailregulierungen. Bereits beschlossen sind die Vorschriften für Plastiktüten: Von 2019 an dürfen sie nicht mehr kostenlos abgegeben werden. Und jeder Bürger darf von 2020 an nur noch 90 Tüten, von 2026 an nur noch 40 Tüten verbrauchen. In ihrer Plastikstrategie hat die Kommission jetzt angekündigt, dass sie erwägt, derartige Regelungen auch für weitere Produkte vorzuschreiben.
Der Kunststoffvermeidung soll auch das Verbot von Strohhalmen, Geschirr und Besteck dienen. Auch hier schießt die Kommission über das Ziel hinaus. Natürlich können Plastikstrohhalme und Plastikbestecke bei unsachgemäßer Entsorgung Schaden anrichten, wenn sie in die Natur gelangen, insbesondere in die Meere. Aber das weiß auch der mündige Verbraucher. Jahrzehntelang ging die EU vom Leitbild eines solchen mündigen Verbrauchers aus. Offenbar lässt sich Brüssel inzwischen von einem neuen Leitbild eines gedanken- oder rücksichtslosen Halbdeppen inspirieren.
Bei ordnungsgemäßer Entsorgung stellt die Nutzung von Einweg-Kunststoffprodukten kein Problem für die Umwelt dar. Sensibilisierungskampagnen – etwa in Schulen – und marktwirtschaftliche Anreize wie Pfandsysteme können Bewusstsein schaffen, Plastikabfälle ordnungsgemäß zu entsorgen oder ganz zu vermeiden. Vor allem auch ist nicht ersichtlich, warum Plastikstrohhalme verboten werden sollen, aber Plastiktüten nicht, und warum Plastikbestecke verboten werden sollen, aber Kunststoffluftballons nicht. Nur letztere werden gerne – gezielt oder versehentlich – in die Lüfte entlassen, bis sie irgendwo auf einem Ozean unkontrolliert im Meer versinken. Plastikmessern widerfährt dergleichen nicht.
Es bleibt zu hoffen, dass die Kommission ihre rigorosen Verbotspläne noch einmal überdenkt. Es wäre auch deshalb zu wünschen, damit der Ruf der EU bei den Bürgern nicht noch mehr Schaden nimmt.
Auch die Einführung einer EU-Plastiksteuer ist im Übrigen verfehlt; ihr ökologischer Nutzen wird selbst von Umweltschützern angezweifelt. Sie dürfte allerdings auch kaum eine Chance haben, denn ihr müssten alle Mitgliedstaaten einstimmig zustimmen.
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