UNTERM STRICH: Name ist Schall und Melodie
In einem Dorf in Indien singen sich die Menschen bis heute an / Von Alexander Dick.
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Ob die Bewohner des Dorfes Kongthong im Nordosten Indiens ihren "Faust" gelesen haben, wissen wir nicht. Auf jeden Fall erhalten sie bei der Geburt zusätzlich zum Namen eine Melodie. Und mit der – nicht mit den Namen – rufen sie sich dann ein Leben lang. Berichtet jedenfalls die Agentur AFP und betont, dass diese Tradition der Ethnie der Khasi "vermutlich einzigartig auf der Welt" ist.
Das ist natürlich schon etwas reißerisch. Wir alle haben es als Kinder bei den Eltern erlebt, dass die Sprachmelodie weit mehr an Botschaft enthielt als der Name. Ein scharfes "Alexander" mit heftiger Betonung auf der ersten Silbe verhieß Unheil. Wenn dagegen erst die dritte Silbe betont wurde und die Stimme der Mutter sich beim Ruf des Namens nach oben erhob, dann glaubte man, das nahende Glück schon greifen zu können.
Solchermaßen konditioniert kann sich der Mensch auch später in Partnerschaften am Tonfall eines Rufes orientieren. Auch außerhalb Kongthongs. Freilich scheinen die Menschen uns dort voraus zu sein, wenn sie sich gegenseitig ansingen. Denn offenbar kann das noch jeder. Angesichts des von vielen Musiklehrern beklagten wachsenden Unvermögens, eine Melodie singen zu können, will man sich nicht ausmalen, welche Kommunikationspannen hierzulande dräuten bei falsch intonierten Melodien. "Sorry Frau Weidel, ich hatte eigentlich meine Schwiegermutter angesungen..."
Aber bevor wir hier auf dem Niveau des gepflegten Altherrenwitzes landen, noch eine Nachricht. Keine gute. Angesichts des Einzugs von Fernsehern und Handys in Kongthong fürchtet man, dass die Tage der Namensmelodien dort gezählt sein dürften. Erstickt vom Schall und Rauch moderner Massenkommunikation.