Und mit einem Moment lichtet sich plötzlich der Nebel
Das Kino als magischer Ort, der den Einsamen eine gemeinsame Zuflucht bietet: Sam Mendes’ neuer Film "Empire of Light".
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Und dann ist da das Lichtspielhaus selbst. Majestätisch ragt das "Empire" an der Uferstraße des englischen Küstenstädtchens Margate in den bewölkten Himmel. Die wuchtige Art-déco-Fassade hat schon so manchem Sturm getrotzt. Das Foyer und der untere Kinosaal erstrahlen in einer Design-Orgie aus rotem Samt, weichen Teppichböden, beleuchteten Vitrinen, geschwungenen Stuckdecken und polierten Messingbeschlägen.
Natürlich hat das "Empire" schon bessere Tage erlebt. Anfang der Achtziger sitzen die Menschen im kriselnden Thatcher-England mehr vor dem Fernseher als im Kinosessel. Nur noch zwei der ehemals vier prachtvollen Säle werden bespielt. Der mondäne Ballsaal in der oberen Etage mit Blick über das Meer ist schon lange ungenutzt und dient den Tauben als luxuriöse Brutstätte.
Hilary arbeitet seit einigen Jahren im "Empire", dessen glamouröses Dekor in einem starken Kontrast zur Tristesse ihres Lebens steht. Es ist nicht lange her, da hatte Hilary das, was man damals einen "Nervenzusammenbruch" nennt. Bei den regelmäßigen Arztbesuchen stellt der Mediziner – ohne ihr in die Augen zu schauen – Fragen zur Befindlichkeit, um die Lithium-Dosierung neu zu bestimmen. Donald, der Manager des Kinos (Colin Firth) nutzt Hilarys seelische Verfassung aus und ruft die Angestellte regelmäßig in sein Büro, um sich von ihr befriedigen zu lassen. Die Belegschaft im Aufenthaltsraum hingegen ist von der coolen Punk-Göre Janine (Hannah Onslow) über den aufmerksamen Kartenabreißer Neil (Tom Brooke) bis zu dem eigenwilligen Filmvorführer Norman (Toby Jones) zur herzlichen Ersatzfamilie geworden.
Als Stephen (Micheal Ward) neu zum Kinoteam stößt, scheint sich der Nebel um Hilarys Gesicht plötzlich zu lichten. Sie kann kaum ihre Augen von dem jungen, schönen, schwarzen, charmanten Mann lassen und ist von sich selbst überrascht, als sie sich beim Silvester-Feuerwerk auf der Dachterrasse des Kinos einen Kuss stiehlt. Zwischen den beiden entsteht eine Beziehung, deren Kraft und Krisen sich ebenso aus der Unterschiedlichkeit nähren wie aus einem gemeinsam empfundenen Außenseiterdasein.
Die Diskriminierungen und sexuelle Gewalt, die Hilary über Jahrzehnte als Frau erlebt hat, stehen Stephens Erfahrungen mit dem offenen Rassismus gegenüber, der ihm im England der frühen achtziger Jahre mit pöbelnden Skinheads und dem Aufstieg der "National Front" massiv entgegenschlägt. Gerade aus der Differenz heraus haben die beiden Liebenden sich viel zu geben, auch wenn es sich abzeichnet, dass das amouröse Bündnis nur temporär sein wird.
Olivia Coleman manövriert ihre Figur fern von allen Opferstigmatisierungen durch das Auf und Ab von glücklichen, manischen und depressiven Phasen. Wenn sie plötzlich beim Sandburgbauen Hilarys über Jahrzehnte angestaute Wut herausbrechen lässt, spiegelt sich in der kurzen Szene die patriarchale Unterdrückung einer ganzen Frauengeneration.
Ebenso kann Micheal Ward überzeugen, der dem jungen Liebhaber eine entspannte Strahlkraft verleiht, aber auch dessen desillusionierten Seiten glaubhaft verkörpert. Allerdings hätte Sam Mendes, der erstmals auch für das Drehbuch verantwortlich war, der Figur noch mehr Widersprüchlichkeit ins Skript schreiben können, um sie auf Augenhöhe mit der weiblichen Protagonistin zu bringen.
Auch wenn "Empire of Light" keine Kinohommage wie "Cinema Paradiso" sein will und kann, beschwört er nicht nur die Wirkung des Mediums, dass in 24 Bildern pro Sekunde die Illusion von Leben schafft. Es geht hier vor allem um die Magie des Ortes, der den Einsamen eine gemeinsame Zuflucht bietet. Der Blick des Filmes ist am Ende auf die Menschen im Saal gerichtet, die sich im Schutz der Dunkelheit ihren Gefühlen stellen und sie mit den Emotionen auf der Leinwand verschmelzen lassen.
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