Übertrieben alt?

Im Tal der Hundertjährigen in Ecuador profitiert man vom Klima – oder dem Hang zum Flunkern.  

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José Javier Delgado Jaramillo ist – laut seinem Personalausweis – 106 Jahre alt, seine Frau María Mercedes Retete „erst“ 92. Foto: dpa

VILCABAMBA (dpa). Der Ort Vilcabamba, in einem auf 1700 Meter gelegenen fruchtbaren Tal im Süden Ecuadors, hat weltweit Schlagzeilen gemacht wegen der hohen Dichte an uralten Menschen: als Tal der Hundertjährigen, als Ort der Langlebigkeit dank des besonderen Klimas.

In dem 5000-Einwohner-Ort scheinen aber Wahrheit und Fiktion zu verschwimmen. US-Anthropologen fanden bereits vor 35 Jahre heraus, dass Miguel Carpio, der angeblich 136 Jahre alt wurde und der älteste Bewohner war, sein Alter mit 121 angab, als er erst 87 war. Gemäß des von ihm genannten Geburtsdatums müsste seine Mutter fünf Jahre nach seiner Geburt geboren worden sein. Fazit der Forscher: Es gebe hier einen ausgeprägten Hang zur Übertreibung.

Aber ein Streifzug durch Vilcabamba zeigt zweierlei: Es gibt hier wirklich einige steinalte Menschen. Und der Ruf hat zu einer Ansiedlung von US-Rentnern und Hippies geführt.

Wissenschaftler sind sich uneins über die Gründe der Langlebigkeit – von fett- und kalorienarmer Ernährung dank Yuca, Bananen, Guayabas, Bohnen, Getreide und Mais über wenige Menschen mit Herzproblemen bis zu einer besonderen Knochenbeschaffenheit reichen Erklärungsversuche.

Einhellige Meinung der Bewohner ist, dass das Klima des ewigen Frühlings (ganzjährig 18 bis 22 Grad), die Ernährung mit Produkten der Region und das heilende, nährstoffreiche Wasser des Rio Capamaco lebensverlängernd wirken. Aber es gibt immer weniger Hundertjährige – sagen die Bewohner unisono, aktuelle Statistiken kann die Gemeinde auf Anfrage nicht liefern. Als Grund sehen die Bewohner schlechte Einflüsse von außen – auch hier hätten hormonbehandelte Hühnchen und ungesunde Nahrung Einzug gehalten. Aber einige Uralte gibt es noch.

Zum Beispiel Timotheo Arbolera, 101 Jahre alt. "Ich war nie krank, habe immer auf dem Feld gearbeitet, Kaffee und Bananen gepflanzt", sagt er. Alkohol? "Nur ab und zu einen Zuckerrohrschnaps." Wie so viele hier liebt er zu besonderen Tagen ein gegrilltes Meerschweinchen.

Und dann ist da noch der Älteste von allen. Er lebt seit jeher nur von dem, was die Natur hergibt: José Javier Delgado Jaramillo. Wie alt er denn sei? "106." Er kramt aus der Brusttasche seines Hemdes den Personalausweis heraus, dort steht als Geburtsdatum der 21. Februar 1910 eingetragen. Seine Frau María Mercedes Retete hat auch schon 92 Jahre auf dem Buckel. Seit sage und schreibe 75 Jahren sind sie verheiratet. Um 5.30 Uhr steht José auf, um 19 Uhr geht er schlafen, täglich arbeitet er im Garten. Viel Gemüse, Obst, nennen sie als Grund für das lange Leben. "Aber warum ich so alt werden durfte, weiß nur der liebe Gott", meint José.

Irgendwie scheint sich der Ruf herumgesprochen zu haben. Oliver Dams aus Freiburg ist seit zwei Jahren in Südamerika unterwegs. Er schlägt sich mit Straßenmusik durch. In Vilcabamba könnte er länger bleiben. "Es ist sehr magisch hier, die Energie sehr rein und klar." Hier gedeihe alles, man könne im Einklang mit der Natur leben. Hippies seien voll akzeptiert. Die Gegend ist bekannt für Heilkräuter – und den halluzinogenen San-Pedro-Kaktus.

Auch den früheren Industriekaufmann Marc, 65 Jahre alt aus Kentucky, hat es nach Vilcabamba verschlagen. 2007 war er hier im Urlaub. "Da war klar, hier will ich hin", erzählt er. US-Rentner leben hier zu Dutzenden, mehrere Amerikaner betreiben Hostels und Läden. War für Marc auch die mögliche längere Lebenserwartung ein Zuzuggrund? "Ach, das ist doch Bullshit", meint er. "Aber hier lässt es sich einfach hervorragend aushalten."

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