Freiburg
Syrische Flüchtlinge in Freiburg – sie ließen alles zurück
Syrische Flüchtlinge, die in Freiburg angekommen sind, berichten von Krieg, Flucht und einem schwierigen Neubeginn in Deutschland.
Di, 1. Okt 2013, 10:19 Uhr
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BADRIYA AL HASSAN
Badriya Al Hassan aus Aleppo gehört zu jenen Flüchtlingen, die so traumatisiert sind, dass sie außerhalb der Sammelunterkunft wohnen darf. Die 33-Jährige kam im Herbst vergangenen Jahres nach Freiburg und wohnt zurzeit bei ihrer 41 Jahre alten Schwester Subhi, die seit 2002 in Freiburg lebt. Badriya Al Hassans Mann wurde in Aleppo vor ihren Augen erschossen, ihre Wohnung ist zerstört, sie floh zu Fuß in die Türkei und dann tagelang weiter nach Griechenland und Italien. Eine andere Familie half ihr finanziell, weil sie das Geld für den Schlepper – pro Person 15000 Euro – nicht hatte. "Ich habe selten eine Frau erlebt, die in einem so schlechten Zustand ist", sagt Sozialarbeiterin Elisabeth Götz vom Deutschen Roten Kreuz, das sich im städtischen Flüchtlingswohnheim um die sozialen Belange kümmert.
Badriya Al Hassans zehnjährige Tochter ist noch immer in Syrien. Sie wohnt bei den Eltern ihres verstorbenen Mannes. Die Großeltern wollen die Enkelin nicht gehen lassen – aus Angst, die geliebte Enkelin zu verlieren. Subhi und Badriya Al Hassan haben noch vier Brüder, einer von ihnen wurde ebenfalls erschossen. Dessen Frau ist verschollen, die vier Kinder im Alter von vier bis zwölf Jahren wohnen in Aleppo bei Nachbarn. Eine dauerhafte Lösung ist das nicht. Subhi Al Hassan will die Kinder des Bruders deshalb zu sich nach Deutschland holen. Voraussetzung ist, dass sie für die Lebenshaltungskosten der Kinder aufkommt. Aber sie hat das Geld dafür nicht. "Wie soll ich das schaffen?", fragt Subhi Al Hassan, die selbst drei Kinder hat.
DIE ASAADS
Die Reise der Asaads aus dem syrischen Al-Hasaka nach Deutschland war abenteuerlich. Familienvater Mammo Asaad kam über die Türkei in einem Laster nach Deutschland, seine Frau Ülia floh mit den beiden Kindern über den Libanon und die Ukraine nach Deutschland. Frau und Kinder reisten zuerst aus, erzählt der 38 Jahre alte Mammo Asaad. "Es war schwierig, auf der Flucht Kontakt zu halten." Dass seine Frau, eine gebürtige Ukrainerin, blond ist und westlich aussieht, habe es schwieriger gemacht, da die Gefahr bestanden habe, dass sie aufgrund ihres Aussehens für eine Touristin gehalten wird. Touristen werden wegen eines Lösegelds häufig entführt. "Sie hat sich verschleiert", sagt Mammo Asaad.
Der Familienvater ist Apotheker. Er habe zu Beginn des Bürgerkrieges einen Verein mitgegründet, der sich zum Ziel setzte, Zivilisten zu helfen. Damit geriet er zwischen die Fronten. Islamistische Rebellen wollten ihn erschießen; sie warfen ihm vor, auf der Seite der Leute von Machthaber Baschir al-Assad zu stehen. Mammo Asaad erinnert sich genau an diesen Tag, den 10. März 2013. Es war der Tag, an dem er beschloss, mit seiner Familie zu fliehen. "Wir haben alles zurückgelassen." Auch seine Eltern flohen, sie befinden sich zurzeit in der Türkei.
Seit 6. August lebt die Familie Asaad im Flüchtlingsheim an der Bissierstraße, alle vier in einem Zimmer. Die Kinder Gwan und Gila gehen inzwischen in die Schule – der zwölfjährige Gwan in eine Vorbereitungsklasse für ausländische Schüler an der Karlschule, die siebenjährige Guli an die Anne-Frank-Schule; nachmittags sind beide in einer Hausaufgabenbetreuung. Den Kindern gehe es ganz gut, sagt Mammo Asaad. "Es ist wichtig, dass sie gleich Normalität haben. Kinder brauchen Alltag und eine feste Struktur", sagt Sozialarbeiterin Elisabeth Götz. Normalität ersetze bei Kindern am Anfang die Therapie. Für die Erwachsenen sei der Anfang hier oft schwieriger – sie dürften nicht arbeiten, erlebten viel mehr die Tristesse des Flüchtlingsheims und müssten dabei noch Krieg und Flucht verarbeiten. Deshalb müssten auch die Erwachsenen anderen Menschen begegnen, damit sich nicht alles immer nur um die Ereignisse in der Heimat drehe. "Es muss auch anderes geben", sagt Götz.
Was sich die Asaads wünschen? "Dass wir uns ein neues Leben aufbauen können, unsere Kinder glücklich werden und nicht erleben müssen, was wir erlebt haben", sagt Mammo Asaad.
GHALIA FAWAL
Die 60 Jahre alte Ghalia Fawal aus Aleppo lebt seit gut einem Jahr im Flüchtlingsheim an der Bissierstraße. Zwei ihrer Söhne leben in Deutschland. Einer von ihnen, Sarbst Ainalou, ist seit sieben Jahren in Freiburg zu Hause, seit zwei Jahren hat er einen deutschen Pass. In der Vergangenheit hat er seine Mutter mehrfach zu sich nach Deutschland eingeladen; die Mutter kam jeweils mit einem drei Monate gültigen Touristenvisum. Bei ihrem letzten Besuch war die Situation in Syrien eskaliert. Deshalb entschied der Sohn, seine herzkranke Mutter nicht zurück in die Heimat gehen zu lassen. Zu gefährlich war die Situation in Aleppo geworden. Die Mutter stellte einen Asylantrag. "Es gab keine andere Lösung", sagt Ainalou.
Egal, ob der Sohn für ihre Lebenshaltungskosten aufkommen kann oder nicht, wohnen muss Ghalia Fawal bis zum Entscheid über ihren Aufnahmeantrag in der Flüchtlingsunterkunft an der Bissierstraße. Dort teilt sie sich ein Zimmer mit drei anderen Frauen. "Sie kommt aber oft zu uns zu Besuch", sagt Sarbst Ainalou.
Als Ghalia Fawal bereits hier in Freiburg war, wurde Ende 2012 ihr Mann in Syrien im Bürgerkrieg erschossen. Von ihren sieben Kindern leben drei in Deutschland, die anderen in Syrien. Von einer Tochter wurde der Mann entführt. "Wir wissen nicht, wo er ist", berichtet Ghalia Fawal, die sich große Sorgen um ihre Kinder und Enkel in Syrien macht. Deren Häuser seien zerstört. Die Enkel könnten nicht auf die Straße und somit auch nicht zur Schule gehen, und es gebe nicht genügend zu essen. "Das Leben dort hat aufgehört", sagt Ghalia Fawal und fügt hinzu: "Bitte helfen Sie, dass ich meine Kinder mit ihren Familien hierher holen kann."
ABDULLAH AL-IBRAHIM
Was der Apotheker Mammo Asaad erlebt hat, ist auch dem dem Arzt Abdullah Al-Ibrahim passiert: Er geriet zwischen die Fronten, als er Menschen beider Seiten – Regierungstreuen und Rebellen – helfen wollte. "Aus Menschlichkeit habe ich allen geholfen, die einen Arzt benötigt haben", sagt er. Das gefiel weder der einen noch der anderen Partei. Mehrere Male wurde er von Leuten der Assad-Regierung festgenommen und verhört. Der 29 Jahre alte Gynäkologe weiß von Kollegen, die gefoltert und getötet wurden. Er weiß, dass die Regierungsleute eine Akte über ihn angelegt haben. Und er ist sich sicher, dass sie Beweise hatten, dass er Rebellen geholfen habe. "Die Situation war gefährlich." Al-Ibrahim wollte sich nicht für eine Seite entscheiden müssen. Deshalb floh er aus dem syrischen Rakka, wo er in einem Krankenhaus arbeitete, nach Deutschland – über die Türkei in einem Lastwagen. Seit zwei Monaten wohnt er nun im Flüchtlingsheim an der Bissierstraße. Seine Eltern sind noch in der Türkei. Er sorgt sich um sie. Und was, fragt er sich, wird aus seiner Heimat werden?
Im Flüchtlingsheim an der Bissierstraße muss sich Abdullah Al-Ibrahim ein Zimmer mit drei Männern teilen. Am liebsten würde er sich hier ein neues Leben aufbauen. "Mein Wunsch wäre, dass ich hier bleiben, mich als Arzt weiter spezialisieren, als Arzt arbeiten und eine eigene Familie gründen kann."
MARY ALAAKRA
Die Anästhesistin Mary Alakraa floh im vergangenen Jahr vor dem Krieg mit ihren drei Kindern über den Libanon und die Türkei nach Deutschland. Im syrischen Homs mussten sie alles in den Wirren des Kriegs zurücklassen. Ihren 43 Jahre alten Mann, den Vater ihrer drei Kinder, musste sie im Libanon zurücklassen, er hält sich im christlichen Teil von Beirut auf. Die Alakraas sind Christen. Ihr Mann, ebenfalls ein Anästhesist, sei krank, die Situation für ihn psychisch schwer zu verkraften, sagt die 40-jährige Ärztin. Die Familie hat alles, was sie hatte, verkauft, aber das Geld für die Schlepper reichte nicht aus für alle. Wenn sie nach dem Schlepper gefragt wird, beginnt Mary Alakraa zu weinen. Sie hat Angst – man kann nur erahnen, was sie mit ihm erlebt hat.
In Homs konnte sie nicht mehr zur Arbeit ins Krankenhaus und die Kinder nicht mehr in die Schule gehen, sagt die Ärztin. Die Familie erlebte die Bombeneinschläge hautnah. "Das war zu gefährlich." Die Familie musste sich im Keller verstecken. Während die beiden jüngeren Kinder, 8 und 10 Jahre alt, in Freiburg die Anne-Frank-Grundschule besuchen, geht das älteste, 17 Jahre alte Kind in die Römerhofschule. Die Kinder sind traumatisiert und machen eine Therapie. Sie seien sehr motiviert und hätten schnell Deutsch gelernt, sagt DRK-Sozialarbeiterin Elisabeth Götz. Und sie werden von einem deutschen Studenten im Geigespielen unterrichtet. Seit 27. Juni vergangenen Jahres lebten Mary Alakraa und ihre drei Kindern im Flüchtlingswohnheim an der Bissierstraße, nun endlich konnten sie in eine eigene Wohnung ziehen. Die ist zwar noch unmöbliert, aber Mary Alaakra freut sich. Nun hofft sie, so schnell wie möglich ihren Mann nachholen zu können, ein erster Versuch im Frühjahr scheiterte. Die Kinder halten über Skype Kontakt zu ihrem Vater. "Sie kriegen natürlich mit, dass es ihm in Beirut schlecht geht", sagt Mary Alakraa.
Zeinab Meslmani vom Deutschen Roten Kreuz hat freundlicherweise bei den Gesprächen als Übersetzerin fungiert.