Interview

Social-Media-Videos über angeblichen Missbrauch in Freiburg: "So soll systematisch Vertrauen zerstört werden"

Eine Verschwörungs-Influencerin teilt haltlose Behauptungen über angeblichen Missbrauch an einer Freiburger Kita – und ködert so Eltern. Katharina Nocun, Fachfrau für Verschwörungsideologie, erklärt diese Strategie - und die Gefahr.  

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Besonders auf Tiktok war das Video der Influencerin erfolgreich (Symbolbild).  | Foto: Jaque Silva/SOPA Images (Imago)
Besonders auf Tiktok war das Video der Influencerin erfolgreich (Symbolbild). Foto: Jaque Silva/SOPA Images (Imago)

BZ: Frau Nocun, was ist ein Rage-Bait-Video?

Katharina Nocun: Der Begriff Rage Bait setzt sich aus zwei Wörtern zusammen: Rage, also Wut, und Bait, Köder. Ein Rage-Bait-Video ist also ein Wutköder. Menschen werden mit Wut geködert, um einen Inhalt weiterzuverbreiten. Wir Menschen haben interessanterweise die Eigenschaft, bei starken Emotionen nicht so genau hinzuschauen, wie es um den Wahrheitsgehalt der Nachricht steht. Vielleicht haben Nutzer auch den nachvollziehbaren menschlichen Impuls, auf einen Missstand aufmerksam machen zu wollen, indem sie so einen Inhalt dann verbreiten, liken oder kommentieren.

BZ: Was passiert mit so einem Video auf den Social-Media-Plattformen?

Nocun: Die Algorithmen der jeweiligen Plattformen sind so gebaut, dass vor allem Inhalte, die starke Emotionen hervorrufen, weiterverbreitet werden. Nutzer bleiben länger auf der Plattform, interagieren mehr mit ihr und man kann ihnen mehr Werbung anzeigen. Das ist für die Plattformen durchaus lukrativ.

"Gerade das Thema sexualisierte Gewalt und auch Gewalt gegen Kinder wird oft genommen, weil das ein sehr emotionales Thema ist und sich sehr leicht politisch instrumentalisieren lässt."Katharina Nocun

BZ: Worum geht es in solchen Inhalten?

Nocun: Gerade im Kontext von politischen Themen geht es oftmals darum, dass bestimmte Feindbilder aufgebaut oder etablierte Feindbilder noch mal zusätzlich aufgeladen werden. In der Hochzeit von Pegida etwa gab es einige Lügengeschichten über Straftaten von Geflüchteten, die überall gleich verbreitet wurden - etwa, dass Geflüchtete in einem örtlichen Park Schwäne gegessen hätten. Gerade das Thema sexualisierte Gewalt und auch Gewalt gegen Kinder wird oft genommen, weil das ein sehr emotionales Thema ist und sich sehr leicht politisch instrumentalisieren lässt. Man muss sich einfach klarmachen, dass hinter vielen dieser vermeintlich lokalen Geschichten oft der Wille der Verbreitenden steht, ein größeres, auch politisch aufgeladenes Narrativ zu stärken.

BZ: Was bringt ein solches Video der Person, die es aufnimmt und veröffentlicht?

Nocun: Manche wollen auch vor allem ihre politische Weltsicht verbreiten. Andere fühlen sich geschmeichelt dadurch, dass sie mehr Follower bekommen. Darauf folgender Content wird außerdem meist einer größeren Zielgruppe angezeigt und hat dementsprechend eine größere Reichweite. Verschwörungsideologische Akteure betreiben oft auch eigene Shops - dann werden mit dem einen Inhalt Ängste kreiert und mit dem nächsten die Lösung vorgeschlagen: Hier könnt ihr euch informieren, hier ist das Buch, hier ist das Nahrungsergänzungsmittel. Oder es wird Werbung geschaltet für andere Anbieter, da kann es dann etwa eine Gewinnbeteiligung geben, wenn über einen Link etwas gekauft wird.

BZ: Die Person, die die Videos mit Freiburg-Bezug gepostet hat, vermischt auf ihrem Account die Warnung vor sexuellem Missbrauch mit vielen anderen Verschwörungserzählungen. Woher kommt das?

Nocun: Vermeintlicher Missbrauch von Kindern ist Kern der international weit verbreiteten Verschwörungserzählung Qanon, die in den USA entstanden ist und in der Donald Trump als eine Art Heiland angesehen wird. Ihr zentraler Vorwurf ist, dass die politischen Gegner von Donald Trump Kinder entführen, sie foltern, sie missbrauchen oder ihnen gar Blut abzapfen, um daraus ein Verjüngungsserum zu gewinnen. Das klingt nach Science-Fiction, nach einer Horrorgeschichte, aber es gibt nicht wenige Leute, auch in Deutschland, die an sowas glauben. Der Vorwurf von Missbrauch von Kindern ist natürlich eine Ungeheuerlichkeit. Damit kann man unglaublich starke Feindbilder kreieren, denn wir alle möchten Kinder schützen.

"Grundsätzlich haben Kampagnen, in denen behauptet wird, man kümmere sich um den Schutz vor Kindern, schon seit Jahrzehnten immer wieder eine Rolle in der extremen Rechten gespielt."Katharina Nocun

BZ: Was haben Qanon-Anhänger davon?

Nocun: Durch das vermeintliche Engagement gegen Kindesmissbrauch kann eine Gruppe wie Qanon sich selbst aufwerten: Man sieht sich selbst als Helden an, als die Wenigen, die bereit sind, für Kinder einzutreten, während alle anderen schweigen. Gleichzeitig sind die Täter die maximalen Bösewichte. Und schließlich kann damit natürlich auch Gewalt legitimiert werden, weil es angesichts einer solchen Ungeheuerlichkeit beispielsweise aus ihrer Sicht in Ordnung sei, Menschen zu bedrohen oder Anschläge zu verüben. Grundsätzlich haben Kampagnen, in denen behauptet wird, man kümmere sich um den Schutz vor Kindern, schon seit Jahrzehnten immer wieder eine Rolle in der extremen Rechten gespielt - auch in Deutschland. Ein klassisches Beispiel ist die NPD-Forderung "Todesstrafe für Kinderschänder”. Wenn man sich anschaut, was solche Akteure konkret für den Schutz von Kindern machen, dann ist das meist wenig bis gar nichts.

BZ: Sehen Sie noch eine weitere Gefahr in diesen Narrativen?

Nocun: Kindesmissbrauch findet in vielen Fällen durch Täter statt, die im direkten Umfeld der Familie sind. Verbreitet werden aber Geschichten, in denen die Täter eher externe Personen sind, etwa ein Geflüchteter oder vielleicht die Mitarbeitenden, die in einer Kita arbeiten, die eher progressiv orientiert ist. Das hat mit den realen Missbrauchserfahrungen vieler Betroffener wenig zu tun. Wie kann ich Missbrauch in der Familie erkennen? Das ist als Thema viel unbequemer, weil man da nicht diese einfachen Feindbilder hat, weil die Gefahr nicht externalisiert werden kann. Ich halte Kampagnen gegen Aufklärung in Einrichtungen für Kinder und Jugendlichen im Kontext der Prävention von sexuellem Missbrauch für sehr gefährlich. Denn Kinder müssen natürlich irgendwo Dinge lernen wie: Welche Verhaltensweisen von Erwachsenen mir gegenüber sind nicht in Ordnung? Wie spreche ich darüber, dass jemand etwas getan hat, was nicht in Ordnung ist? Das können Kinder nur dann machen, wenn ihnen erklärt werden konnte, was übergriffiges Verhalten ist. Damit das möglich ist, muss man auch über bestimmte Themen reden. Ich halte es auch für wichtig, dass Bildungseinrichtungen das tun, weil nicht in allen Familien über sowas gesprochen wird. Das ist nach wie vor ein Tabuthema.

BZ: Was ist das übergeordnete Ziel der Menschen, die solche Erzählungen verbreiten?

Nocun: Dahinter steht das Ziel, Misstrauen gegen Institutionen, Medien und Behörden zu säen. Wenn man beispielsweise in einem Video behauptet, dass Medien und Behörden nicht berichten, dann ist das eben ein Zeichen dafür, dass alle unter einer Decke stecken, dass es eine große Verschwörung gibt. Genau das ist das Fundament von ziemlich jeder Verschwörungserzählung. So soll systematisch das Vertrauen zerstört werden, das notwendig ist für eine funktionierende Demokratie. Weite Teile des verschwörungsideologischen Milieus haben ein schwieriges Verhältnis zur Demokratie, zur Pressefreiheit und vor allem auch zur Wahrheit.

BZ: Wie können Social-Media-Nutzer ihren Blick für solche problematischen Inhalte schärfen?

Nocun: Grundsätzlich sollte man sich nicht nur über Social Media informieren, sondern immer auch schauen, ob seriöse Medien darüber berichten. Gibt es mehrere Quellen? Es lohnt sich auch, einen Begriff mit dem Stichwort "Faktencheck” zu googlen. Man muss sich aber bewusst machen, dass Faktenchecker und seriöse Journalisten auch mal ein paar Tage oder Wochen brauchen, um auf Dinge zu reagieren. Ideologen und Verbreiter von Falschinformationen haben da einen großen Vorteil. Sie brauchen nicht zu recherchieren, sie können einfach Dinge behaupten und möglichst schnell verbreiten. Seriöser Journalismus und dröge Polizeiarbeit brauchen Zeit. Gerade bei Themen, die uns stark emotional treffen, macht es durchaus Sinn, einmal durchzuatmen und erst mal noch genau hinzuschauen. Ist da wirklich was dran? Soll ich das wirklich verbreiten? Oder sollte ich, ehe ich riskiere,

Katharina Nocun  | Foto: Gordon Welters
Katharina Nocun Foto: Gordon Welters

Falschaussagen zu verbreiten oder jemanden fälschlicherweise zu beschuldigen, vielleicht noch mal abwarten und genauer hinschauen?

Zur Person

Katharina Nocun ist Politik- und Wirtschaftswissenschaftlerin, Podcasterin (denkangebot.org) und Autorin mehrerer Bücher über Verschwörungsideologien, darunter "Fake Facts” (2020) und "Gefährlicher Glaube - Die radikale Gedankenwelt der Esoterik” (2022). Mehr Infos: kattascha.de.

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Sven Vaihinger

1315 seit 9. Okt 2012

Wer diesen auf Sensation und Krawall gebürsteten Medien glaubt, dem ist auch wirklich nicht zu helfen! Je höher der IQ, desto weniger nutzen Menschen solche Medien.


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