Italien
Skrupellos und kaltblütig - Jugendgewalt in Neapel eskaliert
Drei Teenager werden in Neapel in nur zwei Wochen erschossen. Die Skrupellosigkeit der teils minderjährigen mutmaßlichen Täter schockiert. Die Politik kündigt nun eine härtere Gangart an.
Robert Messer & dpa
Fr, 15. Nov 2024, 11:07 Uhr
Panorama
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Es begann als ein banaler Streit um einen schmutzig gewordenen Schuh: In einem Vorort von Neapel tritt ein Teenager einem anderen auf dessen 500-Euro-Schuh einer italienischen Luxusmarke. Die Situation eskaliert, es kommt zu wüsten Beschimpfungen und einem Handgemenge. Der 19-jährige Santo R. geht dazwischen, um zu schlichten - am Ende trifft den jungen Torwart einer Fußballmannschaft die Kugel einer Pistole mitten in die Brust.
Der mutmaßliche Täter - ein 17-Jähriger, der erst wenige Monate zuvor aus dem Jugendgefängnis entlassen worden war - fährt daraufhin weg. Als wäre nichts gewesen, trifft er sich mit Freunden in einer Bar in dem Ausgehviertel Chiaia in Neapel zum Trinken.
Drei tote Teenager in gut zwei Wochen
Innerhalb von 17 Tagen wurden in Neapel und einem Vorort der süditalienischen Großstadt drei Teenager erschossen: erst der 15-jährige Emanuele T., dann Santo R. und am vergangenen Wochenende der 18-jährige Arcangelo C. Bei den mutmaßlichen Tätern handelt es sich ebenfalls um gleichaltrige Teenager. Die Zivilgesellschaft wirkt hilflos und resigniert.
Zwar kommt es in Neapel immer wieder zu Gewalt von Jugendbanden, auch mit Schusswaffen. Doch die Kaltblütigkeit und Skrupellosigkeit der jüngsten Vorfälle schockieren die Menschen. Wurden zuvor Messer oder Schlagstöcke mitgeführt, sind es nun Pistolen. Es mehren sich die Berichte, dass bei Streits leichtfertig die Pistole gezückt und benutzt wird.
Neapel kämpft seit geraumer Zeit wegen Gewalt und Kriminalität mit einem schlechten Image. Gewalttätige Übergriffe und Diebstahl sind seit langem ein Problem. Oft werden Touristen davor gewarnt, bestimmte Viertel, vor allem am Rande der Stadt, zu besuchen. Dazu zählen vor allem Scampia und Secondigliano, bekannt für die Machenschaften der Mafia.
Zahlreiche Waffen unter Jugendlichen im Umlauf
Dass so viele Waffen im Umlauf sind, beunruhigt die Behörden. Insbesondere in den Außenbezirken der Hafenstadt kommt man einfach daran. Der junge Schütze im Fall Santo R. gab an, seine Pistole in Scampia gekauft zu haben, einer Hochburg von Mafia-Familien, geprägt von Bandenkriminalität und Drogenhandel. "Leider sind Waffen auch im Internet leicht zu finden und zu erstehen", sagt der Antimafia-Staatsanwalt Nicola Gratteri.
Nicht selten kommt es vor, dass die Tötungen im Umfeld der Camorra geschehen, der neapolitanischen Mafia. Die Camorra-Clans haben es mittlerweile vor allem auf sehr junge Männer für ihre "schmutzigen Geschäfte" abgesehen, betont der Schriftsteller Roberto Saviano, der für seine Mafia-Enthüllungen bekannt ist. Sie seien gewaltbereiter und würden kaltblütiger vorgehen als Ältere.
Bemerkenswert sei allerdings nun, dass es bei den drei toten Teenagern keine Anzeichen für Verbindungen zur Mafia gebe, sondern für Streit unter Gruppen. Im Fall von Arcangelo C. war es der Cousin, der ihn erschossen hat. Der mutmaßliche Täter beteuert, beim Hantieren mit der Waffe habe sich der Schuss gelöst, doch daran zweifeln die Ermittler. Höchstens beim Fall Emanuele T. könnten rivalisierende mafiöse Banden mit im Spiel gewesen sein.
"Diese Jugendlichen haben die Hoffnung verloren"
Nach Angaben von humanitären Organisationen verlassen 18 Prozent der Kinder in Neapel ohne Abschluss die Schule. Neapel und die Umgebung sind von hoher Arbeitslosigkeit und Schwarzarbeit geprägt. Unter vielen Jugendlichen herrscht große Perspektivlosigkeit.
Der Staat und seine Institutionen sind in ihrem Leben oft abwesend. Die Tante von Santo R. beklagte diesen Umstand im italienischen Fernsehen: "Für die Institutionen sind die toten Teenager nur eine weitere Nummer. Nichts hat sich geändert. Ich sage: Gebt ihnen Hoffnung, sie müssen ihnen Perspektiven geben. Diese Jugendlichen haben die Hoffnung verloren."
Regierung kündigt schärfere Maßnahmen an
Sie und zahlreiche Demonstranten, die in den vergangenen zwei Wochen gegen die Jugendgewalt protestierten, fordern mehr Unterstützung vom Staat. "Es gibt ein soziales Problem, und wir müssen es gemeinsam angehen. Wir müssen bei den Jugendlichen eine Kultur der Legalität säen", sagt Neapels Polizeichef Maurizio Agricola in einem Interview.
Indes besuchte Italiens Innenminister Matteo Piantedosi nach den drei tödlichen Vorfällen Neapel. Er kündigte einen Plan gegen die zunehmende Jugendgewalt an: mehr Polizisten an berüchtigten Orten des Nachtlebens und mehr Überwachungskameras in der Innenstadt.
Viele in Neapel zweifeln, ob das reicht. Die Tante von Santo R. sagte etwa: "Warum können wir nicht ein deutliches Zeichen setzen?" Jugendlichen sollte beigebracht werden, durch harte Arbeit und Anstrengung etwas zu erreichen, anstatt sich Banden und Kriminalität hinzugeben.
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