BZ-Interview

Schimpansin im Basler Zoo säugt eigenes und fremdes Junges

Adrian Baumeyer vom Basler Zoo erklärt, unter welchen Bedingungen Tiere im Zoo fremde Junge adoptieren. In der Natur, sagt der Tierexperte, gebe es so etwas fast nie.  

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Die Schimpansin Kitoko mit Sabaki, ihrem eigenen Jungen, und Sangala, die sie adoptiert hat. Foto: Torsten Weber

. Die Schimpansendame Kitoko im Basler Zoo trägt zwei Äffchen an ihrer Brust: Sabaki, den sie selbst zur Welt gebracht hat, und Sangala, die sie adoptiert hat. Im Tierreich kommt es hin und wieder zu Adoptionen. Zum Muttertag am Sonntag hat Adrian Baumeyer, Kurator im Zoologischen Garten Basel, mit Claudia Müller über diese besonderen Tiermütter gesprochen.

BZ: Kitoko ist Mutter und zugleich Adoptivmutter. Wie kam es dazu?

Baumeyer: Ende Juni 2021 hat das Schimpansen-Weibchen Fifi – Kitokos Schwester – ein Junges zur Welt gebracht, Sangala. Zuerst hat alles gut ausgesehen, doch nach etwa zwei Wochen wurde Fifi schwach und hat zu lahmen begonnen. Gleichzeitig hat Kitoko das Junge immer häufiger zu sich genommen. Wir haben damals gedacht: Das kommt nicht gut, was soll das Junge trinken? Aber die Milchproduktion hat bei Kitoko ungewöhnlich früh eingesetzt – einfach, weil etwas da war, das trinkt. Eine Woche später hat Kitoko ihr eigenes Junges, Sabaki, geboren und beide Jungtiere übernommen.

BZ: Und Fifi?

Baumeyer: Sie ist wieder fitter und nimmt ihr eigenes jetzt wieder häufiger. Die beiden Mütter hätten ohnehin zusammen mit ihren beiden Jungtieren gespielt, weil sie gute Freundinnen sind. Aber zum Trinken gehen beide zu Kitoko. Schimpansen säugen ihre Jungen etwa vier Jahre lang. Dass in dieser Phase ein Weibchen ein zweites Jungtier adoptiert, gibt es in der Natur praktisch nie.

BZ: Woran liegt das?

Baumeyer: Bei uns im Zoo sind mehrere Faktoren zusammengekommen, damit es gepasst hat: Kitoko hatte gerade Milch und die beiden Weibchen verstehen sich gut. Und sie kann es sich leisten, ein zweites Junges zu versorgen: Sie hat genug zu fressen, ausreichend Schutz und kann sich immer zurückziehen. In der Natur leben wir nie im Paradies. Wenn da eine Mutter selbst ein Junges hat und ein zweites übernimmt, mindert das die Lebenschancen von beiden extrem. Das wird sie nicht tun, schließlich will sie ihre eigenen Gene weitergeben. Generell ist Adoption bei Tieren also enorm selten.

BZ: Mit Nächstenliebe hat das also wohl eher nichts zu tun...

Baumeyer: In der Natur ist sich jeder selbst der Nächste. So altruistisch wie wir Menschen sind die wenigsten Tiere. Aber wir tun den Tieren Unrecht, wenn wir ihnen menschliche Moral und Ethik überstülpen. Hätte Kitoko das fremde Junge abgelegt und sich nur um ihr eigenes gekümmert, wäre das aus ihrer Sicht völlig normal gewesen.

BZ: In den sozialen Netzwerken findet man Fotos von Katzen, die Hundewelpen säugen. Gibt es das wirklich?

Baumeyer: Da muss man aufpassen, das ist immer eine Momentaufnahme. Dass es auf Dauer gut kommt, wenn eine Katze Hundewelpen säugt, bezweifle ich. Möglich ist bei Hauskatzen aber die forcierte Adoption, wenn man die Jungtiere von einem Weibchen zum anderen wechselt. Das funktioniert, weil da der Geruch wichtig ist – und der ist vom Menschen.

BZ: Also ebenfalls eine Adoption, die es in der Natur so nicht geben würde?

Baumeyer: Wenn der Mensch helfen kann, funktioniert so etwas zum Beispiel auch bei Antilopen. Die legen ihre Jungtiere irgendwo in einer Ecke ab und kommen zwei Mal am Tag zurück. Ihr Junges erkennen sie nicht am Geruch, sondern am Standort. Da kann man die Jungtiere einfach austauschen.

BZ: Ein bisschen wie der Kuckuck, der seine Eier fremden Vogelmüttern unterjubelt. Ist das eine Adoption wider Willen?

Baumeyer: Brutparasiten heißen die Vögel, die ihre Eier von Adoptiv- oder Zieheltern ausbrüten und aufziehen lassen. Adoptionen gibt es auch bei Vögeln, die längere Zeit monogam leben – zum Beispiel Pinguine, bei denen es gleichgeschlechtliche Paare gibt. Bei Weibchen ist das einfach: Wenn die Brutstimmung kommt, lässt sich das eine von einem Männchen decken, und die beiden Weibchen haben das Jungtier zusammen. Und wenn es zwei Männchen sind, kommt es vor, dass sie ein Ei klauen und selbst ausbrüten. Diese Adoption ist für das Tier, dem das Ei geklaut wurde, genetisch sogar ein Vorteil: Es kann ein zweites Ei produzieren und hat zweimal Nachwuchs.

Adrian Baumeyer (41) ist Biologe. Er arbeitet als Kurator im Zoologischen Garten Basel.
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