Säuglinge an die Wahlurnen
Kinderrechtler kämpfen für das Wahlrecht ab null Jahren.
Dominic Fritz
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Die Frauen haben den Kampf um Gleichberechtigung schon hinter sich, die amerikanischen Schwarzen auch: In den modernen Demokratien werden keine gesellschaftlichen Gruppen mehr vom Wahlrecht ausgeschlossen. Wirklich? Immerhin 20 Prozent der Deutschen dürfen auch weiterhin keine Wahlkabine betreten - nämlich die fast 16 Millionen Kinder und Jugendlichen unter 18. Die Berliner Kinderrechtsgruppe K.R.Ä.T.Z.Ä kämpft seit Jahren für das Wahlrecht ab null.
Doch Sabine und die anderen Kinderrechtler haben gewichtige Argumente: "Das Recht auf demokratische Mitbestimmung ist ein Menschenrecht. In einer Demokratie muss gelten, dass alle Menschen, die von Entscheidungen betroffen sind, sich am Zustandekommen dieser Entscheidungen beteiligen können; und das geschieht hier zu Lande durch Wahlen", schreibt K.R.Ä.T.Z.Ä. in einem Argumentationspapier. Politik werde nunmal für die gemacht, die wählen dürfen. Solange junge Menschen eben dieses Recht nicht hätten, blieben auch deren Interessen ungehört. Das beliebte Gegenargument, Kinder und Jugendliche seien zum Wählen noch gar nicht reif genug, weiß Sabine Steldinger zu entkräften: "Beim Wahlrecht geht es nicht um Reife. In der Demokratie entscheiden nicht Qualitäten, sondern Mehrheiten." Jede Stimme habe das gleiche Gewicht und es sei völlig egal, welche Argumente dahinter stünden. Ohnehin sei Reife gar nicht messbar, Erwachsene würden auch nicht auf ihre Reife untersucht. Und wer halt wirklich so jung sei, dass er Politik nicht verstehe, der müsse ja auch nicht wählen.
Klaus Kordon hält es für ein Vorurteil, dass Jugendliche nichts von Politik verstünden. Der preisverwöhnte Jugendbuchautor gehört zu einer Reihe von Prominenten, die die Wahlrechtsinitiative unterstützen. "Jugendliche, die sich mit Politik beschäftigen, wissen sehr wohl, worum es geht; und viele Testwahlen, zum Beispiel an Berliner Schulen, haben sehr vernünftige Ergebnisse hervorgebracht." Natürlich will Kordon keine Fünfjährigen an die Urnen schicken, doch die Idee von K.R.Ä.T.Z.Ä. findet er zumindest nachdenkenswert. "Wurstblättchen-Leser, die sich über das Schicksal von Prinzen und Königinnen informieren, haben vielleicht keine Ahnung von Politik und dürfen trotzdem wählen. Wieso sollte man dieses Recht dann interessierten Jugendlichen vorenthalten?" Die Kinder- oder Jugendparlamente, so der Autor, seien zu wenig an Partizipation, solange sich Vorstellungen der jungen Menschen nicht auch in den Wahlergebnissen niederschlügen.
1999 ergab eine Befragung von 18-jährigen Deutschen, dass fast 40 Prozent ihre Meinung zu wenig beachtet finden. Die Umfrage wurde unter anderem vom deutschen Kinderhilfswerk gemacht, das zu den größten Unterstützern eines Wahlalters ab null Jahren zählt. Der Sprecher der Organisation, Michael Kruse, schlägt vor, die Altersgrenzen zunächst auf kommunaler Ebene aufzuheben. "Hier sind die Kinder direkt betroffen: Straßenverkehr, Sauberkeit auf öffentlichen Plätzen, Überalterung der Lehrer." Die Befürchtung, Kinder seien zu sehr manipulierbar, teilt er nicht. "Kinder lassen sich nicht mehr oder weniger beeinflussen als andere."
Dieser Forderung wird das Deutsche Kinderhilfswerk wohl auch am Wochenende Ausdruck verleihen, wenn in Berlin nicht nur der Wahlsonntag, sondern auch noch Weltkindertag gefeiert wird. Während Klaus Kordon bezweifelt, dass "die Politik etwas in dieser Richtung ändern wird", bleibt auch Sabine Steldinger von den KinderRächtsZänkern realistisch: "Ich verspreche mir da wenig von der Politik, aber ich bin schon froh, wenn wenigsten einige in der Bevölkerung mal über den gegenwärtigen Unsinn nachdenken."
Infos im Internet: http://www.ich-will-waehlen.de und http://www.kraetzae.de
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