Reisen wie im Postkartenkitsch
Bella Italia hat viele Gesichter - städtische und ländliche - und wer aufmerksam reist, bekommt etliche davon zu sehen.
JuZ-Mitarbeiter Yannic Federer
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Wenn man vom Grillplatz des Campingplatzes "Camping Boschetto di Piemma" nahe dem Städtchen San Gimignano über die hügelige Landschaft blickt, die gespickt ist von kleinen Zypressenwäldchen zwischen Reben, Wiesen und einsamen, kleinen Siedlungen, glaubt man, man sei in der kitschigen Welt einer Toscana-Postkarte gelandet.
Wenn man durch Italien reist, erlebt man dieses Phänomen oft: Man flieht vor der milanesischen, urbanen Einöde und dem Labyrinth ihrer chaotischen Straßen, man nimmt Reißaus vor den nicht enden wollenden Strandbädern und den überteuerten Campingplätzen an der Küste, sagen wir südlich von La Spezia, und man verzweifelt je mehr trostlose Vororte man auf den strade statali, den Bundesstraßen, durchfährt; bis man endlich einen Ort findet, der Harmonie und Ruhe verspricht. Aber genau dort wird man etwas frustriert feststellen, dass man nicht der erste Urlauber ist, der Ruhe und landschaftliche Einzigartigkeit den chronisch gut gelaunten Animateuren und von Liegestühlen in Reih und Glied zugepflasterten Stränden vorzieht.
Immerhin lernt man auf dieser Odyssee gewisse italienische Spezialitäten kennen - gemeint sind nicht nur die zu Tisch. Schon simples Autofahren wird zum Abenteuer: Was die Geschwindigkeitsbeschränkungen angeht, herrscht in Italien vollkommene Anarchie. Zwar hat irgendwer - vermutlich im Dienste des Staates - geschwindigkeitsbeschränkende Schilder aufgestellt, jedoch fällt es schwer, sich an diese zu halten.
Tut man es mit all seiner urdeutschen Regelverliebtheit doch, wird man gnaden- und pausenlos überholt - egal ob der hupende Renault Espace auf der Gegenfahrbahn schon gefährlich nahe ist oder nicht. Jedoch muss man dieser italienischen Marotte zugute halten, dass die Geschwindigkeitsbeschränkungen reichlich utopisch sind. Wer ist nicht ungehalten, wenn auf schnurgerader, gut ausgebauter und perfekt zu überblickender Straße auf den Schildern 60 Stundenkilometer vorgeschrieben sind? Schilder sind so eine Sache in Italien. Sucht man einen Ort, findet ein wegweisendes Schild und folgt ihm, kann es sein, dass man an der nächsten Kreuzung keines mehr findet. Ratlos fährt man geradeaus. An den nächsten Kreuzungen ergeht es einem genauso. Schließlich wird man misstrauisch und kehrt um, um nach dem Weg zu fragen. Später wird man herausfinden, dass, wäre man weiter geradeaus gefahren, man einige Kilometer und etliche Liter Benzin hätte sparen können.
Apropos Benzin: Es ist sehr verwunderlich, wie sehr die Preise hier von Tankstelle zu Tankstelle schwanken. "1,19 Euro, ganz wie daheim", denkt man noch bei einer, bei der nächsten sind es plötzlich nur noch 1,13 Euro für "senza piombo", bleifrei. Entweder die Anzeigen der Tankstellen übertragen die Schwankungen des Rohölpreises auf dem Weltmarkt in Echtzeit oder man ist hier auf die Würfelkalkulation umgestiegen. Chissà, wer weiß.
Ähnlich fremd erscheint einem die italienische Straßensoziologie: Schleichende BMW-Z4-Fahrer nebst drängelnden und immer wieder rasant überholenden Fiat Pandas, die plötzlich scharf abbremsen und auf den Seitenstreifen rollen, um die Dienste einer grellbunt gekleideten und geschminkten Mittvierzigerin in Anspruch zu nehmen, die auf einem Plastikstuhl im Schatten eines Baumes schon seit Stunden auf Kundschaft zu warten scheint.
Wir betrachten's mit Gelassenheit. Und finden schließlich einen akzeptablen Campingplatz in schönster Umgebung. Da stellen wir fest, dass Campingplatzbesitzer eine äußerst seltsame Spezies sind. Irgendwann in ihrer jahrelangen Badeschlappenkarriere müssen sie ihre Muttersprache verloren und gegen ein deutsch-englisch-französisches Kauderwelsch eingetauscht haben, in das sich nur ab und zu ein paar Fetzen Italienisch mischen. Selbst wenn man in mehr oder weniger perfekt erlerntem Italienisch nach freien Zeltplätzen fragt ("Ci sono ancora piazolle libere?"), wird einem auf Kauderwelschisch geantwortet ("Bonjour, how many? Tenda groß?) - vermutlich ein linguistisch-psychologisches Phänomen.
Sitzt man dann endlich, wie wir jetzt, bei einem Glas Chianti, einem köstlichen Bisteccha, genießt die Aussicht und übt sich mit neuen Bekanntschaften in holperigem Italienisch, ist man allemal für die Strapazen der Italienreise entlohnt. Das ist "dolce far niente"!
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