BZ-Interview
Psychologe Peter Walschburger über unterlassene Hilfeleistung
Mit Empörung reagiert die Öffentlichkeit auf einen Fall von unterlassener Hilfeleistung in einer Essener Bank. Allenthalben wird gefragt: Wie kann man nur so gefühllos sein? Im Interview mit Christoph Driessen von der Deutschen Presse-Agentur erklärt der Psychologe Peter Walschburger das Verhalten der Passanten.
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BERLIN/ESSEN.
Walschburger: Nein, das ist nicht so. Der Mensch ist eigentlich von Natur aus sozial und bereit zu helfen. Die menschliche Kultur ist vor allem durch Kooperation entstanden.
BZ: In diesem Fall war davon aber nicht viel zu merken.
Walschburger: Der Mensch ist von der Evolution her nicht auf Situationen angelegt, in denen Fremd auf Fremd trifft. Er ist darauf angelegt, Menschen zu helfen, die er gut kennt. Und das dürfen auch nicht zu viele sein, denn er hat sich in überschaubaren Gruppen entwickelt. Unser heutiges Leben, vor allem in der Stadt, läuft aber unter völlig anderen Bedingungen ab. Da macht jeder sein Ding.
BZ: Sie sagen also, die Bankkunden haben nicht geholfen, weil sie den am Boden Liegenden nicht kannten?
Walschburger: Ich will dieses schlimme Verhalten auf keinen Fall rechtfertigen oder psychologisch bemänteln. Ich versuche nur, auf das Bedingungsgeflecht für solches Handeln hinzuweisen. Was ich nicht glaube, ist, dass da durch Zufall vier moralisch völlig verrohte Leute hereingekommen sind. Die besondere Situation hat schon auch eine wesentliche Rolle gespielt.
BZ: Was ist so besonders an der Situation?
Walschburger: Es ist eine leere Schalterhalle, an einem Tag, wo die Bank geschlossen ist. Man will noch schnell Geld ziehen, hat es vielleicht eilig. Und dann wird man mit etwas Unangenehmem, Fremdem konfrontiert. Man hat schon öfter einen Obdachlosen so daliegen sehen. Für einen Moment denkt man: Soll ich jetzt den Notruf wählen? Vielleicht ist es aber doch nichts Ernsthaftes, dann blamiere ich mich. Müsste ich nicht auch versuchen, den zu reanimieren? Das traue ich mir aber gar nicht zu. Und dann entscheidet man sich – auch, weil man sich unbeobachtet fühlt – dafür, nichts zu tun. Und das ist natürlich genau falsch.
BZ: Wie kann man das ändern?
Walschburger: Wir brauchen sozusagen eine Verdörflichung der Stadt. Nachbarschaftshilfe statt Großstadt-Anonymität. Wir müssen wieder lernen, hinzuschauen statt wegzusehen. Und wir brauchen dringend praktische Verhaltensregeln, mehr Einsicht in unsere Rechtsnormen und in Grundwerte unseres Zusammenlebens. Dann wird es viel einfacher, in einer solchen Situation richtig zu handeln.
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