Freiburg forscht
Philosoph Oliver Müller hilft mit, an der Universität die noch junge Disziplin Neuroethik zu entwickeln
Wie fühlt es sich an, mit einem Hirnschrittmacher zu leben? Was genau ist eigentlich der Unterschied zwischen dem Willen und der Intention? Wie kann man Neurotechnologie in der Kunst reflektieren? All das sind Fragen, mit denen sich Oliver Müller auseinandersetzt.
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Für Technik und Gadgets, sagt Oliver Müller, habe er sich eigentlich nie so recht interessiert. Allerdings umso mehr dafür, was der Mensch eigentlich ist, was ihn ausmacht. "Bei einer Diskussion in Venedig, einem meiner Studienorte, haben mir zwei Professoren quasi von jetzt auf gleich klar gemacht, wie fundamental Technik uns prägt", erzählt Müller. Der Philosoph begann sich mit dem Hybrid Brain zu beschäftigen, also dem Gehirn, in dem die Natur auf Technik trifft.
Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn Ärzte Epilepsiepatienten einen Hirnschrittmacher einsetzen. Dieses Gerät setzt elektrische Impulse ab, stimuliert so eine bestimmte Region im Gehirn und hilft dadurch, die für Epilepsie typischen Krampfanfälle zu vermeiden. Auch bei der Parkinson-Krankheit wird diese Form der tiefen Hirnstimulation erfolgreich eingesetzt.
fehlerfrei zu kommunizieren
"Wichtig ist es, auch mit den Betroffenen selbst zu sprechen. Wir versuchen, die subjektive Perspektive ernst zu nehmen und mit dem technischen Blick von außen auf das Gehirn zu verbinden", sagt Müller. Es passiert auch, dass Menschen trotz aller ethischer Bedenken und vorgetragenen Risiken die Technik im Kopf wählen. "Keiner von uns weiß, wie es sich anfühlt, für sich selbst eine solche Entscheidung zu treffen", sagt Müller.
Obwohl so manche neuroethische Fragen schon lange gestellt werden, ist die Neuroethik als eigenständige Disziplin noch recht jung. Entsprechend schwer tun sich die Wissenschaftler mit der klaren Abgrenzung grundsätzlicher Begriffe. "Es wäre zum Beispiel großartig, wenn man aus dem Hirn eines Prothesenträgers nicht nur die Information herauslesen könnte, dass er den Arm jetzt bewegt, sondern bereits die Intention, dass er ihn jetzt gleich bewegen will", sagt Oliver Müller. Gelänge dies, "wüsste" die Prothese, was der Patient will, bevor die eigentliche Bewegung stattfindet.
Damit die Neurowissenschaftler, die an solchen Methoden arbeiten, fehlerfrei miteinander kommunizieren können, müssen sie genau wissen, worüber sie reden. Das zu definieren ist die Aufgabe von Oliver Müller und seinem Team. "Wir wollen weg von der pauschalen alltäglichen, unreflektierten Verwendung der Begriffe Willen, Absicht oder Intention. Wir zerlegen sie in kleinste Teile. Uns interessiert: Wo genau beginnt die Intention? Findet da eine Planung statt? Ist das rein motorisch? Wird ein Ziel formuliert", erklärt Müller. Ist ein Begriff besser verstanden, so die Hoffnung der Philosophen, können sich die Wissenschaftler dem Prozess noch differenzierter nähern.
Vielleicht, sagt Müller, ändere sich dadurch auch die ganze Fragestellung. Er und seine Mitarbeiter planen gerade ein interdisziplinäres Kompendium mit neurowissenschaftlichen und philosophischen Einträgen.
Prothesen und technische Elemente im Gehirn, die Kranke gesünder machen oder den Menschen und seine Leistung optimieren – solche Themen laden geradezu dazu ein, sich auch künstlerisch mit ihnen auseinanderzusetzen. Das tut Müller mit dem Exzellenzcluster Brainlinks-Braintools und dem Theater Freiburg seit vielen Jahren in ganz unterschiedlichen Veranstaltungen und Projekten. Im vergangenen Jahr war das zum Beispiel "Braindance", in dem Wissenschaft, Tanz und Parkinson aufeinandertrafen. "Wir haben drei Perspektiven zusammengebracht: die künstlerische, die des Patienten und die des Wissenschaftlers – so erwächst für alle ein ganz neues Verständnis", sagt Müller. Dieses Jahr beschäftigen sich Tänzer, Neurowissenschaftler und Menschen mit der Parkinsonschen Krankheit im deutsch-israelischen Projekt "Störung" mit Bewegungsstörungen als Folge neurologischer Erkrankungen.
Dass Wissenschaftler mit Künstlern zusammenarbeiten, ist für Oliver Müller Teil einer immer wichtiger werdenden Aufklärung. Der Philosoph will, dass die Leute mehr hinterfragen und Position beziehen zu dem, was Wissenschaftler neu erforschen und anbieten. Denn, gibt er zu bedenken: "Nur weil es immer mehr Möglichkeiten gibt, heißt das ja nicht automatisch, dass das auch jeder mit sich machen lassen muss."
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