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Palästina ist überall

  • Manfred Riepe

  • Do, 16. Januar 2020
    Kino

     

EPISODENFILM: "Vom Gießen des Zitronenbaums".

Regisseur und Hauptdarsteller: Elia Suleiman  | Foto: - (dpa)
Regisseur und Hauptdarsteller: Elia Suleiman Foto: - (dpa)
Elia Suleiman trifft Reisevorkehrungen. Der sich selbst spielende Regisseur aus Nazareth will potenzielle Geldgeber für ein Filmprojekt kontaktieren. Um ihn herum geschehen derweil skurrile Dinge. Ein freundlicher Nachbar plündert seinen Zitronenbaum und rechtfertigt das damit, er habe ja vorher gefragt. Ein anderer Nachbar erzählt die Geschichte von einer Schlange, die einen Autoreifen aufpumpt. Es ist eine fremde und seltsame Welt, die Suleiman in seiner Anthologie lose zusammenhängender Tableaus beobachtet. Mit den Klischees des Nahostkonflikts, die man aus Fernsehnachrichten kennt, haben diese Bilder nichts zu tun. Keine Raketeneinschläge, keine Intifada.

Stattdessen: verdichtete, stilisierte Vignetten im Jacques-Tati-Stil. Da sitzt am Nachbartisch ein grimmiges Brüderpaar. Sie beschweren sich. Im Essen ihrer Schwester seien Spuren von Alkohol gewesen. Der Wirt kennt seine Pappenheimer. Er ertränkt ihren Protest im Whiskey. Später wird Suleiman beim Autofahren überholt von einem Polizeiwagen, auf dessen Rücksitz eine gefesselte Frau sitzt. Fahrer und Beifahrer, israelische Polizisten, widmen sich mit schlafwandlerischer Hingabe ihren Sonnenbrillen.

Mit solchen aphoristisch zugespitzten, zuweilen traumartigen Beobachtungen, in denen der Regisseur und Hauptdarsteller jeweils als stoisch schweigender Betrachter zugegen ist, lotet Suleiman das widersprüchliche Selbstverständnis der Palästinenser und ihr gebrochenes Verhältnis zu den Israelis aus. Der palästinensische Alltag erscheint in diesen surreal anmutenden Bildern als routinierte Form von Agonie.

Auf den ersten Abschnitt, seinen Landsleuten in Nazareth gewidmet, folgen Szenen in Paris und New York, lose gebündelt durch den Erzählfaden – der Suche des Regisseurs nach Produzenten seines Films. Dabei verändern sich Thematik und Tonfall. Zwei Sujets treten in den Vordergrund: das Verhältnis zu Frauen und zur Gewalt. Was auch immer in der Welt geschieht, so die Pointe dieses – nicht durchweg subtilen – filmischen Gedichts, hat etwas mit dem Nahostkonflikt und den Palästinensern zu tun. War die erste halbe Stunde noch ein cineastisches Erlebnis, so geht dem Film zusehends die Luft aus. Schade eigentlich. (Läuft in Freiburg, ohne Alterslimit)

Ressort: Kino

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 16. Januar 2020: PDF-Version herunterladen

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