Muscheln und Monster

Ravi, der kleine Inder, wünscht sich, dass auf seinem großen Spielplatz bald alles wieder so wie früher ist.  

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Ravi und seine Freunde haben es gut. Könnte man denken. Sie wohnen am größten Spielplatz der Welt: hundert Meter breit, viele Kilometer lang und massenhaft Zeug, mit dem man spielen kann - Treibholz, Seegras, feiner Sand und vor allem Muscheln. Manche sehen aus wie Untertassen, andere wie Schneckenhäuser. Wenn man sie ans Ohr hält, kann man das Meer darin rauschen hören.

Ravi ist acht und sein Name bedeutet "Sonne". Sonnenbrand kennt er nicht, denn seine Haut ist so dunkelbraun wie Schokolade. Früher haben Ravi und seine Freunde fast jeden Tag hier gespielt, Sandburgen gebaut, Muschelmauern gemauert und sich lachend Sand ins Gesicht geworfen. Wenn ihnen heiß war, sind sie einfach ins Meer gesprungen. Denn ihr Spielplatz ist der Strand. Ravi und seine Freunde sind Inder. Sie leben in Chennakuppam, einem Fischerdorf am Indischen Ozean.

Aber nun ist der Riesenspielplatz meist menschenleer. Denn hier ist an einem schönen Sonntagmorgen vor sieben Wochen etwas passiert, das keiner von ihnen vergessen kann: Das Meer ist plötzlich mit Gebrüll über ihren Spielplatz hergefallen, auch über die Fischerboote ihrer Väter und über einige Häuser des Dorfes - und hat alles kaputtgemacht. Es war der "Tsunami", die große Flutwelle, ausgelöst von einem Beben unter dem Meeresboden, so stark, wie es wohl nur einmal in tausend Jahren vorkommt. Glücklicherweise sind Ravi und seine Freunde fast unverletzt davongekommen. "Aber der Schrecken war schlimm", sagt Ravi. Jetzt sieht man die Kinder nur noch ganz selten auf ihrem früheren Spielplatz und nur noch in Begleitung von Erwachsenen. Die schauen nachdenklich aufs Meer hinaus und murmeln unverständliche Sachen. "Früher sind sie jeden Tag rausgefahren zum Fischen, mein Vater auch und meine älteren Brüder", erzählt Ravi, "aber die Welle hat alle Boote kaputtgemacht und die Fischernetze auch." In der Schule von Pater Kumar, in die Ravi seit drei Jahren geht, haben sie lange über den Tsunami geredet. Sie haben gelernt, dass die Welle kein wildes Monster war, sondern ein "Naturunglück". Das hat ihm geholfen, sagt Ravi.

Er träumt jetzt nachts nicht mehr so oft davon. Geholfen haben auch die Leute mit den Lastwagen, die bald nach dem Unglück ins Dorf kamen und Lebensmittel verteilt haben. Und bald, sagt Ravis Vater, werden sie auch neue Boote haben. Irgendwann werden Ravi und seine Freunde auch wieder auf ihrem Spielplatz spielen, Burgen bauen und mit Sand schmeißen. Wie früher. Vielleicht werden sie sich öfter umschauen als früher, zum Horizont. Denn das Leben ist manchmal voller Überraschungen - und nicht alle davon meinen es leider gut mit uns.

Stefan Hupka

Spendenkonten für die Flutopferhilfe findet Ih

auf der Seite "Südbaden hilft" im vorderen Teil der

Badischen Zeitung

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