Selbstversuch

Wie ich von der Warmduscherin zur Eisbaderin wurde

Männer wie Frauen sitzen in mit Eiswasser gefüllten Tonnen oder schlagen Löcher in zugefrorene Seen, um bei sehr kalten Wassertemperaturen baden zu gehen. Das soll angeblich gesund sein. Und glücklich machen. Echt jetzt?  

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Unsere Autorin beim Eisbaden im Januar  | Foto: Birgit Cathrin Duval
Unsere Autorin beim Eisbaden im Januar Foto: Birgit Cathrin Duval

Ich mag Winter. Am liebsten zapfig kalt und trocken. Mit Daunenjacke, Mütze und Handschuhen. Aber kaltes Wasser? Bloß nicht. Selbst im Sommer steige ich in keinen See, solange die Wassertemperatur die 20 Grad Marke nicht übersteigt.

Mit dem Eisbaden in Berührung kam ich vor zwei Jahren während einer Pressereise. Unter Anleitung eines Coaches lernten wir, wie wir uns mit einer Atemtechnik auf das eisige Bad vorbereiten. Konzentriert atmend watete der Coach mit der Gruppe in dem zehn Grad kalten Bergsee, während ich Warmduscherin am Ufer sitzenblieb.

Nachdem mein Ehemann im Dezember eine Tonne anschaffte und seither täglich minutenlang mit breitem Grinsen im Eiswasser hockt, als würde er sich in einer heißen Wanne aalen, will ich es wissen und starte einen Selbstversuch. Bücher, Apps und Videos erklären, wie das Eisbaden funktioniert: Langsam anfangen mit kalt duschen. Vorm Einschlafen den "Atempause"-Podcast von Atemtrainer und Apnoetaucher Timo Niessner hören. Seine Atemübungen bereiten mich mental auf mein Vorhaben vor: Neujahr will ich mit einem Eisbad feiern.

Alles ausblenden, nicht an das Eis in der Tonne denken

Es ist ein eiskalter Tag, der 1. Januar 2025. Vor dem Baden ist minutenlanges Hämmern angesagt. Die Wassertonne auf der Terrasse ist mit einer dicken Eisschicht überzogen. Im Bikini und Mütze, Handtuch über den Schultern, stehe ich bibbernd daneben. Das Thermometer zeigt minus fünf Grad, die Wassertemperatur in der Tonne 0,5 Grad.

Ich versuche alles auszublenden, nicht an die Kälte, nicht an das Eis zu denken, das in der Tonne schwimmt. Hilft Selbstsuggestion wie "das Wasser ist warm, das Wasser ist warm"? Oder lieber konzentriertes Atmen? Ich schließe die Augen, atme tief ein, tief aus, tief ein, tief aus. Dann steige ich in die Tonne. Ein elektrischer Schlag durchzuckt meine Füße und Oberschenkel. Weiteratmen! Tief und ruhig weiteratmen! Da stehe ich in der Tonne, die Arme vor der Brust gekreuzt wie eine hängende Fledermaus. Das Wasser steht mir bis zum Hals, in meinen Adern fühle ich schockgefrostetes Blut. Konzentriert fokussiere mich nur auf die Atmung. So halte ich das eisige Wasser aus, 30 Sekunden lang.

Als ich aus der Tonne steige, bin ich völlig energetisiert. Mein Körper ist rot und kribbelt. Ich juble, als wäre ich mit Bestzeit über die Ziellinie beim Freiburg Marathon gelaufen. Das Hochgefühl hält über Stunden an. Fulminanter hätte ich nicht ins neue Jahr starten können.

Das Hochgefühl danach macht süchtig

Es macht süchtig, dieses Hochgefühl! Gleich am nächsten Tag steige ich wieder hinein, und auch am übernächsten. Fast den gesamten Januar hindurch. Mit Neoprenhandschuhen- und Socken halte ich es bei minus sieben Grad Außentemperatur etwa zwei Minuten im Eiswasser aus. Das erstaunliche dabei: Nach einer halben Minute nehme ich die Kälte nicht mehr wahr, wenn ich regungslos im Wasser sitze. Ebenfalls faszinierend: Meine Vitalwerte verändern sich spürbar. Meine Sportuhr zeigt mir verbesserte Herzvariabilität, verbesserten Schlaf, verbesserte Erholung und Leistungsfähigkeit an. Die Überwindung, morgens in die Eistonne zu steigen, wappnet mich mental für den Tag. Komme, was wolle, der mentale Kick beflügelt. Der Kaffee danach, was für ein Genuss.

"Kaltwasserbaden kann auch bei psychischen Belastungen hilfreich sein."Christopher Huck

Dass Eisbaden gesund ist, bestätigt sogar meine Krankenkasse, die Hanns-Christian Gunga, Professor für Weltraummedizin und extreme Umwelten am Zentrum für Weltraummedizin der Charité in Berlin interviewte. Auf deren Gesundheitsmagazin online lese ich, dass das Kältebaden Ablagerungen in den Arterien vorbeugt und vor Bluthochdruck schützt – einer der großen Risikofaktoren für Schlaganfälle und Herzinfarkte. Dass ich mich nach dem Eisbaden so beschwingt fühle, liegt an der Ausschüttung von Kortisol, Adrenalin, Noradrenalin und Endorphinen. Länger als drei Minuten soll das Eisbad nicht dauern, sagt der Experte. Christopher Huck ist studierter Umweltnaturwissenschaftler und leitet den Hochschulsportkurs "Eisbaden&Atmung" an der Uni Freiburg. Der 34-Jährige, der regelmäßig mit einer Freiburger Eisbadegruppe ins kalte Wasser steigt, hebt den ganzheitlichen Aspekt hervor: "Kaltwasserbaden kann auch bei psychischen Belastungen hilfreich sein." Schon Sebastian Kneipp praktizierte das Kaltwasserbaden und heilte sich im eiskalten Wasser der Donau, als er an Tuberkulose erkrankte. Huck will sich für die Gesundheit seiner Mitmenschen einsetzen. Dazu gehört für ihn neben dem Eisbaden auch Bewegung, Ernährung, Heilkräuter und Innere Ordnung (die fünf Element nach Kneipp). Beim Eisbaden besteht bei vielen anfangs eine psychologische Barriere, die Angst vor der Kälte. Ist diese erst einmal abgebaut, kann das Eisbaden zu einem richtigen "Gamechanger" werden, ist Huck überzeugt.

Das Eisbaden muss wohldosiert sein

"Wenn man es schafft, in eisig kaltes Wasser zu steigen, führt das zu einer starken Erfahrung von Selbstwirksamkeit im Sinne von: Wow, das habe ich geschafft."Sebastian Brückner-Philipp

Die Auswirkungen des Eisbadens auf den Körper und die Psyche sind bisher noch wenig erforscht. Einige erste Studien zeigen jedoch, dass es zu positiven Effekten kommen kann. "Wenn man es schafft, in eisig kaltes Wasser zu steigen, führt das zu einer starken Erfahrung von Selbstwirksamkeit im Sinne von: Wow, das habe ich geschafft. Allein das hebt schon die Stimmung und wirkt positiv auf das Selbstbild", sagt Sebastian Brückner-Philipp. Der Freiburger Körperpsychotherapeut und Neurowissenschaftler beobachtet den positiven Effekt des Eisbadens auf das Wohlbefinden bei einigen seiner Klienten. Er warnt aber auch vor dem "Hype", den man von Influencern auf Social Media sieht, die kopfüber in Eislöcher springen und dort minutenlang ausharren. "Das Eisbaden muss wohl dosiert werden, wie bei allen anderen Trainingsarten auch, und sollte im Zweifel immer mit dem Hausarzt, der Hausärztin besprochen werden", sagt Brückner-Philipp. Er rät, sich einer erfahrenen Gruppe anzuschließen und auf die eigenen Grenzen zu achten. Eisbaden darf nicht unterschätzt werden: "Es ist ein sehr starker Reiz für den Körper, insbesondere das autonome Nervensystem, da gilt es, Überforderung zu vermeiden, um davon wirklich profitieren zu können."

Informationen zum Eisbaden oder Eisbadegruppen findet man unter www.eisbaden.de

Schlagworte: Christopher Huck, geschafft."Sebastian Brückner-Philipp, Sebastian Kneipp
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