Kanalnetz

Mit dem Boot durch den Abwasserkanal

Dort, wo das Abwasser von knapp 400 000 Menschen fließt, arbeitet das Team von Vinzenz Hensle – im Kanalnetz Breisgauer Bucht. Die BZ hat ihn bei seinem Einsatz in einem Kanal bei March begleitet.  

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Kanalarbeiter Vinzenz Hensle kontrolliert, im Boot sitzend, die Betonwände. Foto: Sophia Hesser
Das Wasser braust, die Wellen rauschen: Vinzenz Hensle versucht sein kleines Schlauchboot ruhig zu halten. Ein Abgang während der Fahrt durch die Dunkelheit wäre nicht nur nass und wegen der Strömung gefährlich, sondern auch ziemlich stinkig. Hensle fährt durch den Abwasserkanal des Abwasserzweckverbands (AZV) Breisgauer Bucht – also durch das Schmutzwasser von 29 Gemeinden, das Richtung Norden, nämlich zur Kläranlage in Forchheim geleitet wird.


Hensle gehört zum elfköpfigen Team der Kanalarbeiter des AZV. Sie betreuen das 140 Kilometer lange Netz, das sich von Pfaffenweiler, Horben und Oberried im Süden, über Falkensteig und Gutach im Osten, über Freiburg bis hin nach Riegel und schließlich Forchheim erstreckt. Durch dieses fließt das Abwasser von etwa 375 000 Menschen – also alles, was Waschbecken, Duschen und Toiletten etwa im Dreisamtal oder im Hexental ausspucken oder das in dortigen Gewerbegebieten entsteht.

Am Schwimmreifen könnte sich der Kanalarbeiter im Notfall festhalten

Durch einen Schachtdeckel neben der Kreisstraße zwischen March und Bötzingen ist Hensle in den Kanal eingestiegen, fünf Meter in die Tiefe, wo das Wasser rauscht – der Helm schützt ihn, die Anglerhose hält ihn trocken, ein Drahtseil sichert ihn. Am Rand des Schachts am Tageslicht stehen Kollegen und können im Notfall eingreifen, ein Messgerät warnt vor gefährlichen Gasen, die entstehen können. Piepst es tatsächlich wegen erhöhtem Aufkommen, hat Hensle immer ein Sauerstoffgerät für die überlebenswichtige Versorgung dabei. 100 Meter weiter am nächsten Schacht stehen weitere Kanalarbeiter und würden ihn retten, sollte er tatsächlich die Kontrolle verlieren, ins Wasser stürzen oder das Bewusstsein verlieren. Ein Kollege steht dabei unter Tage, gesichert durch ein Drahtseil und durch einen Kollegen fünf Meter über ihm an der frischen Luft. Neben ihm schaukelt ein Schwimmreifen, an dem Hensle Halt suchen könnte.

Abwasser fließt zunächst durch Ortskanäle der Gemeinden, dann durch den Sammelkanal der AZV

Das Schlauchboot, in dem Hensle sitzt, schaukelt im Wasser. Er und seine Kollegen haben es am frühen Morgen noch zusammengeklappt mit Hilfe eines Krans durch den Schacht herabgelassen und dann unten aufgepumpt. Das Boot hängt an einem Drahtseil, dem langsam von den Kollegen oben am Schacht zugegeben wird, so bewegt es sich Zentimeter für Zentimeter in Fließrichtung. Abwasser aus dem südlichen Bereich des AZV fließt zunächst durch die kleineren Gemeindekanäle dann über die Sammelkanäle der AZV mit größerem Durchmesser und somit an Hensles Boot vorbei und wird zur Kläranlage geleitet. Hensles Team muss mindestens ein Mal im Jahr alle Kanäle überprüfen und steigt deshalb auch ein.

Regenwasser wird in den Gemeinden häufig separat in den nächstgelegenen Bach geleitet. Doch in vielen Bereichen gibt es Mischkanäle, in denen beides zusammenfließt. Wo es Industrie gibt, ist das sogar Vorschrift, da hier sein kann, dass das Regenwasser verschmutzt wird und somit auch gereinigt werden muss.

Kleine Kanäle befährt ein Roboter, die größeren können betreten werden.

An den Messstellen jeder Gemeinde im Verbandsgebiet werden die Wassermengen festgestellt. Somit kann berechnet werden, wie viel Abwasser eine Gemeinde produziert. Damit wird dann die Gebühr für den einzelnen Bürger berechnet. Nur Tage, an denen es im gesamten Netzgebiet nicht geregnet hat, werden für die Berechnung der Abwassergebühren beachtet. Ansonsten würde Regenwasser die Abwassermengen beeinflussen. "Das soll die Gebühr für den Verbraucher nachvollziehbar und fair machen", erklärt Thomas Wirbel, Aufsichtsführender in der Kanalunterhaltung der AZV.

Da etwa in Bötzingen das Abwasser des gesamten südlichen Verbandsgebiets vorbeirauscht und damit auch berechnet wird, werden die Werte, die in den zuvorgelegenen Messanlagen festgestellt werden, abgezogen. Die kleinsten Kanäle haben einen Durchmesser von 25 Zentimeter, sie werden von Robotern befahren, die Reparaturen machen können. Größere Kanäle können von den Männern begangen werden. Vier Meter Durchmesser hat das größte Kanalrohr, hier können die Männer vom Schlauchboot aus Inspektionen und Reparaturen vornehmen.

Die braune Brühe fließt an Hensle vorbei – Toilettenpapier wackelt im Wellengang, Nahrungsreste treiben an der Oberfläche.

Das Abwasser fließt in einer beeindruckenden Geschwindigkeit an Hensle im Kanal bei March vorbei – um die Mittagszeit legt es 1,1 Meter pro Sekunde zurück, eine Wassermasse von 4000 Kubikmeter in der Stunde. Da alle Gemeinden des Verbandgebiets höher liegen als die Kläranlage, fließt das Wasser von alleine Richtung Forchheim. Nur drei Pumpwerke werden im Netz benötigt: Lediglich in Endingen, Malterdingen und Forchheim muss das Wasser in den Kanälen gepumpt werden.

Diese relativ hohe Geschwindigkeit im Netz macht es auch zu etwas besonderem: "Andere kommen hier nicht klar", sagt Hensle, "hier wollten schon Firmen Arbeiten ausführen und haben dann aufgegeben. Wir haben uns hier alles selbst angeeignet, wir kennen unser Netz." Der gelernte Maurer hat vor 27 Jahren bei der AZV angefangen, heute ist er Vorarbeiter und trägt die Verantwortung bei den Einsätzen. Er ist ganz ruhig in der Dunkelheit, leuchtet den Kanal mit einem Scheinwerfer aus, sieht sich die Betonwände genau an, die Muffen, die die Rohrteile verbinden und dicht sein müssen, prüft er mit strengem Blick. Die braune Brühe fließt an ihm vorbei – Toilettenpapier wackelt im Wellengang, Nahrungsreste treiben an der Oberfläche.

Den Kanal als Fluchtweg, wie in Krimis oft gezeigt, gibt es im Verbandsgebiet nicht

Das ist nicht schön, aber normal – doch manches wird von Hensles Team gar nicht gern gesehen: Feuchttücher lösen sich wegen der festen Beschaffenheit schlecht auf, verkleben Systeme in Pump- und Messbauwerken. Wegen der Nahrungsreste, die etwa in Toiletten gekippt werden, muss regelmäßig Nagerbekämpfung betrieben werden – damit die Rattenzahl nicht zu groß wird. In den großen Kanälen haben sie aber keine Chance zu überleben – gibt es hier doch keinen Rand, den man betreten könnte, wie es oft in Krimis bei der Flucht zu sehen ist, so erklärt Hensle. Schlangen, Fernseher oder Eisengitter sehe man dagegen öfter. Leute würden die Dinge vermutlich über einen geöffneten Schachtdeckel hineinwerfen, was natürlich ärgerlich sei, so Hensle. Steckt etwas im Schacht fest, führt das zu Störungen im Betrieb.

Auch könnten Menschen in den Schacht abstürzen, was lebensgefährlich sei – nicht nur wegen möglicher Verletzungen, sondern auch wegen der starken Strömung, die im Verbandsnetz aufgrund des Gefälles herrscht. Hensle kann diese dank jahrelanger Erfahrung gut einschätzen. Für andere jedoch sind die Abwasserkanäle ein Mysterium, das wortwörtlich im Dunkeln liegt.

Mehr dazu:

Fotos: Kontrollarbeiten im Abwasserkanal

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