BZ-Serie Teil 17
Meister statt Master – das Handwerk sucht Azubis
Beim Werben um den begehrten Nachwuchs setzt die Handwerkskammer verstärkt auf Elternarbeit und hofft auf den neuen Bildungsplan, der auch für das Gymnasium eine stärkere Berufsorientierung vorsieht.
Petra Kistler
Do, 30. Jan 2014, 9:19 Uhr
Bildung & Wissen
Thema: Schulwechsel
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Der Lohn: Innungsbeste, Kammersiegerin, Landessiegerin, Vize beim Bundesentscheid und der Titel "Konditorin des Jahres 2013". In diesen Wochen bereitet sich die junge Schwarzwälderin auf die Junioren-Weltmeisterschaft vor, die im März in Taipeh stattfindet. Auch wenn die Arbeit manchmal recht anstrengend ist, bereut hat sie ihre Entscheidung noch nie. "Ich arbeite gern mit den Händen, der Typ für die Hochschule bin ich nicht." Ihre Ziele: Trainieren für die Weltmeisterschaft, durchatmen – und vielleicht den Meister machen.
Abiturienten in der Backstube sind so selten wie Gran-Cru-Schokolade. Schon eher treibt es sie nach der Gymnasialzeit aufs Dach oder in die Werkstatt. Zimmerer, Steinmetze, Schreiner, Zahntechniker, Augenoptiker oder Hörgeräteakustiker, das sind Ausbildungsberufe, die Anziehungskraft auf junge Menschen haben, die nach dem Abi zum Azubi werden.
Bei Matthias Wörner von der Zimmerei Grünspecht in Freiburg bewerben sich vor allem Abiturienten und Studienabbrecher, die mit ihrer Hochschullaufbahn hadern, um eine Lehrstelle. Hauptschüler seien nur selten darunter – "leider", sagt der Zimmerermeister und Sozialpädagoge, der seine berufliche Laufbahn mit einem Mathematikstudium startete.
Leider? Eine Gesellschaft brauche auch Gesellen, die in diesem Beruf alt werden, ohne dass sie den Meister machen, Architektur oder Ingenieurswesen studieren, als Arbeitspädagoge sich verwirklichen oder selbstständig arbeiten wollen, erklärt Wörner. "Wir brauchen einen Nachwuchs, der damit zufrieden ist, Handwerker zu sein und die Lehre nicht nur als Sprungbrett für ein Studium nutzt." Es sei ihm aber noch nicht gelungen, Lehrlinge mit Abitur längerfristig an den Betrieb zu binden.
Weshalb? Wörner hat drei Erklärungen. Erstens der magere Verdienst. Das Bauhandwerk zahlt nicht schlecht. Erfahrene Zimmerergesellen mit vier bis fünf Jahren Berufserfahrung erhalten in der Stunde 16,30 Euro – doch mit einem Bruttogehalt von 2500 Euro komme eine Familie in einer teuren Stadt wie Freiburg gerade mal über die Runden. Zweitens der beschwerliche Beruf. Und drittens die Lust an der Selbstständigkeit. Dann wird aus dem ehemaligen Mitarbeiter schnell ein Konkurrent.
Die Handwerkskammern kennen diese Klagen. "Irgendwann kreuzen sich die Wege wieder", entgegnet Werner Gmeiner, als Geschäftsführer der Handwerkskammer Freiburg zuständig für die berufliche Bildung. Ein Architekt, der das Zimmererhandwerk gelernt hat, setze vielleicht häufiger auf den Holzbau; ein Zahntechniker, der später Zahnmedizin studiere, wisse, worauf es beim Modell ankomme.
Und die Angst vor der Konkurrenz, die im eigenen Betrieb ausgebildet wird? Gmeiner mag den Begriff nicht, er spricht lieber von Wettbewerbern. Der SC Freiburg bilde in seinem Fußballinternat auch junge Talente aus, die einmal gegen ihn Tore schießen. Das Handwerk brauche gut ausgebildete Führungskräfte, die Karrierechancen seien glänzend. Allein im Bereich der Handwerkskammer Freiburg gebe es 3000 Betriebe, die in der nächsten Zeit einen Nachfolger suchen. Und wenn ein Betrieb die Gesellen nicht bekomme, von denen er träume, müsse er eben schauen, wie er seine Mitarbeiter qualifiziere und durch Weiterbildung oder eine Zusatzrente an sich binde.
Beim Werben um den begehrten Nachwuchs setzt die Handwerkskammer verstärkt auf Elternarbeit und hofft auf den neuen Bildungsplan, der auch für das Gymnasium eine stärkere Berufsorientierung vorsieht. "Die Eltern kennen vielleicht eine Handvoll Ausbildungsberufe", sagt Gemeiner. Dabei gebe es mehr als hundert Ausbildungsmöglichkeiten im Handwerk. Und Alternativen zum Studium wie die dualen Studiengänge, die mit dem Gesellenbrief und dem Bachelor abschließen, oder das "Management im Handwerk". Noch während der Ausbildung können Teile der Meisterprüfung abgelegt werden.
Der jüngste Trend: Studienabbrecher sollen fürs Handwerk gewonnen werden. Nach einer Auswertung des Hochschul-Informationssystems ließen von den 100 000 deutschen Studenten, die 2007 ein Bachelorstudium begonnen haben, gut ein Drittel den Abschluss sausen. Besonders gefragt sind Studenten der Ingenieurwissenschaften, der Mathematik und Naturwissenschaften – in diesen Disziplinen erreicht nur die Hälfte der Studierenden einen Abschluss. Ein Einstieg ins Handwerk sei kein Abstieg, heißt es beim Zentralverband des Deutschen Handwerks. Diese ausbildungsstarken Jugendlichen hätten als hochqualifizierte Mitarbeiter ausgezeichnete Berufschancen. Aber auch die Betriebe müssten offener werden und ihre Ausbildung als Markenzeichen verstehen, sagt Sprecher Alexander Legowski: "Dann heißt es zum Gesellen: Studier ruhig, wenn du wieder kommst, stehen dir alle Türen offen".
Klar ist: Der Trend geht zur Universität. Im vergangenen Jahr haben erstmals mehr junge Menschen ein Studium als eine Ausbildung im Betrieb begonnen. 482 400 neue Lehrverträge zählten Industrie, Handel, Handwerk und freie Berufe zum Stichtag 30. September. Das sind 20 500 oder 4,1 Prozent weniger als im Vorjahr.
506 000 Erstsemester haben sich im Studienjahr 2013 an den Universitäten und Fachhochschulen eingeschrieben, zwei Prozent mehr als im Vorjahr. 2,6 Millionen Studierende sind nach Angaben des Bildungsministeriums in diesem Wintersemester eingeschrieben.
Eine richtige Entwicklung, sagt Andreas Schleicher, Bildungsexperte der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Er wirbt seit Jahren für eine höhere Quote der Kopfarbeiter in Deutschland.
Die Kehrseite: Nach einer Prognose des Bundesinstituts für Berufsbildung werden 2020 in Deutschland mehr als eine Million Fachkräfte mit Berufsausbildung fehlen. Besonders gefragt: Mint-Fachkräfte, das Kürzel steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik.
Der Run auf die Hochschule gefährdet eine der traditionellen Stärken des deutschen Bildungssystems, die duale Berufsbildung in Unternehmen und Berufsschulen. Diese Warnung kommt nicht nur aus Branchen, die verzweifelt nach Auszubildenden suchen, sondern auch von ideologisch unverdächtigen Politikern wie Julian Nida-Rümelin, Philosophieprofessor und Vorsitzender der SPD-Grundwertekommission. Er geißelte jüngst den "Akademisierungswahn" und forderte in der FAZ, dass die hochwertige Berufsausbildung weiter im dualen System erfolgt. "Jede Begabung ist gleichwertig, eine Elektrotechnikerin verdient die gleiche Anerkennung wie ein Professor oder ein Manager oder eine Erzieherin." Und die Bezahlung? Die müsse der Markt regeln.
Studieren zahlt sich immer noch aus. In Deutschland verdienen Menschen mit einer höheren Bildung 36 Prozent mehr als Leute mit einer abgeschlossenen Lehre, rechnet der Bildungsökonom Ludger Wößmann jüngst in der Süddeutschen Zeitung vor. "Wenn wir zu viele Akademiker hätten, gäbe es diese Diskrepanz nicht." Die Handwerksbetriebe müssten höhere Löhne zahlen, um gute Leute zu finden. Dann würden sich auch wieder mehr Menschen für einen Handwerksberuf entscheiden.
Allerdings kaschieren solche Durchschnittswerte, dass es zwischen akademischen Gutverdienern wie Ärzten, Juristen und Naturwissenschaftlern und einer großen Zahl nicht adäquat beschäftigter Geisteswissenschaftler ein großes Einkommensgefälle gibt. Fast jeder zehnte Akademiker verdient nach einer Studie des Instituts für Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen nicht mehr als 9,30 Euro brutto in der Stunde.
Das durchschnittliche Bruttojahreseinkommen von Meistern und Technikern ist mit 42 000 Euro um fast 15 000 Euro niedriger als das der Hochschulabsolventen, doch die Kluft zwischen Gering- und Gutverdienern ist bei den Bachelors und Diplomanden deutlich größer. Vom Gehalt einer Fachkraft im Elektrohandwerk können die meisten Theaterwissenschaftler oder Archäologen, die sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangeln, nur träumen. "Spezialisierte Experten sind hoch begehrt", wirbt das Handwerk. "Nach einer guten Ausbildung ist ein unbefristeter Arbeitsvertrag die Regel, nicht die Ausnahme."
Während sich für Hochschulabsolventen der ausbildungsbedingte Lohnverzicht später in Form höherer Einkünfte mit durchschnittlich 7,5 Prozent verzinst, kommen beruflich Fortgebildete auf eine Rendite von 8,3 Prozent, heißt es in einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln. Im Schnitt hat sich eine Aufstiegsfortbildung amortisiert, wenn die Absolventen 40 Jahre alt sind; bei Akademikern ist dies erst mit 43 Jahren der Fall.
Die Arbeitslosenquote von Hochschulabsolventen ist mit 2,4 Prozent erheblich niedriger als die von betrieblich ausgebildeten Fachkräften (5,8 Prozent). Meister und Techniker schneiden bei den Beschäftigungschancen aber besser ab.
Handwerk oder Hochschule? Hans Lehmann, Schulleiter der Friedrich-Weinbrenner-Gewerbeschule und geschäftsführender Schulleiter der acht beruflichen Schulen in Freiburg, hält nichts davon, Studium und Berufsausbildung gegeneinander auszuspielen. Natürlich könne ein Techniker nicht einen Germanisten ersetzen. "Aber der Germanist kann auch nicht an der CNC-Maschine arbeiten." Viel wichtiger sei es, die Bildungspotenziale besser auszuschöpfen. Lehmann setzt auf das Zwei-Säulen-Modell, das möglichst alle Jugendlichen zu einem mittleren Abschluss führt und sehr früh mit der beruflichen Bildung vernetzt wird. Gerade für Kinder aus bildungsfernen Familien biete die duale Ausbildung die besten Aufstiegschancen.
In Baden-Württemberg steht Meistern und Absolventen gleichwertiger beruflicher Fortbildungen seit 2010 der allgemeine Hochschulzugang offen. Sie können sich für jeden Studiengang ihrer Wahl bewerben. Voraussetzung ist ein Beratungsgespräch an der Hochschule. Auch andere beruflich Qualifizierte können unter bestimmten Voraussetzungen ein ihrer Berufsausbildung oder Berufstätigkeit fachlich entsprechendes Studium beginnen. Erforderlich ist allerdings eine Eignungsprüfung an einer Hochschule.
Es gibt nach wie vor viele Detailregelungen, die die Bewerber beachten müssen. Obwohl der Trend nach oben zeigt, wird das Studium ohne Abitur und Fachhochschulreife in Baden-Württemberg bislang wenig genutzt. Die Statistik weist für das Wintersemester 2012/13 im Südwesten 2185 Studierende ohne Abitur auf; 845 sind Erstsemester. Verglichen mit anderen Bundesländern liegt Baden-Württemberg mit einem Anteil von Studierenden aufgrund der beruflichen Qualifikation mit einem Anteil von einem Prozent im Ländervergleich im unteren Drittel.
Weitere Infos unter:
http://www.studieren-ohne-abitur.de
In Serienteil 18 lesen Sie: Die Mittelschicht – Eltern leiden unter Bildungsstress.
Alle Beiträge der Serie:
- Dossier: Schulwechsel
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