"Man muss die moralischen Grenzen ein bisschen zurückstellen"
ZISCHUP-INTERVIEW mit dem Strafverteidiger Patrick Hinderer, der unter anderem schon einen Mörder verteidigt hat, über seine Berufswahl und den Sinn der Strafe .
David Scheytt und Luca Zeller, Klasse 8e, Kepler-Gymnasium (Freiburg)
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Der 40-jährige Patrick Hinderer ist Strafverteidiger bei der Kanzlei Gillmeister, Rode und Schmedding in Freiburg. Es ist sein Beruf, Kriminelle vor Gericht zu verteidigen. David Scheytt und Luca Zeller aus der Klasse 8e des Kepler-Gymnasiums in Freiburg haben ihn gefragt, warum er das macht.
Hinderer: Meist wird man über Telefon kontaktiert. Es ruft hier jemand an und sagt "Es steht gerade die Polizei vor meiner Türe" oder "Ich habe ein Schreiben von der Polizei oder von der Staatsanwaltschaft bekommen". Und dann haben die Leute meistens große Sorgen, dass da ein Strafverfahren läuft. Ich muss sie dann erst einmal beruhigen und ihnen sagen, dass wir uns zuerst die Akte holen müssen, damit wir wissen, was überhaupt der Vorwurf ist. Denn meistens bekommt man nur einen Zettel, auf dem steht: "Gegen Sie wird ein Verfahren wegen Trunkenheit im Verkehr geführt" oder wegen Betruges oder wegen Körperverletzung und dann fragen wir: Was könnte der Hintergrund sein? Dazu müssen wir wissen, was in der Akte steht. Danach müssen wir uns zusammensetzen und überlegen, ob das stimmt und wie man sich dagegen verteidigen kann.
Zischup: Warum haben Sie sich dazu entschlossen, Kriminelle zu verteidigen?
Hinderer: Das ist eine gute und schwierige Frage. Da gab es keinen Entschluss, bei dem man sagt, man will Kriminelle verteidigen. Wir haben ja alle Jura, studiert – Richter, Staatsanwalt und Strafverteidiger. Und alle haben verschiedene Aufgaben im Justizsystem. Der Richter muss am Ende das Urteil fällen, der Staatsanwalt muss alle Umstände ermitteln, alles, was den Beschuldigten ent- und belastet, und dann muss es jemanden geben, der neben dem Angeklagten sitzt, damit er sich richtig verteidigen kann. Also eigentlich ist die Strafverteidigung Hilfe für den Angeklagten, der sonst nicht waffengleich mit denen wäre, die das viele Jahre studiert haben. Daher ist das auch ein wichtiger Beruf. Da muss man ein bisschen reinwachsen.
Zischup: Was war die schlimmste Straftat, die Sie je verteidigt haben?
Hinderer: Da war ein Mord. Wenn ein Mensch einen anderen tötet, gibt es ja unterschiedliche Abstufungen. Ihr könnt euch einen Autounfall vorstellen, bei dem jemand einen Motorradfahrer übersieht.
Zischup: Fahrlässige Tötung, oder?
Hinderer: Ja, ganz genau. Das ist fahrlässige Tötung. Da handelt der, der den anderen überfährt, fahrlässig, also ohne Wissen und Wollen, dass er jemanden tötet. Und dann gibt es den sogenannten Totschlag. Das ist der Fall, wenn jemand weiß, dass er jemanden tötet und dies auch will. Und dann gibt es noch eine Verschärfung von Totschlag. Wenn zu einer Tötung noch besondere Merkmale kommen, die eine Tat besonders schlimm erscheinen lassen. Das kann sein, wenn jemand aus Habgier tötet oder wenn jemand heimtückisch tötet: Wenn er zum Beispiel jemandem auflauert und ihn dann im Zustand von Arg- und Wehrlosigkeit tötet. Oder wenn jemand zur Befriedigung des Sexualtriebs tötet – das sind dann alles besonders verwerfliche Totschlagstaten – Mord – und die werden mit lebenslanger Haft bestraft.
Zischup: Gibt es moralische Grenzen bei Ihrer Mandatsauswahl?
Hinderer: Es gibt zum einen moralische Grenzen und zum anderen natürlich auch gesetzliche Grenzen für uns Verteidiger. Wir dürfen keine Strafvereitelung zugunsten unseres Mandanten begehen. Wir dürfen ihm nicht irgendwie dabei helfen, ein Lügenkonstrukt zu erfinden, sondern wir dürfen nur so weit gehen, wie das zulässige Verteidigerverhalten ist, und da gibt es gesetzliche Grenzen. Die moralischen Grenzen gibt’s auch, aber die muss man als Strafverteidiger ein bisschen zurückstellen, aus meiner Sicht. Denn es ist eben so, dass diese dadurch eingegrenzt werden, dass hinter jeder Straftat und hinter jedem Angeklagten doch irgendwie ein Mensch steckt. Ich finde, als Strafverteidiger sollte man sich ans Gesetz halten und die moralischen Fragen für sich persönlich klären, nicht für den Mandanten. Das ist nicht meine Aufgabe.
Zischup: Gibt es Fälle, bei denen Sie einen Angeklagten nicht verteidigen würden?
Hinderer: Das kann man so pauschal nicht sagen. Man kann sagen, man verteidigt bestimmte Straftaten nicht, aber das gibt es bei uns eigentlich nicht. Jeder, der hierher kommt, kriegt den höchstmöglichen Respekt von mir. Ich kann mir aber vorstellen, worauf ihr hinauswollt: Auch eine Vergewaltigung muss jemand verteidigen und auch einen Fall von Kinderpornographie. Zum Glück bin ich aber in der Position, dass ich mir aussuchen kann, ob ich ein Mandat annehme, und ich kann auch sagen, das ist jetzt nicht das, was in der jetzigen Zeit zu mir passt und deswegen möchte ich das Mandat nicht führen.
Zischup: Denken Sie, dass die Strafen etwas bringen und sich die Täter nach einer Bestrafung ändern?
Hinderer: Ja, ich glaube ich schon. Es gibt natürlich immer Wiederholungstäter. Aber es gibt natürlich viele, die haben eine Strafe bekommen und lassen sich das – das nennt sich dann auch tatsächlich rechtstechnisch so – lassen sich das als Warnung gereichen. Und viele sehe ich nie wieder, also Dauermandate gibt es eher selten im Strafrecht. Und das ist ja genau das, was sich das Gericht wünscht, dass sich der Angeklagte eine Verurteilung zur Strafe gereichen lässt. Andererseits: Es gibt einen Richter, der auf der Schwäbischen Alb tätig war, der immer sagte: "Es kommt keiner so gut raus, wie er rein ging." Das bedeutet, dass man im Gefängnis natürlich eine gewisse Prägung erfährt – das, was das Gefängnis und die Inhaftierung, der Verlust der Freiheit mit einem menschlich anrichten, was man auch nicht mehr so richtig resozialisieren kann. Darüber haben wir viel zu wenige Erkenntnisse, deswegen ist die Sache mit der Strafe so zweischneidig. Es gibt viele, bei denen die Strafe funktioniert, es gibt aber natürlich auch viele, bei denen sie nicht funktioniert.
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