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Man hofft auf die Erfüllung der Jugendliebe

  • Margarete Jacob

  • Mo, 19. November 2001
    Zisch

     

JUZ IN DER OPER (1): Eugen Onegin verspielt alle Sympathien als er die Liebe von Teenie Tatjana zurückweist - und doch bangt man bis zuletzt mit ihm.

Der rote Plüschsessel aus dem Kino wird heute gegen einen roten, nicht ganz so weichen Sessel im Freiburger Stadttheater eingetauscht. Wer die Gunst des Abends nutzen und das Kleid vom Abschlussball des Tanzkurses noch einmal ausführen will: bitteschön. Heute ist die Gelegenheit da. Vorhang auf, die Augen und Ohren nach vorne gerichtet: "Eugen Onegin" steht auf dem Programm, die wohl berühmteste Oper von Peter Tschaikowski, mit viel Musik, viel Dramatik und viel großem Gefühl.

Der Vorhang hebt sich rasant in die Höhe, nur kurz bewahrt ein zweiter, transparenter Vorhang das Geheimnis der Bühne. Dann verschwindet auch er. Das erste Bild: ein großes Fenster rahmt die Szene ein, dahinter abstrakte Formen. Vorne einige Stühle, seitlich eine schwingende Schaukel. Musik erklingt, weich, warm und melancholisch, wie die hellen warmen Farben, die die Szene bestimmen. Das Mädchen auf der Schaukel, ein bisschen pausbäckig, ein bisschen pummelig und eigentlich zu alt für Spielplatz-Vergnügen, trägt ein rotes Kleid, lange dünne Zöpfe und hält ein Buch in der Hand: das ist Tatjana.

Auf der anderen Seite der Bühne drei Frauen: Mutter, Erzieherin und Schwester der schaukelnden Tatjana. "Eugen Onegin" erzählt von Eugen und Tatjana, dem jungen Mädchen mit den Zöpfen. Die lebt mit Mutter, Erzieherin und Schwester ein malerisches aber langweiliges Leben auf einem russischen Landgut. Bücher sind ihr Ein und Alles, sie lebt in einer Traumwelt, zu der die Schaukel ein symbolischer Zugang ist.

Anders als Tatjana bevorzugt ihre Schwester Olga die irdischen Genüsse: Hemmungslos turtelt sie fast ständig mit ihrem Verlobten Lenski herum. Als Lenski eines Tages seinen Freund Eugen Onegin auf das Gut mitbringt, verliebt sich Teenager Tatjana Hals über Kopf in ihn. Dabei tritt Onegin ziemlich arrogant und unnahbar auf. Aber Tatjana ist außer sich: tanzt auf der Bühne herum und schmettert erhitzt und schwungvoll das Liebeslied ihrer ersten Liebe. Das pubertierende Mädchen hat den gefunden, den sie sich immer erträumt hat und kann ihre Gefühle kaum für sich behalten. Weißes Papier segelt auf die Bühne herab - sie schreibt dem Auserwählten einen flammenden Liebesbrief. Der belächelt das und demütigt den Teenie - wie nicht anders zu erwarten - nicht ohne sich geschmeichelt zu fühlen: Wie ein Pfau stolziert er von einer Ecke zur anderen. Als er dann auch noch mit Tatjanas Schwester Olga flirtet, hat er natürlich alle unsere Sympathien verspielt, da kann er noch so schön singen.

Tatjana leidet blass und wir leiden mit ihr. Und fröhlich Arien schmettern kann sie nun auch nicht mehr. Olgas Verlobter Lenski wird indes von rasender Eifersucht gepackt. Die ist aber keineswegs eindeutig. Und dass zwischen den Freunden mehr ist, als bloße Saufkumpanei, findet auch in der Biografie des Komponisten eine Entsprechung: Peter Tschaikowski war, so wird berichtet, homosexuell. Und schon stehen Lenski und Onegin auf der Bühne, beide mit einer Pistole bewaffnet, nur scheinbar bereit, sich wegen Olga zu duellieren, tatsächlich aber sind beide widerstrebend. Die Beleuchtung wird dunkler, sie schießen doch und Lenski stirbt. Onegin hat den Freund verloren - und ist dazu auch noch selbst schuld. Verstört verlässt er die Szene, die nun ganz in blaues unwirkliches Licht getaucht ist.

Tatjana wandelt sich in Onegins Abwesenheit vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan - und heiratet. Onegin kehrt zurück - ein gebrochener Mann. Mit viel Trara betritt Tatjana mit ihrem Mann die Szene, ganz in rote, edle Stoffe gehüllt. Sie erinnert so gar nicht mehr an das Mädchen mit den Zöpfen. Onegin verliebt sich unsterblich in sie. Er klammert sich an ihr Bein - sie kann ihn nicht abschütteln. Und kaum zu glauben: trotz aller Demütigungen von damals liebt auch Tatjana Onegin noch. Sie schmilzt dahin, geht in die Knie. Und als er ihr da so zu Füßen liegt, hofft man doch irgendwie auf die Erfüllung der großen Jugendliebe. Aber Tatjana entscheidet sich anders. Sie ignoriert ihre Leidenschaft und kehrt zu ihrem Mann zurück. Einziger Ausweg für Onegin ist nun - man hat es geahnt - der Selbstmord.

"Applaus für die Sänger, für den Chor, die Musiker - und für das Abendkleid."

Nicht viel anders als in einer Soap-Opera wird in Eugen Onegin die Geschichte von Liebenden erzählt, die sich zum Schluss dann doch nicht kriegen. Und trotz des aller Verwirrungen ist dieses Ende voraussehbar. Wie in einem Hollywood- Streifen kommt das dann sehr plötzlich, ziemlich unrealistisch und doch herzerweichend.

Die "Story" bekommt mit der stimmungsvollen Musik einen ganz besonderen Rahmen, denn Musik eignet sich einfach am besten, um die Dramatik der großen Gefühle auszudrücken: Melodien, die mal sanft umschmeicheln, mal satt untermalen und im nächsten Augenblick aufrütteln. Die Handlung ist übrigens für den Unkundigen nicht wirklich gut durchschaubar: man würde sich auch für deutsch gesungene Texte eine Übertitelung wünschen.

So bleiben oft nur die großartige Musik und die große Geste. Dabei hebt sich Eugen Onegin durchaus von manch anderer Oper ab: Als Grundlage für das Libretto, dem Text der Sänger und Sängerinnen, diente der Versroman "Eugen Onegin" von Alexander Puschkin, der 1833 erschien. Von diesem lyrischen Stoff ist aber für das ungeübte Ohr nicht mehr viel erkennbar, wenn Tatjana und Onegin von Liebe und Leid singen.

Zum Schluss, so viel ist dann aber klar, muss sich der Held erschießen, der Vorhang fällt: Applaus, bitte. Für die Sänger. Für den Opernchor. Vor allem aber für das Orchester und die Musik, die mal Liebe, mal Melancholie, mal ländliche Langeweile gemalt hat. Applaus aber bitte auch für das Kleid vom Abschlussball, das zum Glück an diesem Abend mal den Kino-Sessel gegen einen Theatersitz getauscht hat.

Ressort: Zisch

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