"Leid tun mir vor allem die Kinder"
ZISCH-INTERVIEW mit dem 92-jährigen Gotthard Lieb, der mit 15 Jahren als Soldat in den Zweiten Weltkrieg eingezogen wurde.
Hanna Kammerer, Klasse 4, Grundschule Tannenkirch (Kandern)
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Der Zweite Weltkrieg prägte unendlich viele Leben. Der heute 92-jährige Gotthard Lieb verlor seinen Vater auf der heutigen Krim, er selbst wurde noch mit 15 Jahren für den sogenannten "Volkssturm" in den Krieg eingezogen, doch floh, bevor es zu Kämpfen kam. Im Interview mit seiner Urenkelin, der Zisch-Reporterin Hanna Kammerer aus der Klasse 4 der Grundschule Tannenkirch bei Kandern, spricht er über seine Erlebnisse und darüber, warum ihn der Krieg in der Ukraine betroffen macht.
Zisch: Wie alt warst du, als der Zweite Weltkrieg 1939 begann?
Lieb: Ich war damals neun Jahre alt.
Zisch: Wie hast du vom Krieg erfahren?
Lieb: Wir haben über die Zeitung und das Radio vom Kriegsanfang erfahren. Damals gab es noch kein Fernsehen und auch kein Internet.
Zisch: Warst du während des Krieges in der Schule?
Lieb: Wir hatten Unterricht, bis die Deutschen in Frankreich einmarschierten. Als die Franzosen unser Dorf über den Rhein beschossen, wurde die Schule geschlossen, bis Deutschland Frankreich erobert hatte. Danach hatten wir wieder Unterricht bis fast vor Kriegsende. An der Wand im Klassenraum wurde ein großes Bild von Adolf Hitler aufgehängt. Adolf Hitler war der Diktator, der Deutschland zu dieser Zeit regierte. Wir mussten jeden Morgen vor seinem Bild salutieren und "Heil Hitler!" sagen. In der Schule hatten wir eine große Landkarte, auf der wir die von Deutschland eroberten Gebiete und Städte markierten.
Zisch: Musstet ihr fliehen?
Lieb: Ja, insgesamt zwei Mal, als unser Dorf von den Franzosen beschossen wurde. Einmal 1939 oder 1940 wurden wir nach Riedlingen und danach nach Bayern evakuiert. Kurz vor Kriegende wurden wir in Malsburg-Marzell untergebracht.
Zisch: Du bist mit 15 Jahren noch als Soldat zum Kämpfen eingezogen worden. Wie war das?
Lieb: Als Anfang 1945 der Krieg eigentlich schon verloren war, wurde ich als letztes Aufgebot zum sogenannten "Volkssturm" eingezogen. Alle 15-jährigen und die älteren Männer sollten Deutschland bis zum bitteren Ende verteidigen. Wir bekamen Stahlhelme, zusammengewürfelte Uniformen und Gewehre. Auf dem Judenfriedhof in Sulzburg wurden wir an der Panzerfaust ausgebildet und sollten die Panzer der Franzosen an der Sirnitz bei Müllheim aufhalten. Ein älterer Soldat hat uns dann wahrscheinlich das Leben gerettet. Er sagte deutlich: "Buben, wenn wir das als ausgebildete Soldaten nicht mehr Schaffen die Franzosen aufzuhalten, was wollt ihr Jungs da schon ausrichten! Haut ab, und geht heim zu euren Familien." Daraufhin haben wir uns durch den Wald über den Blauen zu unseren Angehörigen durchgeschlagen. Drei Tage später war der Krieg beendet und verloren. Als wir nach Bellingen zurückkamen, war unser Haus von einer Bombe stark beschädigt. Das Essen haben wir in den verlassenen Bunkern am Rhein gesucht. Dabei ist ein junges Mädchen aus dem Dorf durch eine Bodenmiene getötet worden.
Zisch: Hattest du damals oft Angst?
Lieb: Ja, das hatte ich. Besonders als ich mit den Bauern nachts mit Pferdewagen das Fressen für die Tiere holen musste, durften wir keine lauten Geräusche machen. Die Pferde hatten Kartoffelsäcke unter den Hufen, damit man sie nicht so gut hören konnte. Immer hatten wir Angst, beschossen zu werden.
Zisch: Was denkst du über den Krieg in der Ukraine?
Lieb: Das ist sehr schlimm. Leider gibt es immer Krieg irgendwo auf der Welt. Das wird sich wohl nie ändern. Leid tun mir vor allem die Kinder. Ich denke oft daran, wie schön unsere Kindheit hätte sein können ohne diesen Krieg.
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