Klarer Fall von Hexen-Power
J.K. Rowlings "Die Märchen von Beedle dem Barden" zeigt, dass noch Platz ist im Potter-Universium
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Nur gut, dass Autorin J.K. Rowling noch ein Herz für Fans zeigte – und eines für Kinder, denn die Einnahmen ihres soeben erschienenen Potter-Nachschlags gehen an die von ihr begründete Stiftung "The Children’s High Level Group" (CHLG). Der sind jetzt einige Millionen an Finanzzuflüssen sicher, denn trotz des späten Erscheinungstermins haben "Die Märchen von Beedle dem Barden" gute Chancen das erfolgreichste Buch des Jahres zu werden. Die ersten beiden Auflagen der "Märchen von Beedle dem Barden" sind bereits ausverkauft. Die Deutschland-Startauflage lag bei 300 000 Stück.
Hat die Bestseller-Autorin also ihre Ankündigung rückgängig gemacht, nicht mehr über Harry Potter zu schreiben? Nicht wirklich, denn der junge Zauberer kommt in dem Büchlein überhaupt nicht vor, sein Name wird nur in der Einleitung der Autorin genannt. Aus dem Potter-Kosmos stammen die fünf Märchen aber sehr wohl – wie alle Leser von "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" wissen, in denen das Buch eine wichtige Rolle spielt. Das fünfte Märchen "von den drei Brüdern" wird dort sogar komplett erzählt.
Wer das Büchlein deshalb nun als einen Fall von Resteverwertung abtut, hat den Perfektionismus von J.K. Rowling unterschätzt. Denn mit das größte Vergnügen ihrer Potter-Bücher lag ja in der enormen Kreativität, mit der sie ihre Zauberwelt auch in den trivialsten Dingen zum Leben erweckt hat. Und so bietet der Band nicht nur fünf kurze aber zitatenreiche Märchen, die den Barden Beedle als ein magisches Pendant der Gebrüder Grimm einführen. Der höhere Reiz für Potter-Fans dürfte darin liegen, dass Professor Albus Percival Wulfric Brian Dumbledore, in den Romanen Leiter des Hogwarts-Zauberinternats, zu jeder der "Geschichten aus dem 15. Jahrhundert" eine Art kritisch-historischen Kommentar geschrieben hat.
Diese Texte, teils länger als ihr Untersuchungsgegenstand, wimmeln nur so vor Anspielungen auf die Potter-Bücher und dürften der Fangemeinde einigen frischen Diskussionsstoff liefern. Die Selbstreferentialität geht sogar soweit, dass Dumbledore bei der Interpretation des Märchens von den Brüdern bewusst Informationen zurückhält, worauf Rowling schon in ihrer Einführung hinweist. Dort kann sich die Autorin auch nicht die Bemerkung verkneifen, dass die Heldinnen in den Beedle-Märchen eine deutlich aktivere Rolle einnehmen als bei den uns Nicht-Zauberern bekannten: Hier nimmt niemand einen hundertjährigen Schlaf oder wartet darauf, dass ein Prinz einen verlorenen Schuh zurückbringt – ein klarer Fall von Hexen-Power also.
Sehr amüsant sind auch die Ausführungen Dumbledores, wonach eine gewisse Beatrix Bloxam einst eine "kindgerechte" Fassung der Märchen veröffentlicht hatte – deren überkandidelte Niedlichkeit bei den jungen Lesern aber für zuverlässigen Brechreiz sorge. Das ist sicher auch ein Seitenhieb Rowlings auf die Kritiker, die ihre Bücher als zu düster eingestuft haben. Und so geht es auch bei Beedle recht gruslig zu, vor allem "Das haarige Herz des Hexenmeisters" ist keine leichte Kost.
Etwas Nachschub aus der Potter-Welt, ein guter Zweck, eine schöne Aufmachung (der unpassende deutsche Einband lässt sich entfernen) sprechen also für das Buch – ein leicht fader Nachgeschmack bleibt aber. Denn das Lektüreerlebnis eines halben Nachmittags lässt sich natürlich nicht mit dem der telefonbuchstarken Potter-Bücher vergleichen. Andererseits zeigt Rowling, die vor sieben Jahren bereits zwei fiktive Hogwarts-Schulbücher für eine Wohltätigkeitsorganisation verfasst hat, wieviel Raum das Potter-Universum noch für weitere Geschichten lässt. Und so können Fans weiterhoffen, dass es in ein paar Jahren ja vielleicht doch nochmal ein Weihnachtsgeschenk von ihr gibt….
– J. K. Rowling: Die Märchen von Beedle dem Barden. Carlsen Verlag. 128 Seiten. 12,90 Euro.
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