Gelsenkirchen
Kicken auf dem Stundenplan
Ein Besuch in der Gesamtschule in Gelsenkirchen-Schalke, die Stars wie Mesut Özil und Manuel Neuer hervorgebracht hat.
Mi, 2. Okt 2013, 11:40 Uhr
Neues für Schüler
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"Mesut hat eine sehr hohe gesellschaftliche Anerkennung neben einigen anderen Fußballprofis, die aus unserer Schule kommen", frohlockt Schulleiter Georg Altenkamp. Der 65-Jährige findet nichts Unrechtes dabei, Özil als Werbe-Ikone einzuspannen. "Da wir als Schule neben dem Verein einen maßgeblichen Teil zur Persönlichkeitsentwicklung dieser Leistungssportler beigetragen haben, pflegen wir sie als Vorbilder für künftige Schülergenerationen."
Die Gesamtschule im Schatten der Schalke-Arena gilt als Entdeckerin des deutsch-türkischen Weltfußballers. "Den Mesut haben wir über unsere Schule den Schalkern quasi angedient, weil unsere Sportlehrer sein ungewöhnliches technisches Potenzial erkannt haben", sagt Altenkamp – der sich selbst als Fastpensionär noch Straßenfußballer nennt.
Bereits Ende der 1990er-Jahre hatte der Rektor die Kooperation mit dem benachbarten Bundesligisten gesucht und talentierte Nachwuchskicker des Revierklubs in seine Schule aufgenommen. Seitdem steht das Fach Fußball am Berger Feld, einer der ältesten Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen, bei vielen der 1400 Schüler auf dem Stundenplan.
Der Migrantenanteil unter den Pennälern liegt bei 40 Prozent. Obwohl solche Schulen in Deutschland noch immer misstrauisch beäugt und oft gemieden werden, hat das Berger Feld offenbar magische Anziehungskraft. Auch zu Beginn dieses Schuljahres mussten wieder zahlreiche Anmeldungswillige abgewiesen werden. Der Deutsche Fußballbund hat die Schule zur "Eliteschule des Fußballs" ernannt. Auf Flyern wirbt sie mit "Profivertrag & Abitur". Natürlich, räumt Altenkamp ein, locke das talentierte Nachwuchskicker. "Aber die Träume und Illusionen sind ja da. Wir gehen mit dem Dualismus Fußballsport und schulische Karriere schon sehr verantwortlich um."
Die Schüler, die hier angenommen werden, machen nicht nur die fünf Pflichtstunden Sport pro Woche. Auch leisten sie ihr tägliches Vormittagstraining im Fußball oder anderen Leistungssportarten. Neben Fußballern fördert die NRW-Sportschule auch Handballer, Basketballer, Ruderer, Schwimmer und Judoka. Sogar ein angehender Profigolfer geht inzwischen auf diese Gesamtschule.
Unter den 1400 Schülern sind derzeit 40, bei denen viermal pro Woche vormittags zwei Stunden Fußball auf dem Plan stehen. Während die Klassenkameraden Bio oder Englisch büffeln, lassen die Özil-Jünger auf den Trainingsplätzen des FC Schalke den Ball laufen. "Das sind tausend Ballkontakte pro Woche zusätzlich", sagt Schalkes Juniorentrainer, der ehemalige Profi Norbert Elgert. "Damit ersetzen wir den Straßenfußball früherer Tage."
In den Schulklassen sitzen angehende Fußballmillionäre neben Jungen aus Hartz-IV-Familien. "Das ist nur ein Abbild der real existierenden gesellschaftlichen Verhältnisse", sagt Altenkamp. Ein Julian Draxler, der bereits in der elften Klasse auf Schalke "dicke Kohle verdient" habe, müsse ebenso lernen damit umzugehen, wie diejenigen seiner Klassenkameraden, "die zu Hause kaum über die Runden kommen". Für den Profifußball sei es wichtig, "mit den Füßen auf dem Boden zu bleiben und nicht überheblich zu wirken", doziert der Schulleiter. Und für die anderen Schüler sei es wichtig, "menschliche Qualität an diesen Leistungssportlern zu entdecken, die nicht zur Verklärung führen, sondern zum Nacheifern".
Mit Patenschaften wurden Schalke-Spieler wie Draxler oder Joel Matip während der Schulzeit von Klassenkameraden unterstützt, wenn sie im Trainingslager oder bei Wettkämpfen waren. Die Paten halten mit ihnen Verbindung und geben ihnen weiter, was im Unterricht läuft. Damit soll sichergestellt werden, dass die Fußballer auch außerhalb der Schule weiter am Lernstoff arbeiten können. "Dadurch entstehen menschliche Qualitäten in der gegenseitigen Wahrnehmung", wie Altenkamp sich ausdrückt. "Ohne den Paten könnte der Fußballprofi hier seinen Abschluss gar nicht machen."
Dennoch ist die Schule für die Özils kein Ponyhof. Ihr Leben ist streng geregelt. Sieben Uhr Schulbus, zwei Stunden Unterricht, dritte und vierte Stunde samt Pausen Fußballtraining, wieder Unterricht, Mittagpause, fix etwas essen, bis zur neunten Stunde Unterricht. Die Schule endet um 15.40 Uhr. Danach Hausaufgabenbetreuung in einem separaten Schultrakt, in dem es auch Ruheräume gibt. Von 17.30 bis 19.15 Uhr Mannschaftstraining mit den Nachwuchsteams des FC Schalke, danach duschen und Heimfahrt mit dem Bus. Die meisten sind nicht vor halb neun zu Hause.
Noch heute hat der Ehemalige Manuel Neuer diesen Zeitplan im Kopf, nach dem er jahrelang funktionieren musste. "Das hat sich richtig eingebrannt", sagte er der FAZ. "Ich musste damals dauernd auf die Uhr schauen." Noch heute hält der Münchner Nationaltorhüter Kontakt zu seiner Schalker Schule – so wie Özil. "Wenn ich die beiden anrufe und sage ihnen, ich brauche bestimmte Dinge für die Schule", lobt Altenkamp, "dann helfen die uns auch." So sponsert Neuer Förder- und Nachhilfeunterricht für die Schüler der zehnten Klasse, aber auch den Klassen fünf und sechs das tägliche Frühstück.
Und? Hat der Rektor bereits ein neues Talent vom Kaliber Özil erspäht? "Wenn ich sehe, welche Wahrnehmungskompetenz manche unserer Kids auf dem Fußballplatz haben", schwärmt Altenkamp, "dann sage ich: Boah, das könnte auch was werden." Schließlich sei das Geheimnis, das den Klein-Mesut zum großen Özil gemacht hat, auch diese "frühe Wahrnehmungskompetenz" gewesen, "dieses einzigartige Auge für seine Mitspieler".
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