Kängurus zwischen Liebe und Hass
Das Verhältnis der Australier zu ihrem Nationaltier ist zwiegespalten / Für manche sind die Beuteltiere Leckerei, für andere ein Wunder.
Carola Frentzen (dpa)
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"Dot befand sich damals im Beutel und war dadurch weitgehend von dem Aufprall geschützt", erzählt Jessica Dick, die im Tierpark in Sydneys berühmtem Viertel Darling Harbour als Pflegerin arbeitet und eine besondere Schwäche für Kängurus hat. Ein Passant bemerkte das Baby im Beutel und rief die Behörden, die es retteten. Damals war Dot noch so klein, dass sie im Zoo per Flasche aufgezogen werden musste – aber Känguru-Waisen später auszuwildern, ist so gut wie unmöglich. "Ihre Geschichte teilt sie mit vielen Kängurus, die in Wildparks in ganz Australien leben", erzählt Dick, während sie die Tiere mit Süßkartoffel-Snacks versorgt.
Tatsächlich ist Dots Schicksal eher die Norm. "Ich kenne aus meinem Bekanntenkreis niemanden, der noch nicht im Auto mit einem Känguru zusammengeprallt ist", sagt Louise Anderson aus der Nähe von Melbourne. Sie selbst sei da keine Ausnahme. Schätzungen besagen, dass es für jeden Australier mindestens zwei Kängurus gibt – das wären etwa 50 Millionen Exemplare in dem riesigen Land. Aber das Verhältnis der "Aussies" zu ihrem Nationaltier ist zwiegespalten.
"Kängurus sind unsere nationale Ikone und werden auf der ganzen Welt als ‚typisch australisch‘ gefeiert", sagt Mick McIntyre, der vor fünf Jahren einen preisgekrönten Dokumentarfilm mit dem Titel "Kangaroo – A Love-Hate Story" veröffentlicht hat. Die seltsame Hassliebe der Australier zu ihrer Ikone sei hingegen international kaum bekannt.
In dem Film ist zu sehen, wie Nacht für Nacht im Schutze der Dunkelheit Tausende Kängurus erschossen werden – besonders in entlegenen Outback-Regionen. Eine illegale Jagd, denn in Australien ist es verboten, ein Känguru zu töten, zu kaufen, zu verkaufen oder zu besitzen. Als Reaktion auf die hohe Känguru-Population vergibt die australische Regierung aber Lizenzen, die es den Inhabern erlauben, Kängurus zu keulen. Allerdings werden die Tiere auch ohne Lizenz getötet, und zwar im großen Stil.
Kängurus würden kommerziell bis zum Äußersten ausgebeutet, "ohne Rücksicht auf ihren Platz in der Ökologie dieses Kontinents und auf ihr Wohlergehen", so McIntyre. "Den Tieren werden durch den Druck der Känguru-Industrie, die auch Europa mit Fleisch und Häuten beliefert, jede Nacht barbarische Grausamkeiten zugefügt." Millionen Beuteltiere sind nach Schätzungen Jahr für Jahr von der brutalen Jagd betroffen. In vielen Restaurants stehen Känguru-Steaks, -Burger oder -Kebabs auf der Speisekarte. Reisende, die die Tiere kurz zuvor noch in freier Wildbahn bewundert haben, erwerben kurz darauf achtlos Handtaschen und Geldbeutel aus ihrer Haut.
Dabei sind die Tiere ein Wunder der Evolution. Sie bevölkern den Kontinent schon seit 25 Millionen Jahren. Viele Ureinwohner verehren das Känguru als ihr Totem. "Dies ist ihr Land", sagt Max Dulumunmun Harrison vom Volk der Yuin im Film. "Sie sind die ersten Australier und Teil unserer Zeremonien." McIntyre hat inzwischen eine Tierschutzorganisation namens "Kangaroos Alive" gegründet. "Wir setzen uns jetzt dafür ein, dass die Australier lernen, mit den Kängurus zusammenzuleben und ihren Platz in diesem Land schätzen zu lernen – nicht nur als Sportmaskottchen oder für Firmenlogos."
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