Jung, wild und rebellisch einsam

Seit die italienische Rockband Måneskin 2021 den Eurovision Song Contest gewann, startet sie international richtig durch. Jetzt erscheint ihr neues Album "Rush!". Das zeigt, wie vielfältig und radiotauglich junger Rock aus Rom sein kann.  

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Måneskin bei den American Music Awards... Victoria De Angelis und Thomas Raggi.  | Foto: IMAGO/JIM RUYMEN
Måneskin bei den American Music Awards im November 2022 (von links): Ethan Torchio, Damiano David, Victoria De Angelis und Thomas Raggi. Foto: IMAGO/JIM RUYMEN
Måneskin – das bedeutet impulsive, mitreißende Melodien, kreischende E-Gitarren-Soli und Songs, in denen eine gewisse Einsamkeit und Verlorenheit steckt. Måneskin bedeutet aber auch Netzstrumpfhosen, Smokey Eyes, schwitzige Partynächte, hohe Lederstiefel, Glitzer, bauchfreie Männertops. Die italienische Rockband war schon immer ein bisschen anders als der Rest. Gerade das macht sie interessant. "Wir sind durchgeknallt, außer Rand und Band, aber Hauptsache anders, als ihr" – so könnte man die Botschaft übersetzen, mit der Måneskin im Hit "Zitti e buoni" 2021 den Eurovision Song Contest (ESC) für sich entschieden hat.

Dieser Einstellung bleiben sie auch auf ihrem dritten Album "Rush!" treu, mit dem die Rockmusiker ihren bisherigen Erfolg toppen könnten. Damit es so kommt, hat die Band mit international erfolgreichen Produzenten gearbeitet, der prominenteste ist Max Martin, der Hits für Britney Spears, Taylor Swift und The Weeknd und viele andere Stars geschrieben hat. So ist ihre neue Platte abwechslungsreich, radiotauglich und vereint sämtliche Gefühle, die ein Mensch haben kann: Weltschmerz, Rastlosigkeit, Trauer, Verliebtsein, Gleichgültigkeit, Wut, Hoffnung.

"Own My Mind" ist der erste von 17 Titeln auf "Rush!", der mit ordentlich Tempo und einprägsamer Melodie loslegt. So geht es weiter mit "Gossip" – ein Song über vorgegaukelten Ruhm, der nichts wert ist und Ikonen, die keine sind. Leadsänger Damiano David pendelt mit seiner markanten, kratzigen Stimme zwischen Höhen und Tiefen, kritisiert die Leistungsgesellschaft als Schattenseite des amerikanischen Traums. Mit wummerndem Bass beginnt "Gasoline", ein Song wie ein Gewitter aus blitzenden E-Gitarren-Einwürfen und hagelndem Schlagwerk. Bloß nicht einschlafen will Måneskin in "Don’t Wanna Sleep". Wer wach bleibt und tanzt, kann der Einsamkeit entrinnen. Im dystopischen "Kool Kids" brüllt David mit verzerrter Stimme wie aus einem Megafon: "Cool kids don’t take drugs" – Coole Kids nehmen keine Drogen. Eine Anspielung auf den ESC, bei dem Måneskin vorgeworfen wurde, während des Events vor laufender Kamera Kokain vom Tisch gezogen zu haben? Der Drogentest fiel negativ aus, doch immer wieder betont Måneskin: Es gebe viel zu viele Vorurteile gegenüber Rockbands. Das wollen sie ändern.

Das Quartett bricht in seinen Outfits mit Geschlechterrollen und setzen gerne ein politisches Zeichen. Bei einem Konzert 2021 im konservativen Polen, wo die queere Community einen schweren Stand hat, küsste David seinen Bandkollegen Thomas Raggi. Bassistin Victoria De Angelis steht für Body Positivity ein, bei Auftritten klebt meist nur ein Sternchen auf ihrer Brustwarze. Die Shows sind ausgelassen, sexy, extravagant.

So schweben die vier Musiker, alle Anfang 20, auch in "Rush!" an der Erde vorbei, wie Außerirdische, Ausgestoßene, die sich auf der Welt fremd fühlen, denen dort die Luft zum Atmen fehlt. Diese Rastlosigkeit wird vor allem im italienischen Progressive-Rock-Song "La Fine" deutlich – mit schnellen Beats, die sagen: "Das ist kein Anfang, das ist das Ende (...), der einzige Ausweg ist, zu verschwinden". Mit zwei weiteren italienischen Songs im Anschluss ist das der muttersprachliche Block des Albums. Aber nicht nur das Rockerherz wird bedient. Auch romantische Songs gibt’s mit "Timezone" oder "Il Dono Della Vita", das auf beruhigende Melodie und Pink-Floyd-Vibes setzt. "If Not For You" bricht mit dem Rest des Albums und ist ein Liebeslied mit Lagerfeuer-Flair, Hochzeitstanz-kompatibel inklusive Streichereinlage.

Am Ende des Albums wartet eine Ballade, die seit Oktober 2022 die Charts erobert: "The Loneliest". Der leise Anfang mit zitternder Stimme wird immer mitreißender, die E-Gitarre wird zur kreischenden Geige. David besingt eine Person, die nicht mehr da ist, was ihm die einsamste Nacht beschert. Diese Fülle an quälender Trauer, Verzweiflung, innerer Leere – das macht "The Loneliest" zu einem der stärksten Songs auf der Platte. Und wie beim ganzen Album lebt Måneskin und seine eigenwillige, einsame Art des Rock von Damiano Davids gewaltiger Stimme – mit so viel kitschfreiem, ehrlichem Herzschmerz, dass er am Ende von "Rush!" daran zu zerbrechen scheint.

Måneskin: "Rush!" (Sony Music). Erscheint am 20. Januar.
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