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Ausgrabungen

Stießen Mainzer Forscher auf Zähne von Menschenaffen?

  • dpa

  • Do, 26. Oktober 2017
    Panorama

     

Mainzer Forscher finden sehr alte Zähne im Ur-Rhein in Hessen / Gehören sie zu einer Urmenschenart oder zu einfachen Affen?.

Die Mainzer Archäologen graben bei Eppelsheim. Foto: dpa
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MAINZ (dpa). Ist der Ur-Rhein die Wiege der Menschheit? Archäologen glauben, dort etwas gefunden zu haben, was die Theorie der Menschwerdung in Afrika infrage stellen könnte. Zahlreiche Experten aber winken ab.

Archäologen in Rheinland-Pfalz schlagen die ganz große Trommel. Sie kündigen einen spektakulären Fund an, laden die versammelte Presse und den Wissenschaftsminister des Landes ein und verkünden schließlich: Sie haben im Ur-Rhein zwei Zähne von Menschenaffen gefunden – und nun müsse die Geschichte der Menschheit möglicherweise überdacht werden. Ganz direkt sagen sie das nicht, aber der Fund sei "in Europa einmalig", "unglaublich", "singulär" und "eigentlich zu schön, um wahr zu sein".

Ausgegraben haben die Paläontologen die Zähne in den fast zehn Millionen Jahre alten Sand- und Kiesablagerungen des Ur-Rheins in Eppelsheim. Lange rätselten sie, dann waren sie sich sicher, dass sie einen Backen- und Eckzahn eines Menschenaffen in den Händen halten. Ja mehr noch, die Zähne erinnerten sie an Vormenschen aus Afrika. Die größte Ähnlichkeit hätten die Funde mit Lucy (Australopithecus afarensis) und mit Ardi (Ardipithecus ramidus) aus Äthiopien.

Die rheinland-pfälzischen Archäologen erwarteten "ein Staunen" aus der Fachwelt – und bekamen Kopfschütteln. "Die Funde haben mit Menschen (Hominini) nichts zu tun, sie haben nicht einmal etwas mit Menschenaffen (Hominidae) zu tun. Sie stammen aus einer Zeit, ehe diese sich entwickelt haben", urteilt der Paläontologe David Begun von der Abteilung Anthropologie der University of Toronto.

Der Backenzahn sei wahrscheinlich von einem Affen, von denen es vor etwa zehn Millionen Jahren zahlreiche Arten in Europa gab, fährt Begun fort. Der vermeintliche Eckzahn sei eigentlich ein Teil von einem Backenzahn eines Wiederkäuers. "Ein Spezialist hätte das sofort gesehen", ist er sich sicher. Madelaine Böhme vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment (HEP) in Tübingen pflichtet Begun bei: "Das ist ein kleiner Teil eines Hirschzahns."

Die Vormenschen-Forscher verstehen nicht, warum die rheinland-pfälzischen Archäologen niemanden zurate gezogen haben, ehe sie an die Öffentlichkeit gingen. Auch wurde der Artikel zu den Zähnen nicht in einer der renommierten Fachzeitschriften veröffentlicht, wo die Ergebnisse von Kollegen begutachtet werden, sondern er soll in der Zeitschrift "Mainzer naturwissenschaftliches Archiv" erscheinen. Das sei ein "ungewöhnlicher Schritt", meint Philipp Gunz vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Eigentlich publiziere man erst und spreche dann auf einer Pressekonferenz von einer Sensation.

Ottmar Kullmer, Abteilungsleiter Paläoanthropologie beim Senckenberg Forschungsinstitut in Frankfurt, meint, man solle sich die Autoren des Artikels genauer anschauen. "Da ist kein Primatenspezialist und kein Zahnspezialist dabei." Tatsächlich gab der Hauptautor Herbert Lutz bei der Vorstellung der Funde in der vergangenen Woche zu: "Mein Forschungsgebiet sind eigentlich Insekten." Doch nun hätten er und das Team sich in das neue Thema eingearbeitet.

Lutz ist trotz der heftigen Kritik "ganz entspannt", wie er sagt. Er glaubt an seine eigene Auslegung – "es passt einfach alles viel zu gut". Und warum sollte nicht auch eine Gruppe Menschenaffen mit ähnlichen körperlichen Merkmalen in Europa gelebt haben, und nicht nur in Afrika? Vielleicht entwickelten sie sich parallel? Lutz fügt allerdings hinzu: "Wenn jemand anderweitige Beweise zeigt, dann sagte ich: Okay, wir haben uns vergaloppiert. Irren ist menschlich."

Andere Wissenschaftler seien "aus gutem Grund" zunächst nicht hinzugezogen worden, sagt Lutz, der Projektleiter der Forschungsarbeiten in Eppelsheim ist. "Wir wollten nicht im Kleingedruckten erscheinen. Es sollte klar werden, wer diesen Grabungserfolg hat." Das Land und die Stadt Mainz hätten in den vergangenen Jahren 800 000 Euro in die Grabung investiert. Und nun gehe es um die Zukunft des Projekts. "Die Politik soll nicht die Frage stellen: Was haben die da eigentlich die ganze Zeit gemacht?"

Ressort: Panorama

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