"Ich habe keinen Musikgeschmack"

ICH STEH’ DAZU: Fudder-Autorin Kathrin Müller-Lancé erklärt, warum es nicht nur Nachteile hat, keinen Musikgeschmack zu haben.  

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Was in Kathrin Kopfhörern läuft, besteht keinen Coolness-Check.   | Foto: Marius Buhl
Was in Kathrin Kopfhörern läuft, besteht keinen Coolness-Check. Foto: Marius Buhl

Beatles kann jeder, Money Boy ist Trash, Schönberg versteht sie nicht: Für Fudder-Autorin Kathrin Müller-Lancé ist Musik ein komplizierter Kosmos. Sie steht dazu und sagt: "Ich habe keinen Musikgeschmack".

Ich glaube, Apple ist schuld. Meinen ersten Ipod – einen süßen silbernen Shuffle – bekam ich mit 13 Jahren zum Instyle-Abo geschenkt. Meine musikalische Bandbreite war also von Anfang an auf ein Gigabyte Speicherplatz determiniert. Gezielt nach Liedern zu suchen war wegen des mangelnden Bildschirms nicht drin, auf die Playlist kam, was in meiner noch jungen CD-Sammlung gerade rumstand. Instyle lesen, Sarah Connor hören – das passte, damals mit 13. Lektüretechnisch habe ich mich mittlerweile weiterentwickelt - musikalisch eher nicht.

Ziemlich peinlich. Denn meine Generation identifiziert sich vor allem über ihren Musikgeschmack. Auf Spotify stellt man seine Playlists zur Schau, teilt sie auf Facebook und sammelt Likes. Kennt ihr schon? Gefällt euch das? Wer eine spannende isländische Independant-Indie-Gruppe ausfindig gemacht hat, wird mit digitaler Ehrfurcht belohnt. Money Boy hört man jetzt auf der Metaebene, K.I.Z. sind Hochkultur.

Leicht beschämt drehe ich morgens mein Radio an. SWR3-Allerweltsgedudel. Tut nicht weh, macht Laune, geht auch unter der Dusche. Beim Joggen und Zugfahren darf’s dann auch mal der Ipod sein. Der ist immer noch ein Shuffle – mittlerweile grün, mit zwei Gigabyte Fassungsvermögen. Was den Inhalt angeht, bin ich nicht zu anspruchsvoll. Cat Stevens erinnert mich an meine gitarrespielende Austauschpartnerin, Max Herre sieht süß aus (hört man aber leider nicht), Sophie Hunger gibt immer so tolle Interviews und Paolo Conte klingt, wie italienischer Rotwein schmeckt.

Ich gebe zu: Ich habe keine Ahnung von Musik. Spätestens beim Quintenzirkel in der siebten Klasse bin ich aus der Musiktheorie ausgestiegen. Auf Konzerte gehe ich hin und wieder mal – hauptsächlich aber wegen der Stimmung und der sympathischen Sänger. Warum kann man Musik nicht einfach hören, ohne darüber zu reden? Fachsimpeleien über Musikstile und Interpretationen versuche ich zu umgehen. Doch die lauern überall.

Wie Sarah Connor vor der Nationalhymne, fürchte ich mich vor der Frage: "Und, was hörst du so?" Meine Standardantwort "Ich finde, Musik wird überbewertet" kommt nicht immer gut an. Prompt landet sie mit dem Hashtag "#shitinternssay" auf dem Twitter-Account eines Fudder-Kollegen. Bamm! Professionelle Perspektive verbaut.

Meine musikalische Minderwertigkeit ist aber nicht immer vom Nachteil. Fahre ich auf einer toskanischen Landstraße entlang, kann ich in voller Lautstärke Eros Ramazottis "Amore per sempre" mitgrölen – ganz ohne schlechtes Gewissen. Beim Titanic-Gucken darf ich von Céline Dions Gewimmer ergriffen sein.

Ich muss an keine entlegenen Orte fahren, um mit einer Handvoll Gleichgesinnter irgendeinem noch fast unentdeckten Musikstil zu frönen. Ich spare eine Menge Geld und Platz, weil ich nicht von einer wandfüllenden Vintage-Vinyl-Kollektion träume. Und: Meine Musiksammlung würde nach wie vor auf meinen Ursprungs-Ipod von 2008 passen. Hätte ich ihn nicht irgendwo im Schwarzwald verloren.

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