Historiker: Adenauer hatte Spion in der SPD-Spitze
Der Ex-Bundeskanzler von der CDU soll die Sozialdemokraten über ein Jahrzehnt ausgespäht haben – unter Beteiligung des Geheimdiensts.
Uta Winkhaus & Gaby Mahlberg
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Wie die Süddeutsche Zeitung (SZ) am Wochenende unter Berufung auf Historiker Henke und historische Dokumente berichtete, ließ Adenauer die SPD-Spitze mithilfe zweier Informanten weitaus stärker ausspionieren als bislang angenommen. Einer von ihnen soll direkt in der SPD-Spitze gearbeitet haben. Fast 500 vertrauliche Berichte aus dem SPD-Vorstand seien so in das CDU-geführte Kanzleramt gelangt. Adenauer, der von 1949 bis 1963 regierte, sei über den Spitzel des Bundesnachrichtendienstes (BND) oft noch am selben Tag über Vorgänge in der Oppositionspartei informiert worden.
Nach Angaben der Zeitung geht dies aus Akten der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung hervor, die Henke ausgewertet hat. Henke ist Sprecher der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des BND. Die Konrad-Adenauer-Stiftung und eine Sprecherin der CDU wollten die Sachverhalte am Wochenende nicht kommentieren.
Befragt nach Parallelen zur Watergate-Affäre 1972 in den USA sagte Henke: "Die Watergate-Affäre wurde 1972 durch den Einbruch in die Parteizentrale der US-Demokraten ausgelöst: US-Präsident Richard Nixon wollte dort Wanzen installieren lassen." Bekanntlich sei das alles hochgradig dilettantisch gelaufen. "Wollte man es daran messen, dann wäre das, was in Bonn passiert ist, ein Super-Watergate." Denn das, was in Washington keinen einzigen Tag lang funktioniert habe, habe in Bonn fast zehn Jahre lang geklappt. "Nicht mit Wanzen, sondern durch einen Verräter in den Reihen der SPD. Und nicht durch irgendeine Klempnertruppe, sondern mittels Instrumentalisierung des Auslandsnachrichtendienstes durch die Regierungsspitze."
Die SPD reagierte entsetzt; Generalsekretär Kevin Kühnert sagte: "Es ist ein ungeheuerlicher und in der bundesrepublikanischen Geschichte wohl beispielloser Vorgang, dass der erste demokratische Bundeskanzler seine Macht systematisch unter Missachtung rechtsstaatlicher und demokratischer Prinzipien ausbaute und festigte." Es sei heute zwar sinnlos, darüber zu spekulieren, inwiefern der Verlauf der Geschichte ohne diese massive politische Wettbewerbsverzerrung ein anderer gewesen wäre. Das mindere jedoch nicht die Sprengkraft der Erkenntnisse. Es müssten Geschichtsbücher und Biografien neu geschrieben und insbesondere "das Werk Adenauers in Anbetracht seines Missbrauchs des Auslandsgeheimdienstes neu eingeordnet werden".
Dass Adenauer über seinen Staatssekretär Hans Globke und Reinhard Gehlen, den Leiter der nach ihm benannten Organisation Gehlen, innenpolitische Gegner überwachen ließ, war bekannt. Das wohl prominenteste Beispiel ist der spätere SPD-Bundeskanzler Willy Brandt. Die nun ausgewerteten Dokumente offenbaren laut SZ aber eine "neue Dimension" der Spionage bei der politischen Konkurrenz. Aus der Organisation Gehlen ging 1956 der BND hervor.
Henke sagte: "Das Ganze war eine Geheimoperation des BND, die mit Wissen und zum Nutzen Adenauers betrieben wurde." Die Regierungsmitglieder hätten nichts davon gewusst. "Es wäre ja unklug und gefährlich gewesen, einen größeren Personenkreis in eine so große Schweinerei einzuweihen – man kann es nicht anders nennen." Die SPD sei für Adenauer kein politischer Mitbewerber gewesen. "Die SPD war der Feind ."