"Hier wird einfach mehr gedacht"
JUZ-INTERVIEW mit David Miller, der als Colgate-Student ein Jahr lang in Freiburg war - und vielfältige Erfahrungen sammelte.
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Vor einem Jahr kam David Miller nach Freiburg. Der 21-jährige Germanistik-Student von der amerikanischen Colgate University kam für ein Auslandssemester mit IES, dem Institute for International Education of Students - und ging in die Verlängerung. Er blieb für ein Colgate-Auslandsprogramm. Vor seiner Abreise wollten die JuZ-Mitarbeiter Silke Mattes und Janis Lehmann wissen, was David hier an Eindrücken gewonnen hat.
David Miller: Von der Gründung an hat die Colgate-Familie diese Universität sehr tatkräftig unterstützt. Deshalb wurde 1890 der Name von Madison University zu Colgate University geändert.
JuZ: Colgate gilt als Elite-Uni. Bist du ein Elitestudent?
David: Ja. Einfach schon deshalb, weil es eine Privat-Uni ist, die 31 000 Dollar pro Jahr kostet. Meine Eltern sind beide Ärzte - da geht das. Bei anderen geht es nicht. Und deshalb ist auch nicht erstaunlich, dass in Colgate kaum Studenten aus Minderheitengruppen der Bevölkerung studieren. Es gibt allerdings auch - einige wenige - Stipendien für Menschen mit geringem Einkommen.
JuZ: Kann jeder, der das Geld oder ein Stipendium hat, in Colgate studieren?
David: Nein, natürlich nicht. Man muss gute Noten haben und die dreistündige Aufnahmeprüfung sehr gut bestehen. Außerdem verlangt man in Colgate, dass man sportlich ist und sich zum Beispiel auch ehrenamtlich betätigt.
JuZ: Mit welchem Sport zeigst du dich als der geforderte Sportler?
David: Mit Fußball. Ja, wir spielen jetzt Fußball in Amerika - und ich wette, dass wir in den nächsten acht Jahren Weltmeister werden.
JuZ: Was war für dich schwierig oder ungewohnt, als du nach Freiburg kamst?
David: Es gab eigentlich keine Schwierigkeiten. Nur die Sprache war ein bisschen ein Problem. Ich konnte mich zwar verständigen, aber nicht richtig unterhalten. Das hat sich schnell geändert. Und am Anfang ist mir sehr aufgefallen, dass die Menschen hier mehr Blickkontakt suchen. In Amerika sind wir mehr in so einer Art Tunnel unterwegs.
JuZ: Gab es Dinge, die dir gleich schon positiv aufgefallen sind?
David: Klar - die öffentlichen Verkehrsmittel - hier in Freiburg sind die fast perfekt. Und am Anfang war es natürlich noch ganz neu für mich, dass ich mit 20 Jahren in Kneipen gehen und was trinken kann. Das geht bei uns erst ab 21.
JuZ: Wie unterscheiden sich junge Leuten in Deutschland und Amerika?
David: Ich glaube, dass junge Deutsche grundsätzlich viel mehr analysieren. Und von den amerikanischen jungen Leuten glaube ich, dass sie zwar nicht härter, aber mehr arbeiten. Hier sind die Leute ja auch länger an der Uni und sie haben mehr Zeit.
JuZ: Welche Unterschiede hast du sonst noch an der Uni bemerkt?
David: Hier muss man für einen Kurs nur eine Hausarbeit oder ein Referat schreiben. In Amerika müssen wir dafür viel mehr tun - zwei, drei Klausuren und mehrere Hausarbeiten. Dafür gibt es aber auch auf jeden Prof nur zehn Studenten, während hier in Freiburg schon im Proseminar oft 80 Leute sitzen.
JuZ: Gibt es sonst noch Unterschiede, die dir aufgefallen sind?
David: Auch in der Uni analysieren die Deutschen viel mehr als wir. Sogar, wenn sie eine Party machen, wird das viel sorgfältiger gemacht. In Amerika würden wir ein paar Kasten Bier hinstellen und eine Musikanlage und die Leute würden kommen und fertig. In meiner WG hier wurde das tagelang organisiert. Hier wird mehr gedacht - und es gibt Leute, die sagen, bei uns wird mehr gemacht. Das gilt sogar in der Politik.
JuZ: War der Irak-Krieg oft ein Thema in deinem Jahr in Freiburg?
David: Ja, oft. Und für mein Deutsch war das grandios. Jeder wollte mit einem Amerikaner über den Krieg reden. Ich war nicht unbedingt für den Krieg, aber ich finde es auch nicht mehr aktuell, darüber zu reden. Jetzt muss man darüber sprechen, was im Irak passieren soll.
JuZ: Hast du eigentlich so was wie Anti- amerikanismus hier zu spüren bekommen?
David: Es gibt wohl kritische Leute, aber ich habe das nie als feindliche Stellungnahmen abbekommen.
JuZ: Wird in Amerika unter jungen Leuten viel Politik debattiert?
David: Nicht so viel wie in Deutschland. Eigentlich kam das bei uns erst bei den letzten Wahlen, als Bush vor Al Gore so knapp gewann. Hier muss ich auf ein Thema gut vorbereitet sein, wenn ich argumentieren will, in Amerika reicht es oft schon, gut schauspielern zu können.
JuZ: Kennst du die Michael-Moore-Filme?
David: Nur "Bowling for Columbine". Und ich habe Michael Moore persönlich kennen gelernt, als er wenige Tage nach dem 11. September einen Vortrag in Colgate hielt. Ich finde ihn echt geil - dabei muss man gar nicht unbedingt seiner Meinung sein. Aber was er macht, ist wunderbar. Er weiß, wie man mit Medien umgeht - und mit Menschen.
JuZ: Wie unterscheiden sich deutscher und amerikanischer Humor?
David: Üblicherweise geht es hier beim Humor immer um Politik und in Amerika um Sex. Deshalb war übrigens Bill Clinton in beiden Ländern so beliebt, weil er beide Themen bediente.
JuZ: Apropos Sex - gibt's da Unterschiede zwischen Deutschland und Amerika?
David: Klar, hier kann man im Fernseher und auf Plakaten überall mühelos Nackte sehen. In Amerika wäre das undenkbar. Das perfekte Beispiel dafür war die Geschichte mit Janet Jackson, die während der Live-Übertragung in der Pause der Superbowl für eine Sekunde ihren Busen zeigte. Das hat kein Mensch wirklich gesehen, aber alle haben sich aufgeregt.
JuZ: Wie wirkt sich das auf der privaten Ebene aus? Sind die Leute hier lockerer?
David: In der Kneipe kommt man hier schneller ins Gespräch. Und man spricht sofort über sehr interessante Sachen.
JuZ: Mit ,privater Ebene' meinten wir eher so was wie Liebesdinge . . .
David: Oh, das wäre für mich hier echt ein Problem gewesen, wenn ich eine deutsche Freundin hier gehabt hätte. Am Anfang wär's wohl gut gegangen, aber irgendwie habe ich das Gefühl, als strebten die Frauen hier schon bald so eine Art Kampf oder zumindest Kontrolle an. Die deutschen Männer wissen augenscheinlich, wie sie damit umgehen müssen, aber ich hätte es nicht gewusst.
"Ich habe hier vor allem viel für meine akademische Arbeit gelernt." David Miller, Colgate-Student
JuZ: Heißt das, deutsche Frauen sind komplizierter als amerikanische?
David: Nee. Alle Frauen sind kompliziert - und die deutschen sind es auf ihre Art. Das macht aber nichts, ich bin nämlich nie in ein Bächle getreten und muss also keine Freiburgerin heiraten.
JuZ: Welche Erkenntnisse hast du sonst noch in dem Freiburg-Jahr gewonnen?
David: Im Ernst? Im Ernst habe ich vor allem viel für meine akademische Arbeit gelernt. Zum Beispiel hervorragende Literatur-Interpretationsmethoden.
JuZ: Wie nimmst du den beginnenden Wahlkampf in den USA wahr?
David: In der Süddeutschen wird eine Amerikanerin zitiert, die sagt, sie sei gegen Bush, darum werde sie den ,Wie-heißt-er-doch-Gleich' wählen. Wir wissen alle unheimlich wenig von Kerry und wir diskutieren zu wenig über Politik. Ich glaube, dass die Deutschen, mit denen ich darüber rede, besser Bescheid wissen als viele Amerikaner.
JuZ: Was ist dein Traum für die Zukunft?
David: Ich will auf jeden Fall wieder nach Europa kommen, vielleicht mal in Spanien wohnen. Und wovon ich auf jeden Fall träume, ist eines Tages Schriftsteller zu sein - und die Menschen mit dem zu bewegen, was ich schreibe.
JuZ: Was glaubst du, wirst du vermissen in den USA und worauf freust du dich?
David: Ich freu mich auf meine Uni-Kurse, denn da werde ich so viel reden, dass man mich mit Gewalt stoppen muss. Hier nämlich habe ich mir erst jeden Satz stundenlang zurechtgelegt - und am Ende echt nicht viel gesagt. Und was ich vermissen werde? Die entspanntere Lebensweise - und die Münsterwurst!
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