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"Handschrift ist ein Denkwerkzeug"

BZ-INTERVIEW mit Maria-Anna Schulze Brüning über den Wert des Schreibens mit der Hand / Lesung am 25. Oktober in Müllheim.  

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„Die Didaktik der Handschriftvermittlung spielt heute in der Lehrerausbildung keine Rolle mehr“, sagt Foto: Jan Woitas

MÜLLHEIM. "Wer nicht schreibt, bleibt dumm" lautet der provozierende Titel eines neuen Buches von Maria-Anna Schulze Brüning, Lehrerin für Kunst und Französisch an der Sophie-Scholl-Gesamtschule in Hamm. Sie zeigt darin, wie wichtig die Entwicklung einer flüssigen Handschrift für das gesamte schulische Lernen ist. Am Mittwoch, 25. Oktober, stellt sie ihr Buch in der Mediathek Müllheim vor. Dorothee Philipp sprach mit der Autorin.

BZ: Sie haben in Ihrem Buch nachgewiesen, dass Lernstrukturen mit dem Erwerb der Handschrift festgelegt werden. Was ist denn am handschriftlichen Schreiben so schwer?
Maria-Anna Schulze Brüning: Die Druckschrift hält man ja auf den ersten Blick für leicht erlernbar, weil ihre einfachen Formelemente leicht erkennbar sind. Sie ist aber für Schreibanfänger schwierig zu schreiben. Kinder malen die Einzelelemente nach ihrem kindlichen Formverständnis ab – ein a als Kringel mit einem Strich, das b als 6 oder das d als spiegelverkehrte 6. Sie beginnen Buchstaben oft auf der Schreiblinie und konstruieren sie mit Liniendoppelungen. Jeder Buchstabe beginnt dann an beliebiger Stelle, und eine geläufige, koordinierte, gut lesbare Schrift kann nicht entstehen. Die Kinder erwerben keine ausreichende Kontrolle über Form, Größe und Abstände der Buchstaben. Wie sehr diese fehlt, zeigt sich oft erst bei beschleunigtem Schreiben – also in den weiterführenden Schulen. Entgleisende Handschriften sind dort an der Tagesordnung.

BZ: Sie holen in Ihrem Buch ja weit in die Geschichte aus. Wann hat das aktuelle Dilemma Ihrer Meinung nach angefangen?
Schulze Brüning: Es hat begonnen mit der Einführung der Druckschrift als Erstschrift. Dabei hat man die besonderen Schwierigkeiten dieser Schrift unterschätzt und geglaubt, die Druckschrift sei eine gute Vorbereitung auf die Schreibschrift. Nun ist aber Schreibschrift keine Druckschrift mit Strichen dazwischen, sondern sie erfordert ein komplettes Umlernen. Besondere Komplikationen treten bei der Vereinfachten Ausgangsschrift auf, die nicht an der Schreiblinie orientiert ist, sondern die die Buchstaben von einer imaginären Mittellinie aus entwickelt. Diese Linie gibt es nur in den Heften der Grundschüler. Entfällt sie mit der einfachen Lineatur, verlieren viele Schriften jeglichen Halt.
BZ: Wie kann man den Schreibunterricht aus seiner gegenwärtigen Krise holen?
Schulze Brüning: Indem man der Handschrift wieder einen Stellenwert einräumt und das Handschriftlernen wieder als eigenständigen Unterrichtsgegenstand etabliert. Handschrift entwickelt sich nämlich nicht nebenher, wenn man nur lange genug Texte formuliert und dabei Buchstaben abmalt. Und was den Schrifttyp angeht, muss man sich entscheiden, ob man die Schreibschrift will oder die Druckschrift. Jedes Umlernen ist widersinnig und muss unbedingt vermieden werden.
BZ: Könnte man dann nicht auf die Schreibschrift ganz verzichten?
Schulze Brüning: Die meisten Eltern wünschen eine Schreibschrift für ihr Kind, weil es eine sehr individuelle Handschrift ist. Für den Schrifterwerb hat die Schreibschrift den Vorteil, dass das Verbinden von Einzelbuchstaben zu Wörtern in der Bewegung nachvollzogen wird. "Wenn ich Schreibschrift schreibe, sehe ich besser, was zusammengehört." sagte mir einmal ein Fünftklässler. Wenn man die Schreibschrift beibehalten möchte, muss man sie so früh wie möglich einführen, bevor die Druckschrift automatisiert ist.

BZ: Müssten die Lehrerinnen und Lehrer ihre Unterrichtsmethoden umstellen, um bessere Ergebnisse zu erzielen?
Schulze Brüning: Die Didaktik der Handschriftvermittlung spielt heute in der Lehrerausbildung keine Rolle mehr. Dass die Handschrift heute nicht mehr ausreichend gelehrt wird und dafür auch keine Unterrichtszeit zur Verfügung gestellt wird, kann man nicht den Grundschullehrern anlasten. Die Erwartung, dass die Lehrerinnen und Lehrer doch bitte die Methodik des Handschrifterwerbs ändern mögen, geht an der Realität vorbei.

BZ: Sollten sich die Erwachsenen abgesehen von Einkaufszetteln auch mehr um ihre Handschrift kümmern?
Schulze Brüning: Das kann man ihnen getrost selbst überlassen. Kinder sind aber keine Erwachsenen. Sie müssen das Schreiben in der Bewegung nachvollziehen und Buchstaben formen. Da reichen nicht ein Tastendrücken und eine Zeigefunktion auf einem Tablet. Das Schreiben mit der Hand ist die Basis des Schriftspracherwerbs. Handschrift ist ein Denkwerkzeug.

BZ: An welche Zielgruppen richtet sich Ihr Vortrag?
Schulze Brüning: An alle, die sich fragen, warum so viele Kinder nicht mehr schreiben können und warum diese Kinder so schreiben, wie sie schreiben. Also in erster Linie Eltern betroffener Kinder, aber auch Grundschullehrer und Bildungsinteressierte.

Zur Person: Maria-Anna Schulze Brüning ist Lehrerin für die Fächer Französisch und Kunst und lebt in Hamm. Dort ist sie seit 26 Jahren an der Sophie-Scholl-Gesamtschule tätig. Nach dem Studium in Münster und der Referendarzeit in Köln legte sie zunächst eine Familienzeit ein. Sie ist Mutter zweier erwachsener Kinder. Infos im Internet zu Schulze Brüning und ihren Aktivitäten: http://www.handschrift-schreibschrift.de
"Wer nicht schreibt, bleibt dumm", Buchvorstellung mit Maria-Anna Schulze Brüning am Mittwoch, 25. Oktober, 20 Uhr, Mediathek Müllheim.

Ressort: Müllheim

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