Flieger zum Falten
Papierflugzeugbau ist Hightech – vor allem, wenn man ins All will / Von Claudia Füßler
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Auf die Idee, aus Kinderei und Vorlesungssport mal einen ernsthaften Wettkampf zu machen, kam der Energiedrink-Hersteller Red Bull. Wicke, der durch sein Luft- und Raumfahrtstudium an der Technischen Universität sozusagen prädestiniert war für die Teilnahme, setzte sich mit Freunden und ein Paar Packen Papier hin und tüftelte an der optimalen Faltung. Das Ergebnis: Sein Siegerflieger flog den deutschen Rekord mit 34,82 Meter ein, eine Strecke so lang wie ein halbes Fußballfeld.
Das lag keinesfalls an günstigen Winden, denn geworfen wird in einer Halle, um gleiche Bedingungen für alle Teilnehmer garantieren zu können. Vielmehr, so ist sich Wicke sicher, habe er seinen ersten Platz einer ausgefeilten Wurftechnik zu verdanken. "Der Abwurfwinkel darf nicht zu steil sein, so 35 bis 40 Grad", erklärt er. Wird der Flieger steiler auf den Weg geschickt, gewinne er zwar an Höhe, nicht aber an Weite. Außerdem komme es darauf an, nicht nur aus dem Handgelenk zu werfen, sondern mit dem ganzen Arm Schwung zu holen. "Eigentlich genau so wie beim Speerwerfen", sagt Wicke.
Soll ein Flieger weit kommen, muss er richtig gefaltet sein. Zunächst einmal ist Symmetrie das Allerwichtigste, sonst legt sich die Papierkreation zu häufig in die Kurve. "Jeder Schlenker ist verlorene Strecke", gibt Wicke die Parole für die Langstreckenflieger aus. Die Langzeitflieger hingegen dürfen gerne gewunden, in Salti oder wildem Zickzack durch die Luft düsen, Hauptsache, sie bleiben so lange wie möglich in der Luft. Die Baugrundregeln für diese beiden Disziplinen lauten: Soll das Papier möglichst weit kommen, muss der Flieger pfeilförmig gefaltet sein. Geht es aber darum, Sieger im Zeitfliegen zu werden, muss das Luftgefährt mit möglichst großen Tragflächen versehen werden. "Damit ist die Grenze klar gezogen", erklärt Wicke, "ein Papierflugzeug mit großen Tragflächen kann nicht geradeaus fliegen." Also hat der Student, der in seiner Freizeit oft im Segelflieger sitzt, einen besonders richtungsstabilen Flieger mit 20 Falzen konstruiert. Dabei ist Falz nicht gleich Falz. "Scharf machen" sagt man, wenn ein Falz besonders stark gefaltet wird. Das sollte man zwingend bei jedem Mittelfalz tun, "sonst klappt der Flieger auseinander", sagt Wicke. Warum aber sieht ein Papierflieger so anders aus als ein echtes Flugzeug? Aus aerodynamischer Sicht braucht es zum Fliegen nur die Tragflächen. Die Klappen an der Hinterkante eines Papierflugzeugs erfüllen den gleichen Zweck wie die Heckklappen bei einer Boeing: Sie senken die Nase zum Beschleunigen oder heben sie zum Bremsen. In der kommerziellen Luftfahrt stabilisieren sie zusätzlich das Flugzeug bei Gewichtsverlagerungen, die zum Beispiel schon dadurch entstehen, dass Treibstoff verbraucht wird. Da im Papierflieger niemand umherläuft, sind Heckklappen auch kein Faltmuss. Aber aufgestellte Heckklappen können hier den durch die Nase sehr weit vorne liegenden Schwerpunkt ausgleichen.
Der Rumpf hat keinerlei flugrelevante Funktion, er nimmt einfach Gepäck und Passagiere auf, kann beim Papierflieger also komplett entfallen. Eine rumpfähnliche Falte allerdings, die auch zum Halten des Fliegers dient, erhöht die Stabilität. Damit der Superflieger möglichst lange in der Luft bleibt, wären lange und schmale Flügel von Vorteil. Dass Papierflieger dennoch hauptsächlich kurze Tragflächen haben, hat praktische Gründe: Papier ist kein gutes Baumaterial und kurze Flügel sind leichter zu falten.
Ein Flieger – egal ob aus Papier oder Hightech-Material – ist generell vier Kräften ausgesetzt: Auftrieb, Schwerkraft, Luftwiderstand und Schub. Damit es keine Abstürze gibt, muss die Schubkraft größer sein als der Luftwiderstand und der Auftrieb stärker als die Schwerkraft, die von der Masse des jeweiligen Fliegers abhängt. Naturwissenschaftliche Kinkerlitzchen, die jeder Physikstudent in den ersten Semestern berechnen kann.
Der Japaner Takua Toda hat daher den Schwierigkeitsgrad erhöht: Sein Flieger soll von der Raumstation ISS aus zur Erde gleiten. Mit Stummelflügeln, abgerundeten Ecken, einer steilen Nase und imposantem Leitwerk. Rund 3000 Blatt Papier, schätzt Toda, hat er dafür verfaltet, um schließlich diesem Modell die idealen Flugeigenschaften zu attestieren. Toda ist in seiner Heimat ein Star mit eigener Fernsehshow, in der er vor Millionen Zuschauern in Sekundenschnelle Papier in Giraffen, den Eiffelturm oder eben Flugzeuge verwandelt. Origami heißt dieser Volkssport im Abendland.
Seine Idee ist nicht neu, seit Jahren schon handelt er sich dafür einigen Spott ein. Erst als jetzt sein auf den Namen Orispace getaufter Prototyp einen Testflug im Überschallwindkanal der Universität Tokio überstand, horchten Wissenschaftler auf. Freilich können für Todas Weltraumgleiter keine irdischen Regeln gelten, immerhin muss das fragile Konstrukt mit Temperaturen bis zu 200 Grad und Geschwindigkeiten bis Mach 7, also bis zu 8600 Stundenkilometer fertigwerden.
Deshalb wird der etwa 20 Zentimeter kleine und 15 Gramm leichte Orispace aus Spezialpapier aus Zuckerrohrfasern gefaltet. Bei der Herstellung wird dem Papier zusätzlich Silikon beigemischt, große Hitze sollte damit kein Problem mehr darstellen. Brennen würde es bei 220 Grad. Doch weil der Flieger Todas Berechnungen zufolge nur ganz langsam Richtung Erde segeln wird, wenn er wie geplant 2010 von der ISS aus auf 200 Kilometer Höhe seine Reise antritt, dürften ihm die entstehenden Reibungskräfte nichts anhaben. In dieser Höhe ist der Raum nahezu luftleer, Orispace wird sich eher taumelnd als fliegend auf seinen Heimatplaneten zubewegen. Doch je näher er der Erde kommt, umso dichter werden die Schichten der Atmosphäre, und hier, so hofft Toda, wird es dem Flieger gelingen, sich selbst zu stabilisieren.
Zur Unterstützung hat der Japaner sogar ein Origami-Sakrileg begangen und zwecks Stabilisierung eine Handvoll Klebestreifen eingebaut. Orispace wird nicht alleine unterwegs sein: Der Origami-Meister will zur Sicherheit gleich 20 Gleiter losschicken. Und für den Fall, dass tatsächlich einer a) auf der Erde ankommt und b) von jemandem entdeckt wird, werden Aufschriften in mehreren Sprachen die Geschichte vom Orispace erzählen und um Benachrichtigung bitten.
Kai Wicke würde gern zu denjenigen gehören, die einen Toda-Flieger finden. Allein, es fehlt ihm der Glaube. "So cool und witzig die Idee ist, ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es funktioniert", sagt Wicke. Tests hin oder her, keiner könne berechnen, was Orispace in den vorausgesagten drei bis 365 Tagen Flugzeit im Weltraum widerfahre. "Ich glaube nicht, dass ein Papierflieger das überstehen kann." Vielleicht sollte Takua Toda vorm Start der Orispace-Gleiter ein weiteres Gebot der Papierflugzeugbauer verinnerlichen: Hänge nie dein Herz an das frisch Gefaltete. Denn nichts ist ewig auf der Welt, erst recht kein Papierflieger.
http://brain.exp.unvie.ac.at /
ypapierflieger/papfs.htm
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