Ey, Leute: Im Stall da geht was!

Wer sagt denn, dass das Christkind ein blondgelocktes blauäugiges Baby war? Und dass Maria und Josef ohne Zoff am Weihnachtsabend auskamen? Sechs jugendliche AutorInnen haben ihre Variation zur Weihnachtsgeschichte aufgeschrieben.  

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W ir schreiben das Jahr 2004: Im Dezember machen sich Josef und Maria auf den mühsamen Weg von Nazareth in Israel nach Bethlehem im Westjordanland. Zwischen den Palästinensergebieten und Israel ist eine Sperranlage aus Beton und Stacheldraht auf den Fels gesetzt, wohl wissend, dass jede Politik, die Menschen durch Zäune und Mauern trennt, letztlich auf Sand gebaut ist. Doch bleibt die Gewissheit für die Menschen in Israel, dass immer wieder Palästinenser mit Sprengstoffgürteln über die Grenze gehen. Nach quälend langem Warten an den Checkpoints erst spätabends in Bethlehem angekommen, finden Maria und Josef keinen Platz in einem Hotel, obwohl es dort genügend gibt: alles zu teuer. Die Palästinenser selbst fehlt es - eingepfercht in Flüchtlingslagern - an allem. Seit Jahrzehnten leben sie ohne Zukunftsperspektive in ständigem Kriegszustand. Bis vor wenigen Jahren kamen dennoch die Pilger in Scharen in die Stadt und ermöglichten den Menschen ein Auskommen. Heute kommen nur noch wenige. Und alle leben in getrennten Welten: die Palästinenser, die Juden, die Pilger. Doch heute Nacht sind sie an diesem Ort vereint. Maria bekommt einen Sohn. Und etwas verbindet in dieser Nacht sie alle mit Maria und Josef: die Hoffnung, dass ihre Kinder einmal eine andere Welt erleben werden, ohne Sperrzäune und Sprengstoffanschläge. Gerade das Land dessen Hauptstadt drei Religionen als heilig gilt und das in 2000 Jahren soviel Kummer und Leid erlebt hat, braucht diese Hoffnung zu Weihnachten 2004 dringender denn je: "Friede sei den Menschen auf Erden!". So steht es geschrieben, seit fast 2000 Jahren.

Carl-Leo von Hohenthal



M uss denn das Kind die ganze Zeit schreien?" - "Es friert. Und besonders gemütlich ist es hier wahrlich nicht." - "Du bist ja gerade selber schuld, das wir hier gelandet sind." - "Was willst du denn damit sagen?" - "Erst kommen wir nicht voran, weil du jammerst, dass dir deine Füße wehtun und dann bekommst du auch noch die Wehen." - "Aber dafür kann ich doch nichts. Jetzt lass uns bitte nicht streiten, es ist doch Weihnachten." - "Wer sagt denn, dass ich streiten will? Ich möchte nur, dass das Kind aufhört zu schreien." - "Vielleicht würde er schon längst schlafen, wenn du etwas liebevoller zu unserem Sohn wärst." - "Unser Sohn? Das ist dein Sohn, ich habe damit absolut gar nichts zu tun." - "Ich finde dich ungerecht. Du greifst mir gar nicht unter die Arme." - "Das ist doch die Höhe. Ich schufte den ganzen Tag hart für unser Überleben, während du daheim auf der Couch den Herrgott empfängst und auf der Reise schleppe ich für dich den schweren Rucksack. Und was machst du: jammerst die ganze Zeit, deine Füße tun noch weh und dann bekommst du die Wehen . . ." - ". . . und mein werter Herr Gemahl ist nicht mal in der Lage, uns eine anständige Unterkunft zu besorgen . . ." - ". . . die wir sehr wohl ein paar Kilometer weiter bekommen hätten, wenn du nur schneller gelaufen wärst. Mit deinem Rumgezeter vermiest du mir gerade meine weihnachtliche Stimmung!" - "Dann lass uns endlich aufhören zu streiten." - "Ja, das sage ich doch die ganze Zeit. Aber warum muss denn das Kind schon wieder schreien?"

Holger Koepcke



S tellt euch vor, es ist Weihnachten und keiner merkt's. In dem Stall in Bethlehem, in dem das junge Paar für die Nacht Unterschlupf gefunden hat, wird ein Kind geboren. "Ein Junge!", freut sich die Mutter und vergisst über ihrer Freude bald den verwirrenden Traum, den sie einige Nächte zuvor hatte, als eine Stimme zu ihr sprach und ihr ankündigte, dass in der Zukunft große Taten von ihrem Kind zu erwarten seien. (Das hatte sie sich sowieso gewünscht.) Die Hirten haben ihre Schafe schon lange von der Weide getrieben und sind nach Hause gegangen - so finden die himmlischen Heerscharen, die den Auftrag haben, die Geburt des Heilands zu verkünden, nur ein abgegrastes Feld vor und müssen unverrichteter Dinge wieder umkehren.

Caspar, Melchior und Balthasar merken eines Morgens, dass sie den Stern verloren haben, dem sie folgen sollen. Und es bleibt ihnen nichts übrig, als Weihrauch und Myrrhe wieder nach Hause zu tragen. Schön für das Kind! Es darf unbehelligt in seiner Krippe liegen; kein fremder Besuch, keine himmlischen Fanfaren stören das Familienglück. Nur Ochs und Esel scharren mit den Hufen und denken sich dabei ihren Teil - vielleicht ahnen sie, welche Zukunft dem Kind bevorgestanden wäre, hätten Gottes beutungsvolle Fingerzeige ihr Ziel erreicht! Nun aber scheint Gott sich einen anderen Botschafter suchen zu müssen. Denn der kleine Jesus wird heranwachsen und gedeihen, schlafen, essen und schreien wie andere Kinder auch, sich mindestens einmal an einem Kochtopf die Hand verbrennen, sich beim Baden im Meer zu weit ins Wasser vorwagen, einige Kinderkrankheiten durchstehen, irgendwann einmal Mädchen hinterherschauen und nebenbei Maurer, Tischler oder vielleicht auch Priester werden. Aber weder er noch die restliche Menschheit werden je erfahren, was Gott eigentlich mit ihm vor hatte. Was würden wir dann eigentlich heute tun?

Kathrin Hagemann



J ungfrau Maria und Josef wird es warm ums Herz in der kalten Winternacht zu Bethlehem, als sie auf ihr Neugeborenes blicken. Sie sind von der Schönheit ihres Kindes geblendet, das ihnen aus tief dunkeln Augen - schwarz wie die Heilige Nacht - entgegenblinzelt. Die Sterne werfen einen blassen Lichtschimmer auf Jesus Christus, das Kind in der Krippe. Maria wickelt ihren Sohn in Windeln und streichelt entzückt seine ebenholzfarbene Babyhaut. Das Weiß in seinen Augen leuchtet in der Nacht, wie der Stern von Bethlehem, der draußen den Hirten den Weg weist. Noch nie haben Josef und Maria ein so dunkles Kind zu Gesicht bekommen. Entsprechend erstaunt sind sie jetzt. Den Hirten, noch geblendet vom gleißenden Licht der Engelschöre, die gekommen sind, um den Heiland zu sehen, geht es ähnlich. Jesus schwarze kleine Händchen greifen nach dem hellen Fell der Schafe. Da nähern sich leise die Könige, Caspar, Melchior, Balthasar, dem Ruf des Traumes folgend, und der kleine Jesus streckt ihnen seine zartrosa Zunge entgegen. Gerührt jubelt da Caspar, der schwarze Fürst aus dem Morgenland: "Mein Bruder, mein König! Jah bless ya!"

Johannes Evers



D ie Gebärmutter senkt sich, ein wehenartiges Ziehen lässt den Atem schneller werden. Hals der Gebärmutter und äußerer Muttermund weiten sich langsam, werden astronomisch groß und der Pfropf, der den Eingang des Uterus abfiltriert, lockert sich rhythmisch. Unregelmäßige Kontraktionen lassen blutigen Schleim austreten. Die Schmerzen werden größer, die Umwelt verschwimmt, Stimmen dringen nur noch als einzelne Vokallaute zu Maria hin. Sie stöhnt. Die Gebärmutter dehnt sich nun bis zur äußersten Grenze. Schrittmachend wirkt dabei der Druck der noch in Blase und Fruchtwasser gehüllten Frucht. Und dann reißt sie. Sie hält den Atem an, nimmt das Kinn an die Brust und drückt mit der Bauchmuskulatur aus allen Kräften nach unten. Dabei werden die weichen Deckschichten auf den Beckenboden gestoßen und durch die engen Raumverhältnisse so gestaut, dass eine Beule entsteht, die das Scheidengewebe sichtbar macht: der Kopf schneidet ein. Josef hält Marias Hand. Das vorwärts strebende Kind streckt sich aus der extremen Beuge, es wird mit dem Nacken um die Symphyse herumgehebelt, nacheinander tritt Hinterhaupt, Vorderhaupt, Stirn und Gesichtsfläche und der kleine Körper zutage. "Es ist ein Mädchen!", sagt Josef und lächelt.

Eva M. Müller



A lso, wenn ihr mich fragt, haben die nicht mehr alle Tassen im Schrank, diese drei Könige. Angeblich sind sie aus dem Morgenland einem Stern gefolgt, um mir zu huldigen. Und jetzt stehen sie hier und schauen zu mir runter als wäre ich der Messias persönlich. Und wollen mir Geschenke bringen, Gold, Weihrauch, Myrrhe. Ich glaube, die haben selbst ein bisschen zu viel Weihrauch inhaliert - schließlich stehen sie hier in einem abgewrackten Stall, zusammen mit meinen Eltern und ein paar Tieren. Und die ganze Zeit reden alle von einem "Wunder", dem "Heiland", und von "Gottes Sohn". Mich können sie damit ja wohl kaum meinen. Unwahrscheinlich, dass ein waschechter Wunderknabe in einer Futterkrippe liegt, die bis vor ein paar Stunden noch die Festtafel eines Ochsen und eines Esels war, oder? Und dann diese Hirten, die vorhin da waren. Haben wirres Zeug erzählt, von einem "Engel", der sie hergeschickt hat, und auch von diesem ominösen "Gott" war die Rede. Ich vermute ja, die haben sich einfach in der Tür geirrt. Oder die Einsamkeit auf der Weide bekam ihnen nicht. Wie dem auch sei, Leute, in diesem Stall geht heute Abend was. Ich möchte sowieso mal wissen, warum meine Mama Maria mich nicht in einer gemütlichen Herberge zur Welt gebracht hat. Diese Hütte ist ja echt das Letzte. Ganz klar: Sollte ich wirklich zu Großem berufen sein, kann es von jetzt an nur noch bergauf gehen. Oder zumindest kann es nicht mehr schlimmer kommen. Hoffe ich.

Christoph Sprich

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