BZ-Interview

Experte erklärt, warum er den Begriff des Bienensterbens nicht mag

Peter Rosenkranz, Leiter der Landesanstalt für Bienenkunde, erklärt, dass wildlebende Honigbienen schon längst ausgestorben sind. Ein Schicksal, das ihren gezüchteten Artgenossen wohl nicht bevorsteht.  

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Wunderschön und unersetzlich für die Landwirtschaft: die Honigbiene. Foto: dpa
Die Biene ist das Symboltier für eine Wende in der Agrarwirtschaft geworden, die Politik hat den Sympathieträger für sich entdeckt, um für den Arten- und Umweltschutz zu werben. So wird am 20. Mai zum ersten Mal der internationale Bienentag begangen. Ein Grund für die aktuelle Prominenz der Biene ist das vielzitierte Bienensterben. Ein Begriff, mit dem Peter Rosenkranz, Leiter der Landesanstalt für Bienenkunde in Hohenheim, seine Schwierigkeiten hat. Warum das so ist, wollte Katharina Meyer von ihm wissen.



BZ: Herr Rosenkranz, der Bienenschutz ist in aller Munde – vor allem wegen des Bienensterbens. Doch Sie wehren sich gegen den Begriff.

Rosenkranz: Er ist irreführend. Weil die Leute nicht definieren, was sie unter Sterben verstehen. Und weil sie nicht definieren, was sie unter Bienen verstehen.

BZ: Können Sie uns da weiterhelfen?

Rosenkranz: Es gibt ein Insektensterben. Und auch die Wildbienen gehen zurück. Das ist dramatisch und auch belegt. Honigbienen haben natürlich ähnliche Probleme wie Wildbienen. Etwa wenn sie kein Futter finden können, weil die Landschaft immer weniger hergibt. Aber sie können mit kargen Zeiten als Riesenvolk viel besser umgehen: Sie sammeln in größerem Umfang Nahrung, betreiben, anders als die meisten Insekten, Vorratshaltung. Und dann gibt es ja noch den Imker. Er sorgt dafür, dass die Bienen nur dorthin gestellt werden, wo es ihnen halbwegs gut geht. Wenn zu wenig Nahrungsangebot da ist, füttert er sie. Deshalb sind die Honigbienen diejenigen, die vom sogenannten Bienensterben als letzte betroffen sind.



"Es gibt keine wildlebende Population mehr." Peter Rosenkranz


BZ: Forscher von der Universität Cambridge haben kürzlich gefordert, Honigbienen als Nutztiere einzuordnen, nicht als Wildtiere.

Rosenkranz: Ich mag den Begriff Nutztier für die Biene nicht. Aber tatsächlich ist sie es in Mitteleuropa. Denn es gibt praktisch keine wildlebende Population mehr. Honigbienen sind de facto ausgestorben. Das ist schon dramatisch. Nur verschwinden sie eben nicht ganz, weil wir Imker haben. Auf der anderen Seite gibt es in Süditalien, in Südfrankreich und in den Tropen noch Bienenvölker, die wild leben. Die Honigbiene kann also relativ schnell wieder wild leben, wenn wir die Bedingungen dafür schaffen.

BZ: Seit wann gibt es denn hierzulande keine wilden Honigbienen mehr?
Rosenkranz: Dazu gibt es keine Daten. Vor 250 Jahren war die Zeidlerei ein Beruf, eine Zunft: Da sind Leute in den Wald gegangen und haben Honigjagd betrieben. Es hat wohl damals so viele wilde Bienenvölker gegeben, dass Menschen davon leben konnten. Ich denke, dass sich das zu Beginn des 19. Jahrhunderts geändert hat. Der Landverbrauch stieg, in der Landwirtschaft gab es weniger Brachflächen, der Wald wurde besser bewirtschaftet, wodurch die Nistplätze in den Baumstämmen verloren gegangen sind.

BZ: Luchs, Biber und Wolf kehren nach Deutschland zurück. Gibt es denn auch Versuche, Bienen wieder auszuwildern?

Rosenkranz: Es gibt Überlegungen, in bestimmten Naturparks und Unesco-Schutzgebieten wieder Bienenpopulationen zu etablieren. Also in Gebieten, wo man wenig Forstwirtschaft betreibt. Es gibt außerdem von Seiten der Naturschützer und der Bioimker Initiativen, zu verfolgen, wo es in Deutschland wilde Schwärme gibt. Denn es gibt immer wieder einzelne Schwärme. Aber die sterben fast alle am Befall mit Bienenparasiten und anderen Krankheiten.



"Dass regelmäßig Völker durch Pestizide eingehen, lässt sich nicht belegen." Peter Rosenkranz


BZ: Wir haben nun schon lange über das Bienensterben gesprochen und sie haben das Wort Pestizide nicht einmal erwähnt. Vor kurzem sind mehrere Mittel aus der Klasse der Neonicotinoide in der EU verboten worden – mit der Begründung, dass sie Bienen schaden. Ist deren Einfluss überbewertet worden?

Rosenkranz: Das ist tatsächlich so. Natürlich sind die Neonicotinoide giftig, und man kann damit sehr leicht Bienen umbringen. Aber de facto ist es so, dass die Bienenvölkerzahl schon zugenommen hatte, bevor der Bann dieser Pestizide kam – einfach, weil es wieder mehr Imker gibt. Dass regelmäßig Völker durch Pestizide eingehen, lässt sich nicht belegen. Große Völker können die Effekte von Pestiziden relativ gut abpuffern. Bei den meist solitär lebenden Wildbienen ist das eine ganz andere Geschichte. Dazu gibt es keine guten Daten, aber ich würde unterstellen, dass die Effekte hier deutlich größer sind. Wobei auch hier die Dinge komplizierter – und schlimmer sind: Die Zahl der Insekten geht nämlich auch in Naturschutzgebieten zurück. Ich denke, dieser Rückgang an Insekten und auch das Bienensterben ist eine Mischung aus vielen Dingen, die unsere Landschaft zum Nachteil verändert haben. Die Ressourcen für Insekten werden immer weniger.

BZ: Das Fazit: Es gibt ein Wildbienensterben und wildlebende Honigbienen sind hierzulande ausgestorben. Nur das viel zitierte Honigbienensterben gibt es nicht.

Rosenkranz: Was dieses Bienensterben bei Honigbienen angeht, das alle Politiker, alle Medien so massiv erreicht hat – da verdreht man als Wissenschaftler manchmal ein bisschen die Augen. Aber da man sich deutlich schwerer tut, mit Schwebfliegen und Schmetterlingen so viel Aufmerksamkeit zu erreichen, kann ich gut damit leben, dass man die Probleme an den Honigbienen festmacht. Immerhin kommt das Thema jetzt langsam in der großen Politik an. Es wurden 30 Millionen Euro ausgelobt für Maßnahmen gegen das Insektensterben. Ich denke, das wäre nicht passiert, wenn wir nicht über Jahre diese Debatte um das Bienensterben gehabt hätten.
Peter Rosenkranz (60) leitet seit 1994 die Landesanstalt für Bienenkunde an der Universität Hohenheim.
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