"Es ist kein leichtes Leben im Internet"
FUDDER-INTERVIEW mit Eric Jarosinski, dem Mann hinter dem pessimistisch-philosophischen Twitter-Account @NeinQuarterly.
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Auf Twitter ist Eric Jarosinski eine Kultfigur. "I write jokes on the internet", behauptet der 44-Jährige, der sich NeinQuaterly nennt und hinter dem Antlitz Adornos versteckt. Tatsächlich schreibt der Germanist Aphorismen über den NSA-Skandal oder deutsche Innenpolitik. Daniel Laufer hat mit ihm über Deutschland, Einsamkeit und die Solarsiedlung in der Vauban gesprochen.
Jarosinski: Ich war nie ein großer Deutschland-Fan. Es ist aber ein sehr interessantes Land, auch die Welt findet das. Wie wir die Moderne definieren und kennen, hat viel mit der Erfahrung in Deutschland zu tun. Ich war dort zum ersten Mal mit 19 und seitdem fast jedes Jahr. Es gibt so viele Klischees, was die Wahrnehmung von Deutschland angeht, vor allem in Amerika. Ich bin jetzt fast Mitte 40 und habe verschiedene Phasen von Deutschland-Bildern und Amerika-Bildern miterlebt. Wenn man beobachtet hat, wie sich das Klima zwischen diesen Ländern verändert, kann man dazu etwas sagen. Man hat eine Perspektive.
Fudder: Sie haben eine Zeitlang in Freiburg studiert.
Jarosinski: Ja, 2000 war ich für sechs Monate in Freiburg und seither immer wieder. Ich habe Freunde aus der Studienzeit, die bei der Solarsiedlung wohnen. Im August habe ich sie besucht. "Das ist schon Lebensqualität”, sagen sie über Freiburg immer. Ich freue mich auf das Jos Fritz, das war meine Lieblingsbuchhandlung. Insofern finde ich es toll, dass meine Lesung dort stattfindet.
Fudder: Was machen Sie, wenn Leute zu Ihren Lesungen kommen, die keine Ahnung von Twitter haben?
Jarosinski: Ich erkläre, was ich mache und was die Möglichkeiten von Twitter sind. Manchmal geht es um die deutsche Sprache, um Literatur, manchmal um das Handwerk des Schreibens, manchmal auch um größere politische Themen, um Europa und Amerika. In diesen Gebieten bin ich kein Experte. Ich entwickle aber eine gewisse Sensibilität für die Sprache, die sie umgibt. Wenn ich Fernsehnachrichten schaue, frage ich mich: Was ist Thema der Woche? Gibt es ein Wort, das heraussticht? Dann versuche ich, mit den Werkzeugen der alten Literaturwissenschaftler etwas daraus zu basteln.
Fudder: Gerade auf Twitter werden aus Kleinigkeiten gerne mal Shitstorms. Sie nennen sich ja auch "Nein” – suchen die Leute einfach das Negative und fahren deshalb so auf Ihre Tweets ab?
Jarosinski: Diejenigen, die meine Texte lesen und sie nur für negativ halten, bleiben nicht lange dabei. Mir ist es wichtig, dass man einerseits den Schwarzseher hat, andererseits aber auch die Freude an der Sprache erkennt. Eine Aussage mag negativ sein, trotzdem aber hoffnungsvoll formuliert. Vor zwei Jahren habe ich Sascha Lobo kennengelernt. Er war mir eine große Hilfe, als es darum ging, in Deutschland Fuß zu fassen. Was ich mache, hat er "eine liebevolle Kritik” genannt. Das sei etwas, was den Deutschen gerade sehr fehle: dass man etwas Kritisches sagen kann, ohne es gleich besser wissen zu wollen. Es ist ja kein leichtes Leben im Internet. Ich habe noch nie so viel Zeit alleine verbracht wie in den letzten vier Jahren. Ich bin alleine mit meinem Smartphone oder meiner Freundin, die sehr lange Arbeitsstunden hat.
Fudder: Auch mit Ihrer Freundin sind Sie noch alleine? Das klingt ja ein bisschen tragisch.
Jarosinski: Ich will das nicht Überdramatisieren. Das Twitter-Leben kann aber viel kaputtmachen – im Real-Life. Wenn man die Hälfte des Tages in einer Halbfantasiewelt lebt, verwechselt man bestimmte Dinge manchmal. Man ist nicht völlig präsent, wenn man ständig am Handy hängt. Das habe ich jahrelang viel zu viel gemacht. Eine gute Beziehung habe ich regelrecht zerstört – und versucht, daraus zu lernen.
Fudder: Sitzen Sie beim Twittern daheim oder gehen raus, joggen und tippen zum Beispiel in der Schlange im Supermarkt?
Jarosinski: Meistens bin ich zu Hause. Wenn ich etwas Tapetenwechsel brauche, gehe ich spazieren. Ich wohne in Midtown Manhattan. Da laufe ich den Broadway rauf und runter und schreibe ein bisschen was. Früher, als es sehr schlimm war, habe ich an Ampeln nicht richtig aufgepasst. Irgendwie war mir der nächste Hegel-Witz wichtiger als mein Leben. So etwas versuche ich jetzt zu vermeiden.
Fudder: Wie wird man auf Twitter erfolgreich?
Jarosinski: Das hängt davon ab, wie man Erfolg misst. Wie schnell man Follower findet, ist für mich aber kein Maßstab. Anfangs muss man sie gezielt suchen. Ich habe das als Spiel betrachtet und versucht, Witze zu schreiben, die berühmte Komiker gut finden und retweeten, also weitergeben würden. Michael Moore hat dann einen meiner Tweets mit seiner Million Follower geteilt. Ich glaube, es war irgendein Kafka-Witz. Da haben mir gleich 500 Menschen mehr gefolgt. Das war wie ein Rausch.
Fudder: Sie hatten früher eine Assistenzprofessur an einer Eliteuniversität in Pennsylvania. Was ist passiert?
Jarosinski: Letztes Jahr im Sommer lief mein Vertrag aus. Ich war nie zufrieden mit meiner eigenen akademischen Arbeit – das ist tödlich. Lieber wollte ich Tweets schreiben. Kurz nach Vertragsende habe ich mit meiner Mutter telefoniert und zu ihr gesagt:"Naja, das ist das Ende der Uni." Ich versuche jetzt, so durchzukommen…I write jokes on the internet, so nenne ich das meistens. Sie antwortete: "Ja, das klingt eher nach dir." Das war schon eine wichtige Bestätigung. Ich hatte ihr nie von meinem Twitter-Ding erzählt!
Performance und Diskussion: 23. September, 20.30 Uhr, Jos-Fritz-Café, Freiburg.
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