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Tokio Hotel

Es blieb nur die Flucht: Bill Kaulitz und sein Buch über das Leben als Teenie-Star

Er war ein Teenie-Idol – heute sieht sich Bill Kaulitz, Sänger der Band Tokio Hotel, als Überlebender aus der Stalker-Hölle. So schreibt es der 31-Jährige in der Autobiografie "Career Suicide".  

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Wie eine wilde Horde: Bill Kaulitz und Fans im Jahr 2007 Foto: imago stock&people
Das 400-Seiten-Werk, das am Montag im Verlag Ullstein erscheint, beginnt mit der Zeugung der Zwillingsbrüder Bill und Tom an Silvester 1988. Sie entstehen bei einem One-Night-Stand ihrer eigentlich getrennten Eltern. Als frühreife, abgeklärte Jungen seien sie aufgewachsen, denen Kindergarten und Schule so gar nicht passten. Die Karriere ist der Weg raus aus dem banalen, ärmlichen Alltag. Zugleich gehen Freiheit und Selbstbestimmtheit mit einem Schlag verloren und bleiben es auf viele Jahre.

Das Vorwort zum Buch hat der Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre (45) geschrieben, selbst nicht arm an Grenzerfahrungen: "Was sie da getan haben und tun, Superstars werden und sein, man bezahlt es so oder so mit dem eigenen Leben: Die Kunstfigur ist Rettung und Verderben, war das Ticket hinaus aus der Bushäuschen-Enge von Magdeburg Loitsche..." Zurück blickt der exzentrische Kaulitz in seinem Buch von seinem Traumhaus in den Bergen von Hollywood aus. Dort sitzt er. Selten habe er sich so einsam gefühlt. Ausrufezeichen. Die Corona-Pandemie hat die Südamerika-Tour ausgebremst. Inzwischen wird über die Kaulitz-Zwillinge eher im Zusammenhang mit Toms Gattin Heidi Klum berichtet als im Zusammenhang mit ihrer Band.

Rund 100 Seiten gehen bei Kaulitz für die Kindheitserinnerungen drauf. Die Brüder kamen früher als all die anderen Kinder ohne Windeln aus, das Kinderzimmer war reinlich und organisiert. Mobiles Basteln und Malen mit Wachsmalstiften im Kindergarten sei nicht so ihr Ding gewesen, lieber hätten sie mit den Schulkindern von nebenan abgehangen. Dann hält die Musik Einzug. Der neue Freund der Mutter taucht mit einer roten E-Gitarre auf, die Zwillinge fangen Feuer. Inspiration bringen die Kindheitshelden Nena, David Bowie und Britney Spears. Schlagzeuger Gustav und Bassist Georg finden sich in einer Musikschule, bis heute halten sie an der Seite der Kaulitz-Zwillinge der Band die Treue.

Dann bekommen Tokio Hotel ihren ersten Plattenvertrag. "Mit dreizehn wussten wir nicht", schreibt Kaulitz, "dass wir hiermit unsere Seelen verhökern und welchen Preis wir noch zahlen würden. Karriere bedeutet ja immer auch Suizid." Musik zu machen und dafür auch noch bezahlt zu werden, das habe ihnen damals gereicht. Die fette Kohle hätten andere verdient, Produzenten, Plattenfirma. Die Debütsingle "Durch den Monsun", Auftritte weltweit, gespielt bei MTV, Preise über Preise.

Bald fühlt sich Kaulitz prostituiert, wie er schreibt. Er muss einen 16. Geburtstag mit Medien feiern und sich verstecken vor übergriffigen Fans. Tokio Hotel hat immer polarisiert, von den einen geliebt, von den anderen gehasst. Kaulitz erinnert sich an einen Auftritt in der Arena Oberhausen. "Es hörte sich an, als ob alle 60 000 Menschen unseren Auftritt niedergeschrien hätten – kein rekordverdächtiger Jubel. Es war, als würde eine wilde Horde über uns herfallen, und weit und breit keiner, der uns einen Rettungsring zuwirft." Kaulitz beschreibt noch weitere Vorfälle, in denen nur die Flucht mit den Securityleuten blieb.

Nach sechs Jahren Höchstgeschwindigkeit wollte er wieder der Architekt seines eigenen Lebens werden. Ein Burnout habe hinter ihm gelegen, eine Karriere. Trotzdem sei er zu schüchtern gewesen, um sich im Restaurant etwas zu bestellen. Bis Mitte 20 habe er nicht gewusst, wie man für einen Flug eincheckt, obwohl er so ziemlich jeden Flughafen der Welt gesehen hatte.

Angekommen ist Kaulitz in 30 Jahren nicht wirklich. Die große Liebe habe er nicht gefunden. Sein Zwillingsbruder Tom ist mit Heidi Klum verheiratet, Schlagzeuger Gustav hat Frau und Tochter, Bassist Georg lebt mit langjähriger Freundin in Berlin. "Und ich? Ich bin irgendwie immer noch hier und jage meinen Traum. Alleine. In meinem Haus in den Hollywood Hills. So weit entfernt wie nur möglich von dem Ort, von dem ich einmal kam."

Ressort: Panorama

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 30. Januar 2021: PDF-Version herunterladen

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