Account/Login

Ein Ort, den man nicht so schnell vergisst

Schüler des Geschwister-Scholl-Gymnasiums besuchten das ehemalige Konzentrationslager Natzweiler-Struthof im Elsass.  

Wir benötigen Ihre Zustimmung um BotTalk anzuzeigen

Unter Umständen sammelt BotTalk personenbezogene Daten für eigene Zwecke und verarbeitet diese in einem Land mit nach EU-Standards nicht ausreichenden Datenschutzniveau.

Durch Klick auf "Akzeptieren" geben Sie Ihre Einwilligung für die Datenübermittlung, die Sie jederzeit über Cookie-Einstellungen widerrufen können.

Akzeptieren
Mehr Informationen

WALDKIRCH/ELSASS. Im Rahmen des Bildungstages, der am Geschwister-Scholl-Gymnasium jedes Jahr stattfindet, besuchte dieses Jahr ein Teil der Klassenstufe 12 das ehemalige Konzentrationslager Natzweiler-Struthof im Elsass. Das KZ Natzweiler, wie es offiziell genannt wurde, war kein Vernichtungslager im engeren Sinne, sondern diente als Straf- und Arbeitslager. Traurigen Ruhm erlangte es durch die medizinischen Versuche des Professor Haagen, der an Häftlingen mit Gasversuchen, Gelbfieber und Typhus experimentierte.

Eigentlich blieb das Ganze weiterhin unvorstellbar, obwohl man an diesem Ort stand und Texte hörte, die Erfahrungen wiedergaben, die ohne besonders gut erzählt sein zu müssen, einfach dadurch, dass sie die pure Realität wiedergeben, Schauer und Gänsehaut über den Rücken jagten.

Wir lasen und hörten Texte über Häftlinge. Sie mussten beispielsweise Schubkarren zur Todesschlucht fahren und diese unter Aufsicht eines SS-Mannes abladen, der dem Arbeiter dann plötzlich ein Bein stellte. Sofern der Häftling nicht sowieso in die tiefe Schlucht stolperte (die meisten waren schon zu schwach, um noch schnell genug reagieren zu können) und durch den Sturz den Tod fand, wurde er von einem Soldat vom nächstliegenden Wachturm aus erschossen – Stolpern galt einer vorher getroffenen Absprache gemäß als "Fluchtversuch". Für einen "Treffer" erhielt der Soldat drei Tage Urlaub.
Wir unterhielten uns über die schreckliche Logik, die hinter dem System des Nationalsozialismus steckt und die für mich persönlich das Furchteinflößendste überhaupt ist. Wenn jemand einmal hineinrutscht in diese Denkweise, kommt er nicht mehr heraus, weil er sich wohlfühlt, alle seine Taten mit einem System logisch begründen kann und Schuldige für seine Probleme gefunden hat.
Eindruck hinterlassen hat bei mir ein Satz aus einem vorgelesenen Text: "Übrigens bin ich so erzogen worden." Das sagte ein angeklagter Nazi bei den Nürnberger Prozessen 1948 am Ende seines Verteidigungsplädoyers. Er habe nur Befehlen Folge geleistet. Der Satz fällt wie nebenbei und sagt doch alles darüber aus, wie charakterlos der Großteil der Deutschen damals gewesen sein muss. Dieser Mann war selbst vor dem Gericht noch von seiner Unschuld und der Normalität seines Handelns überzeugt. Auf die Idee selbst zu denken kam er weder damals noch Jahre später. Schuld waren für ihn die anderen – diejenigen, die ihn falsch erzogen hatten.
Zu solchem Denken neigen wir auch heute noch, wenn es um die Verantwortung für die Verbrechen des Nazi-Regimes unter Hitler geht. Wir sagen: Unsere Vorfahren haben die Verbrechen begangen. Was können wir dafür? Dabei sollte es heute nicht mehr um Schuld gehen, sondern darum zu verstehen, was damals passiert ist und nicht zu vergessen.
Julia Storz (18) schrieb nach dem Ausflug: "Die Gedanken, die man sich über ein solches Lager macht, bevor man tatsächlich eines besucht hat, sind auf geschichtlichen Fakten aufgebaut und dementsprechend unwirklich. Man fühlt sich nicht mit der wahren Situation und den wahren Zuständen in diesen Lagern konfrontiert.
Erst wenn man dann aus einem bequemen, beheizten Reisebus aussteigt und auf diesen Ort hinunter schaut, fängt man an "wirklich" zu begreifen.
Stacheldraht ringsherum. Doppelt und in bestimmten Abständen Wachtürme. Gefangen sein, unfrei sein - eine Vorstellung, die mich als freien Menschen erschauern lässt. Die Gefangenen von damals wären wahrscheinlich froh gewesen, wenn sie "nur" ihrer Freiheit beraubt worden wären. Ihre Körper wurden jeden Tag Qualen ausgesetzt, die man sich nicht vorstellen kann, und ihre Seelen verstümmelt, sodass bei den meisten der Lebenswille starb und den schwachen Körper mit in den Tod riss. Der Menschenwürde beraubt, litten diese Menschen, die oft nicht einmal etwas Unrechtes getan hatten, bis an ihr Lebensende. Nur wenige kamen frei. An diesem Ort zu sein, wo so viel menschenverachtende Grausamkeit herrschte, gab mir ein Gefühl von Machtlosigkeit. Ich stand an diesem Ort, wo all das passierte, und ich konnte nichts an der Tatsache ändern, dass diese schrecklichen Dinge wirklich geschehen sind. Nicht einmal der Gedanke, dass ich in ein paar Stunden wieder daheim sein würde und ich alles, was ich gesehen und erlebt hatte, theoretisch dort zurück lassen könnte, gab mir ein besseres Gefühl. Mir wurde schnell klar, dass diese Bilder mich noch eine Weile beschäftigen werden.

Obwohl mich die ganze Zeit über ein unbehagliches Gefühl begleitet hat, bin ich froh, dass ich nun gesehen habe, wie es in den KZs war, denn so ist die Behauptung zu wissen, wie es damals zuging, nur noch eine kleine "Lüge". Denn so habe ich zumindest einen winzigen Einblick bekommen, der mich die Gefühle der Gefangenen zwar nicht genau nachfühlen ließ, der mir aber zumindest ein Gefühl gegeben hat, das mir kein Geschichtsbuch der Welt geben könnte."

Ressort: Zisch

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare


Weitere Artikel