Medienmüdigkeit
Dumme Handys für mehr Enthaltsamkeit: Warum sich junge Menschen bewusst gegen Smartphones entscheiden
Immer mehr junge Menschen versuchen, ihre Bildschirmzeit zu verringern. Dabei helfen digitale Tools – und die Renaissance eines längst vergessen geglaubten Kult-Handys.
Jana Ballweber (KNA)
Di, 11. Jun 2024, 20:00 Uhr
Panorama
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An der Bushaltestelle geht der Griff – ohne groß darüber nachzudenken – in die Hosentasche. Das darin befindliche Smartphone verspricht Zerstreuung, Zeitvertreib, Neuigkeiten. Auch Menschen, die sich nicht als digitale Intensivnutzer betrachten, kommen mittlerweile auf beträchtliche tägliche Bildschirmzeiten, weil sie mit Smartphone und sozialen Netzwerken Pausen füllen. Zugleich berichten immer mehr Menschen von digitaler Müdigkeit und wünschen sich weniger Mediennutzung. Nicht selten fragen sie sich, was sie mit der Zeit alles hätten anfangen können.
Nokia wirbt mit dem Slogan "Keine Apps. Kein Ärger."
Apps und Plattformen binden Nutzer bewusst – mit bunten Farben, Inhalten, die zum Weiterscrollen einladen oder Push-Benachrichtigungen. Manche Menschen setzen deshalb gezielt auf "Dumb Phones", also "Dumme Handys". Damit gemeint sind Geräte, die außer Telefonieren und SMS nicht viel können. Nokia hat beispielsweise das legendäre Modell 3210 aus dem Jahr 1999 neu aufgelegt, das damals vor allem für seine Kompaktheit und Robustheit geschätzt wurde. Die moderne Variante – statt grau gibt es das Handy nun in Schwarz, Blau und Gelb – bewirbt Nokia mit dem Slogan "Keine Apps. Kein Ärger.".
Langfristige Erhebungen, ob die Nutzungszeit bestimmter Gruppen tatsächlich sinken könnte, dürften noch eher selten sein, berichtet Stephan Humer, Professor für Internetsoziologie an der Hochschule Fresenius in Berlin. Es gebe aber aktuell viele Menschen, die mit weniger Mediennutzung experimentieren würden: "Eine Beratungsagentur hat schon vor einiger Zeit herausgefunden, dass in manchen Ländern jedes zehnte Gerät, das genutzt wird, kein Smartphone ist."
Humer glaubt aber nicht, dass die Smartphone-Askese zum Massentrend wird: "Ich vermute derzeit, dass es in eine ähnliche Richtung geht wie mit Musik und Schallplatten: ein kleiner, harter Kern, der sagt, für uns ist das eine klare Option." Und doch sei ein Aspekt besonders überraschend, denn das Phänomen der digitalen Enthaltsamkeit tauche vor allem bei jüngeren Menschen auf. "Viele haben das Gefühl, dass sie die Online-Angebote jetzt auch ein Stück weit durchgespielt haben. Sie kennen es, sie wissen, was es ist, und können ihre Nutzung dann genauer dosieren und ein bisschen herunterdimmen", sagt der Soziologe.
Bei Menschen im mittleren Alter gehe es vor allem darum, nicht mehr jeden Trend mitzumachen. Sie entscheiden sich Humer zufolge eher für eine Art Haupt-Plattform und lassen andere Angebote links liegen. Wer älter als 60 oder 65 Jahre ist, sei dagegen oftmals noch damit beschäftigt, sich das Netz in all seiner Vielfalt zu erobern.
Ein Buch lesen oder durch den Park spazieren
Den meisten Menschen, die ihre Internetnutzung einschränken wollen, gehe es zunächst einmal um soziale Medien. Wer seinen Verzicht mit einem Dumb Phone übt, könne aber noch zu ganz anderen Erkenntnissen kommen: "Man merkt dann schnell, dass man auch gar nicht mehr mit E-Mails oder bei irgendwelchen Messengern zugespamt wird und viel mehr Ruhe hat, um ein Buch zu lesen oder einfach mal durch den Park zu spazieren." Und: Erreichbar sei man ja weiterhin.
Interessant sei das auch für Menschen, die nicht wollen, dass ihr Verhalten permanent getrackt werde, sagt Humer. Denn viele Apps sind für Unternehmen in erster Linie Datensammler, die möglichst viele Informationen über ihre Nutzer speichern, auswerten und weiterverkaufen – für kostenlose Apps ist das oft das einzige Geschäftsmodell neben Werbung.
Man müsse sich die Frage stellen, ob man jeden Trend ausprobiert, den das Smartphone bietet – oder ob man auf manches verzichtet und mit den Konsequenzen lebe, etwa bei der Mobilität. Ohne Apps geht bei Carsharing, Uber & Co. gar nichts – und auch bei Bus und Bahn wird es ohne Smartphone immer schwieriger. Neben aktuellen Fahrplänen betrifft das zunehmend auch die Fahrscheine, etwa das Deutschland-Ticket und die Bahn-Card, die vielerorts fast ausschließlich digital ausgestellt werden. Dumme Handys helfen da nicht weiter.
Wer aus diesem oder anderen Gründen nicht ganz auf ein Smartphone verzichten will, dem könnten – ironischerweise – digitale Tools helfen, um die Bildschirmzeit in Zaum zu halten: Nutzer können sich selbst Zeitbegrenzungen geben oder sich detaillierter über ihre Nutzung informieren. Die App "One Sec" etwa zwingt Nutzer, einige Sekunden zu warten, bevor eine App geöffnet werden kann. Der unbewusste Griff in die Hosentasche, um die Wartezeit auf den Bus zu verkürzen, ist dann gar nicht mehr so unbewusst.
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