Neu im Kino
Die Stille als Leitmotiv: das Religonsdrama "Silence"
Keine leichte Kost serviert Starregisseur Martin Scorsese in "Silence". Es geht um die Geschichte der Jesuiten im Japan des 17. Jahrhunderts - eine Geschichte voller Verfolgung, Leid und Zweifel.
Kai Mihm
Fr, 3. Mär 2017, 0:01 Uhr
Kino
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Dennoch reisen zwei portugiesische Jesuiten ins Land: Pater Rodrigues (nicht recht überzeugend: Andrew Garfield) und Pater Garupe (Adam Driver) wollen ihren verschollenen Mentor Pater Ferreira (Liam Neeson) finden. Es heißt, er habe seinem Glauben abgeschworen und führe ein Leben als Bürger. Nach ihrer Ankunft werden die beiden von christlichen Dorfbewohnern versteckt, aber Rodrigues fällt dem Inquisitor Inoue (Issey Ogata) in die Hände. Indem Inoue Christen vor seinen Augen töten lässt, versucht er Rodrigues zur Apostasie zu bewegen. Ohne Erfolg.
Scorsese inszeniert das als eine Mischung aus Passionsgeschichte und Conrad’schem Trip ins "Herz der Finsternis". Rodrigues wird zur Jesusfigur, mit christlichen Bauern als Jüngern, darunter ein Judas, und dem Inquisitor als Pilatus. Seine Reise führt ihn durch ein mystisches Land, und wenn der verschollene Ferreira auftaucht, gleicht er Colonel Kurtz. Diese Symbolschwere kontert Scorsese mit einer in ihrer Kargheit höchst expressiven Erzählweise. Die titelgebende Stille wird zu einer Art Leitmotiv. Der Wind und die Meeresbrandung, das Rauschen von Blättern und das Knistern von Feuer bestimmen die Tonspur. Die Bilder kontrastieren Rodrigues’ theologische Sinnsuche mit den Elementen der Natur.
Wenngleich "Silence" thematisch an "Die Letzte Versuchung Christi" und "Kundun" anknüpft, ist er "Wolf of Wall Street" in mancher Hinsicht ebenso nah. Die orgiastische Körperlichkeit Jordan Belforts findet eine Entsprechung in Rodrigues’ religiöser Hingabe. Wo der Broker sich als "Master of the Universe" fühlte, sieht der Priester sich als Wiedergänger Jesu. Hier wie da erzählt Scorsese von extremen Persönlichkeiten. Seine Kunst besteht darin, die Haltungen seiner Protagonisten nachfühlbar zu machen, aber auch ihre moralische Fragwürdigkeit zu entlarven. Bei "Silence" ist das umso entscheidender, da wir es in Rodrigues mit einem religiösen Fanatiker zu tun haben: Aus "Treue" zu seinem Gott nimmt er den Tod Zahlloser in Kauf. Man stelle sich die Reaktionen auf einen arabischen Film über einen ebenso fanatischen Moslem vor.
Die Kraft von Scorseses Film liegt denn auch in der Ambivalenz gegenüber dem institutionalisierten Glauben, die er bei aufgeklärten Zuschauern auslösen muss. Je ausgefeilter die Grausamkeiten der Japaner werden, desto weniger mag man Rodrigues’ Widerstand folgen. Seine zunächst bewundernswerte Unnachgiebigkeit weicht dem Eindruck einer selbstherrlichen Verblendung. Im gleichen Zug erwächst ein Verständnis für die japanischen Statthalter, die dem römisch-katholischen Wahrheitsanspruch mit Intellektualität und fernöstlicher Philosophie begegnen. Plötzlich wirkt das Land nicht mehr archaisch, sondern bei aller Strenge kulturell verfeinert. "Silence" stellt nicht nur Sinn und Legitimität von Missionierungen in Frage. Er zeigt vor allem auch, dass Glauben keine Frage von Symboltreue ist, sondern eine Sache der individuellen Spiritualität.
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