BZ-Interview
Die Probleme und Herausforderungen ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer
Überforderung ist nur eines der vielen Probleme, mit denen sich Flüchtlingshelfer in Freiburg auseinandersetzen müssen. Ein Interview.
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Während der Flüchtlingswelle im Sommer 2015 entschlossen sich auch in Freiburg Hunderte von Menschen, den Geflüchteten spontan zu helfen. Mancher stieß dabei an seine Grenzen. Die Freiburger Vereinigung von Supervisoren (FVS) versuchte in dieser Phase, die ehrenamtlichen Helfer zu unterstützen und hat diese Arbeit nun evaluiert. Frank Zimmermann zog mit Supervisorin Sibylle Huerta Krefft Bilanz.
Huerta Krefft: Uns war schnell klar, dass sich viele Menschen im Land engagieren und dabei Probleme entstehen könnten. Als Supervisoren und Supervisorinnen arbeiten wir mit Menschen, wenn sie sich verhaken oder etwas schwierig für sie wird, ihnen zu nahe geht oder unüberschaubar wird. Auch wir wollten, zeitlich begrenzt bis Juni 2017, ehrenamtlich etwas für die Flüchtlinge tun – und zwar den ehrenamtlichen Helfern bei einer Veränderung von Perspektiven helfen, Erleichterung möglich machen, Austausch befördern.
BZ: Mit welchen Problemen kamen die ehrenamtlichen Helfer zu Ihnen?
Huerta Krefft: Es geht immer darum, wer welche Rolle in der Gruppe hat, wie man Entscheidungen regelt und mit Konflikten umgeht. Es gab in der Krise natürlich ein hohes Maß an Aufregung, inzwischen ist das alles etwas ruhiger geworden. Aber damals wurde ganz viel improvisiert.
BZ: Können Sie ein Beispiel nennen?
Huerta Krefft: Von Seiten der Helfer kamen nach etwa vier bis sechs Monaten Anfragen nach dem Umgang mit traumatisierten Menschen oder auch drohender Suizidalität. Oft verstanden sie das Verhalten der Flüchtlinge nicht, denn Traumatisierungen äußern sich nicht immer gleich. Manches war für die Helfer schwer auszuhalten. Ein ganz zentrales Thema war zum Beispiel: Wie nah kann mein Kontakt zu den Flüchtlingen sein? Und wie abgegrenzt muss er sein?
BZ: Was raten Sie?
Huerta Krefft: Als Supervisorin gibt man selbst keine Ratschläge, sondern schaut, wie die Gruppe sich gegenseitig unterstützen und selbst Lösungen finden kann. Ein Beispiel: Man kann sich ein Zweithandy zulegen, das nur eine begrenzte Zeit am Tag an ist, oder gibt grundsätzlich nie seine Nummer raus und verabredet sich einfach.
BZ: Muss man die eigene Empathie begrenzen?
Huerta Krefft: Nein, die Empathie endet nicht, man muss nur für einen guten Rahmen sorgen. Aber es ist ja auch andersherum – auch Ehrenamtliche überschreiten in ihrem Enthusiasmus und ihrem Wunsch zu helfen Grenzen von Geflüchteten. Sie nehmen dann vielleicht gar nicht wahr, ob ihre Hilfsangebote die richtigen sind, zum richtigen Zeitpunkt kommen und beim Richtigen ankommen. Es gibt auch Kulturen, in denen die Menschen nicht Nein sagen, wenn ihnen was angeboten wird. Zu lernen, zu erspüren, wann ein Ja vielleicht doch ein Nein ist und die Grenzen wahrzunehmen, das müssen auch Ehrenamtliche lernen.
BZ: Hatten viele keinerlei Vorerfahrung?
Huerta Krefft: Ja klar, sehr viele. Aber dafür ist es eigentlich toll gelaufen.
BZ: Was ist nicht so gut gelaufen?
Huerta Krefft: Es gab Ehrenamtliche, die sich über unsere Hilfe sehr gefreut haben, gerade junge Menschen, die noch nicht so viel Lebenserfahrung haben. Was machen sie, wenn sie etwas Belastendes erleben oder sich unsicher sind, welche Fragen sie den Geflüchteten stellen können und welche besser nicht? Ein großes Thema für die Helfer war Überforderung. Was aber nicht heißt, dass man die Dinge nicht lösen kann.
BZ: Wie zum Beispiel?
Huerta Krefft: Wer überfordert ist, kann einen Schritt zurückgehen und wieder eine Grenze setzen. Nehmen wir zum Beispiel die zeitliche Überforderung: Man fängt in seinen Ferien an zu helfen und stellt dann fest, dass man das neben der Arbeit so nicht weiterführen kann. Aber natürlich sind auch die Flüchtlinge überfordert: Sie müssen einen ganz neuen Kulturkreis und tausend ungeschriebene Regeln kennenlernen, ganz abgesehen von der Sprache. Das muss alles erst gelernt werden – auch, dass alles, was sie an beruflicher Ausbildung mitgebracht haben, erst einmal nichts wert ist.
BZ: Was bedeutet das für die Helfer?
Huerta Krefft: Im Schulterschluss überträgt sich das auf die Helfer. Sie brauchten selbst jemanden zum Zuhören, das können sie nicht einfach in die Tasche stecken.
BZ: Eine der Hypothesen Ihrer Evaluation lautet, dass zu viel Basisdemokratie unter den ehrenamtlichen Helfern zum Problem werden kann. Es gab auch hier in Freiburg Beispiele von sich streitenden Helfern, etwa in der Facebook-Gruppe "Flüchtlingshilfe Freiburg".
Huerta Krefft: Das ist ganz normal, das passiert, wenn sich Gruppen bilden. Schon wenn man sich das vergegenwärtigt, kann das Entspannung bringen. Am Anfang sind alle enthusiastisch, man ist höflich miteinander. Danach kommt eine Phase, in der man sich traut, mehr zu zeigen, wer man ist. Da werden dann unter den Helfern Unterschiede deutlich. Das ist komplett normal und notwendig, damit sich eine Gruppe bilden kann. Danach stellt sich die Frage, wie man mit dem Aushalten von Unterschieden umgeht.
BZ: Da sind nicht alle Helfer kompromissfähig. Es kommt zu Streit untereinander.
Huerta Krefft: Das Gute als Supervisor ist: Sie müssen nicht Stellung beziehen, sondern können von außen sehen, dass die Helfer damit beschäftigt sind, klarzumachen, welche Regeln und Werte sie haben. Und in der nächsten Phase muss ausgehandelt werden, welche Regeln und Werte man sich gemeinsam als Helferkreis gibt. An dieser Schwelle brechen viele Gruppen zusammen, weil sie schlicht nicht wissen, dass es diesen Prozess braucht. Die anderen kämpfen sich miteinander durch und überlegen, was für ihre Art von Arbeit hilfreich ist. Die Entscheidungsfindung muss geregelt werden. Es ist interessant, dass gerade in der Flüchtlingshilfe nicht viele hierarchische, sondern viele basisdemokratische Strukturen entstanden sind. Es ist erstaunlich – und irgendwie funktioniert das auch gut.
BZ: Wie sieht Ihr Fazit aus?
Huerta Krefft: Die Leute, die zu uns gekommen sind, haben ihre Aufgabe echt ernst genommen, haben Zeit aufgebracht und nachgedacht, was sie da tun. Schon deshalb gehört ihnen Respekt. Am Anfang hat man bei den Ehrenamtlichen sehr viel Unsicherheit verspürt. Diese Fragen sind inzwischen besser beantwortet, weil es viele Schulungen gibt und Strukturen geschaffen wurden.
BZ: Die Flüchtlingsarbeit ist ja nicht zu Ende. Was erwartet die Helfer?
Huerta Krefft: Als Nächstes kommt auf Ehrenamtliche das Problem zu, wie sie mit Abschiebungen umgehen. Wenn man als Helfer anderthalb Jahre einen Menschen begleitet hat und denkt, dass er gute Gründe hat, hier zu bleiben, und der wird dann abgeschoben – das ist hart und wird noch eine Welle von Hilfsbedarf auslösen. Ich würde mir wünschen, dass Ehrenamtliche in solchen Situationen externe Begleitung bekommen. Die Sozialarbeiter allein sind da überfordert.
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