Der misstrauische Pedant
Nico Rosberg verdankt seinen WM-Titel nicht nur seinem Talent und seinem Auto, sondern auch seinen Charaktereigenschaften.
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Sechs Jahre hat er bei Mercedes darauf gewartet, hingearbeitet, oft aber auch gezweifelt. Er sagt einen Satz, der in seinem Fall mehr ist als eine Floskel: "Für mich hat sich ein Kindheitstraum erfüllt." Schließlich hatte Papa Keke 1982 einen Titel vorgelegt. Nach Graham und Damon Hill erlebt die Königsklasse damit ihre zweite rasende Vater-Sohn-Erfolgsgeschichte. Doch so schillernd wie der Senior gibt sich der Junior nicht. Das ist die Frage, die sich mit dem Triumph über Lewis Hamilton, den stärksten Piloten der Königsklasse, stellt: Wird die Welt nun einen neuen Nico Rosberg erleben?
Lange musste er auf die Genugtuung warten. Er hat sich seinen Erfolg mehr über die Technik und Taktik als über das – zweifellos vorhandene – Talent erkämpft. Die harten Lehrjahre an der Seite von Michael Schumacher zahlen sich heute aus. Darauf deutet auch eine Schlüsselszene aus der Krönungssaison hin: Beim Rennen in Aserbaidschan stimmte bei beiden Mercedes-Piloten die Motoreneinstellung nicht. Hamilton drehte fast durch im Cockpit, Rosberg hatte sein Problem schneller im Griff – weil er im Rennsimulator immer alle möglichen Pannen in die Software programmieren lässt, um zu lernen. Der Perfektionist Rosberg läuft auch jede Strecke vorher ab, guckt sich die Randsteine und die Linienführung an. Hamilton hat darauf "keinen Bock". Der eine vertraut auf die Akribie, der andere auf seine Intuition. Auch diese Unterschiede haben dieses Duell so dramatisch gemacht, lassen es spannend bleiben.
Wer dem 31-Jährigen, der bei seinen Auftritten zwischen spröder Unnahbarkeit und überschwänglicher Nähe schwankt, den Titel nicht gönnen mag, der spricht davon, dass es ja ein leichtes sein muss, wenn man im besten Auto sitzt. Es mag einfacher sein (und schwieriger zugleich), aber es gibt vermutlich keinen unangenehmeren Teamkollegen als Lewis Hamilton. Deshalb definiert sich dieser WM-Titel für Nico Rosberg auch darüber, Hamilton vom Thron gestoßen zu haben – auch wenn dieser häufig von technischen Problemen gebremst worden war. Die Vorgehensweise Rosbergs ist eigentlich ganz einfach, zumindest in der Theorie: "Ich habe mich in diesem Jahr nur auf die Dinge konzentriert, die ich selbst beeinflussen kann."
Bei Mercedes werden jetzt die Rollen vertauscht, der ewige Jäger wird zum Gejagten. Es ist die Rolle, die Lewis Hamilton – nach eigenen Angaben – am besten zu Gesichte steht. Nico Rosberg ist schon jetzt gewarnt, aber er sollte diesen größten Triumph seiner Karriere auskosten. Okay, der absolute Partytyp ist er nicht. Ihm reichen das Haus auf Ibiza, seine Frau Vivian und Töchterchen Alaia. Vielleicht noch der Gemüsegarten und das Fahrradfahren. Das gibt er auch gern zu, selbst wenn das viele für langweilig halten, inklusive Bernie Ecclestone. Aber der Formel-1-Impresario freut sich dann doch: "Einen neuen Weltmeister zu haben, ist auch nicht schlecht."
Härter geworden gegen sich und andere ist der "neue" Nico Rosberg sicher, akribischer bis hin zum Pedantentum, emanzipierter gegenüber Hamilton, dem Team und dem Rest der Formel-1-Welt. Das wird er weiter tun, Rosberg muss ja allen Zweiflern jetzt beweisen, dass er kein One-Hit-Wonder ist.
Vom Ehrgeiz her ist Rosberg ähnlich veranlagt wie Vettel. Spannend wird es sein, zu sehen, ob bei Rosberg das gleiche passiert wie beim Heppenheimer, der na dem ersten Titel weit entspannter und erfolgreicher wurde. Über das ihm in die Wiege gelegte Talent hat der neue Champion befunden: "Es ist absolut natürlich, total automatisch für mich, schnell zu fahren, den schnellsten Weg durch die Kurven zu finden." Er legt dabei einen – im Wortsinn – eigenen Maßstab an: "Man muss sich an sich selber messen, es ist wichtig, sich selber zu hinterfragen. Und sich nicht an jemand anderes festzubeißen." Einfach ist diese Auseinandersetzung nicht: "Grübeln gehört auch dazu. Zweifel ebenfalls, die hat bestimmt jeder. Da muss man sich durchkämpfen, es in die richtige Überzeugung umwandeln." Das scheint ihm nun gelungen zu sein.
Selbst wenn er dabei den Einzelgänger geben musste. "Ich sehe den echten Nico Rosberg nur selten", sagt Mercedes-Teamchef Toto Wolff, "er trägt sein Herz nicht auf der Zunge, weil er so diszipliniert ist. Nicos Selbstdisziplin ist in diesem Jahr auf neuem Niveau. Er hat vor allem seine Coolness behalten und immer weiter gepunktet, wenn es nötig war. Darauf kommt es schließlich an."
Mit jedem Sieg ist aus dem generellen Misstrauen von Nico Rosberg mehr Selbstvertrauen gewachsen. Der nächste Prüfstandlauf ist für den 26. März 2017 in Melbourne vorgesehen – seinem Auftaktrennen als Champion in der neuen Saison.
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